Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(Screenshot) Blogger Richard Gutjahr: Bei Twitter, Facebook, Skype - jetzt auch noch Google+

Selbstversuch - Google+ oder im Sumpf der Sozialen Netzwerke

Ein neues soziales Netzwerk. Cool. Aber was soll ich nun bei Google+? Und was ist mit meinem Facebook-Account? Was wird mit Twitter? Mit Skype? Ein Spaziergang durch das Dickicht sozialer Netzwerke und ein Selbstversuch bei Google+.

Ich arbeite bei Facebook. Ich arbeite auch bei Cicero Online, klar. Aber vor allem arbeite ich bei Facebook. Es gibt sicherlich Berufsfelder, bei denen die tägliche Facebook-Arbeitszeit auf einen unwesentlichen Teil zusammenschrumpft, als Online-Redakteurin aber ist es sozusagen meine Pflicht, in sozialen Netzwerken aktiv zu sein.

Es ist nur so, dass die Grenzen zwischen Facebook und Redakteursalltag, zwischen Privatem  und Arbeit zunehmend verschwimmen. Themenfindung und Recherche betreibe ich auf Facebook und Twitter genauso wie in meiner Tagesszeitung, die Links zu gerade erschienenen Artikeln poste ich unter und über meinen Urlaubsfotos. Per Skype halte ich Kontakt zu anderen Redakteuren – in und außerhalb unseres Verlages, aber auch meine Mutter schaut dann und wann vorbei und übt sich in neuen Smiley-Formationen.

Vor ein paar Wochen kam nun plötzlich Google+ um die Ecke. Man hörte davon, man las davon. Hier soll nun alles vereint sein: Funktionen von Twitter, Facebook, Skype. Nur das Beste vom Besten. Bei Facebook wurden die ersten Einladungen verschickt. Knapp 20 Millionen Nutzer meldet das soziale Netzwerk mittlerweile, das sich offiziell immer noch in der Testphase befindet. Ende Juli soll der offizielle Run auf die Mitgliedschaften beginnen, erst dann können auch wir mit Cicero Online einen Account anlegen wie es bei Facebook Gang und Gäbe ist. Auch die IPhone-App ist innerhalb von 24 Stunden auf Platz eins der App-Charts geprescht.

Ich habe jetzt auch einen Google+-Account und die dazugehörige App auf meinem IPhone. Der erste Blick in die Welt der Kreise ist immer noch ein bisschen aufregend. Als würde man auf eine Party kommen, bei der man nicht weiß, wer alles eingeladen ist. Zum Glück war ich nicht die erste. In einer Ecke saßen schon die üblichen Verdächtigen. Viele der Sofas aber auf meiner Google+-Party sind unbesetzt. Der Raum ist schön eingerichtet, irgendwie unaufdringlich, noch wird auf dem Balkon geraucht, alles ist so sauber und hell. Ein paar bunte Luftballons hängen unter der Decke, an den Wänden weder Plakate noch Werbebanner.

Zuerst einmal muss man ja wissen, wo alles ist – die Klos hinten rechts, das Bier in der Badewanne – bei Google+ sind da die Kreise, der Stream, der Gruppenchat Huddle und die Sparks, meine Interessen. Auf den Profilen der Neuankömmlinge liest man überwiegend Sätze wie „Wie geht das denn jetzt hier?“. Hilfe bieten bereits diverse Blogs an und Videos. [video:What is Google+ and do I need it?]

Eines haben die ersten Gäste auf der Google+-Party anscheinend gemeinsam: Sie fühlen sich wohl beim Gastgeber.

Facebook für Erwachsene wird Google+ in Kritiken auch genannt. Endlich kann der User leicht und schnell entscheiden, was wann wem zugänglich gemacht wird. Keine Albernheiten unter Freunden sind mehr im Profil meines Arbeitgebers sichtbar. Das ist schön. Keine Indiskretionen zwischen entfernten Bekannten sind mehr für mich einsehbar. Das ist schade.

Google+ ist natürlich keine Revolution. Und das Unternehmen Google+ ist sicherlich auch nicht bekannt für seine Achtung der Privatsphäre. Im Gegenteil. Es ist bei uns, wenn wir Wege suchen, Nachrichten oder neue Schuhe. Es kennt unsere Stundenpläne und Liederlisten. Google weiß alles über uns. Da ist es nun fast egal, welche Hüllen wir noch fallen lassen. Die Privatsphäre ist perdu. Die einzige Frage ist, wie charmant sie einem aus dem Kreuz geleiert wird. Google macht keinen Hehl aus seinen Absichten. Vielleicht ist diese offenherzig vorgetragene Transparenz der Schlüssel zu meinen Daten?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die ersten Besucher der Google+-Party benehmen.

Sascha Lobo ist auf jeden Fall auch schon seit Stunden auf der Party und, als ich komme, gerade dabei, gegen den Hausherren aufzubegehren: „Google+ löscht offenbar ohne Rückfrage Profile von Leuten, von denen es annimmt, sie seien nicht mit ihrem echten oder Rufnamen unterwegs.“ Lobo ruft in den Saal, alle sollen sich jetzt mal bitte mit Pseudonymen anmelden. Ich habe keine Zeit, bin damit beschäftigt, ihn und andere Internetgrößen wie Stefan Niggemeier zusammen in den von mir erstellten Kreis „Fremde Menschen aus dem Internet“ zu schieben. Diesen Google+-Usern kann ich folgen wie bei Twitter, ohne sie als Freunde bezeichnen zu müssen oder auf ihre Gunst zu hoffen, meine Anfrage anzunehmen.

Auch das ist neu bei Google+: Jeder darf jeden in seine Kreise aufnehmen. Ohne anzufragen. Trotzdem freue ich mich, wenn mich alte Freunde auch in ihren Kreis aufnehmen. Irgendwie bleibt man ja sonst in der Luft hängen, wenn man nicht zurück gemocht wird. Was mich zu einer anderen Frage führt: Wie ist das eigentlich, wenn jemand mitbekommt, dass ich ihn nur unter „Bekannten“, nicht aber unter „Freunden“ abgeheftet habe? So etwas kommt immer heraus. Das war schon in der Grundschule so.

Ich bin mir aber sicher, all diese Fragen werden früher oder später geklärt, viele meiner Freunde werden zur Google+-Party dazu stoßen. Denn die Musik, die aus dem Fenster dröhnt, ist viel zu laut, als dass vorbeiflanierende Internetspaziergänger nicht einmal gucken wollen, was da drinnen abgeht.

Und dann? Wie geht es dann weiter? Was ist, wenn Google+ erfolgreich wird und Facebook auch? Wenn Xing immer lustiger wird? Wenn Twitter eines Tages besser strukturiert ist? Und wenn diese ganzen sozialen Netzwerke für die Arbeit immer wichtiger werden? Vielleicht muss ich dann meinen Job kündigen – bei Facebook. Und Vollzeit bei Google+ anfangen.

Mit dieser Sorge stehe ich nicht allein. Gerrit Naber etwa postet öffentlich bei Google+, er „zäppt hilflos zwischen FB und G+“. Dazu kommt bei einigen vielleicht noch der Twitter-Account oder auch der eigene Blog. Lobo und Co. debattieren das bereits: Lobo habe „in den letzten drei Wochen mehr deutschsprachige, substanzielle Diskussionen (≠ Artikel) auf G+ gesehen als im gesamten Jahr 2010 in Blogs.“ Und der Internet-Guru fügt hinzu: „Großartig und besorgniserregend.“

Hört man ihnen so zu, scheint es keineswegs, als sei Facebook fest im Browser der User etabliert – trotz der 750 Millionen Accounts, die sich nicht so schnell umquartieren lassen. Denn Facebook hat kein gutes Händchen gehabt und bei den ewigen Debatten um die Privatsphäre und vor allem die neue Gesichtserkennung keine Werbung für sich gemacht. Die Leute halten das Netzwerk offensichtlich noch immer für unverzichtbar, haben es aber nicht wirklich lieb oder, wie Sascha Lobo sagt: „Facebook ist eh schon Nordkorea.“ StudiVZ hat gezeigt, wie schnell soziale Netzwerke in der Usergunst abstürzen, wenn die Macher nicht mit aktuellen Programmierungen den neuen Ansprüchen ihrer Teilnehmer hinterjagen.

Bis wir uns von unserem Facebook-Nordkorea aber abgenabelt und alle den Eingang ins Google-Kuba gefunden haben, werden einige Streams heruntergescrollt sein müssen, nehme ich an. Parallel dazu werde ich mit meiner Mutter skypen, bei Facebook recherchieren, mit Redakteuren twittern, Artikel bei Google+ posten oder alles umgekehrt. Mal sehen.

P.S. Übrigens hat Microsoft der Internetgemeinde vor einigen Tagen „versehentlich“ einen Einblick in sein neues Projekt ermöglicht. Ein soziales Netzwerk. Cool.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.