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Markus Foerderer/Alamode Film

Kinofilm „Finsterworld“ - Deutschland, deine Abgründe

Am 17. Oktober startet „Finsterworld“ in den Kinos. Nach dem Drehbuch von Christian Kracht ist ein faszinierender Film entstanden über deutsche Abgründe und deutsche Schönheiten. Eine Empfehlung

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Wer heute ein deutsches Nationalepos erzählen will, braucht den Blick eines David Lynch. Der muss wissen, dass nur in Fragmenten Schönheit wohnt und alle Schönheit trügen, jedes Fragment weiter zersplittern kann. Dennoch kann sich stets das Große ereignen. Der Kinofilm „Finsterworld“ ist die Skizze zu einem solchen unmöglichen deutschen Nationalepos geworden.

[video:Finsterworld: Der Trailer]

Das Drehbuch des Schriftstellers Christian Kracht zielt auf die große Gebärde, die natürlich nur als Travestie zu haben ist: Eine Schulklasse in Schuluniformen besucht ein ehemaliges Konzentrationslager. Der bestens präparierte Lehrer (Christoph Bach) langweilt die Schüler mit Parolen aus der volkspädagogischen Mottenkiste, „es gibt eine Kollektivschuld“, ehe zwei Schnöselschüler eine Schülerin in einen ehemaligen Verbrennungsofen einsperren. Woraufhin diese schreit, und weil die Schülerin Natalie von der „Feuchtgebiete“-Hauptdarstellerin Carla Juri verkörpert wird, ist es ein sehr markantes Schreien, Wimmern, Heulen. Schulzeit, Sadistenzeit.

Ausgezeichnete Schauspieler in „Finsterworld“


Die Eltern des Schnöselschülers Maximilian (Jakub Gierszal) haben Deutschland als Depressivum tief inhaliert. Der Vater erregt sich gerne über ein Land, das zusammengehalten werde von „perfekten Technologien“, von Giftgas, schnellen Autos und der Mülltrennung. Kein mentaler Kitt nirgends, keine Idee. Die Mutter Maximilians wiederum wendet das Leid am Land ins Innere: „Ich hasse Deutschland.“ Zärtlich ist ihre Vermisstenanzeige: „Ich wünschte, es gäbe einen Gott.“ Und weil das saturierte Pärchen – angelegt wie griesgrämige Zeit-Abonnenten – in „Finsterworld“ von Bernhard Schütz und Corinna Harfouch gespielt wird, ist es eine Freude, ihren Kammerszenen zuzuschauen, im Auto, im Hotelzimmer, nur ausnahmsweise in freier Natur. Deutschland ist das Land, durch dessen Wälder man mit Autos fährt.

Ausgezeichnete Schauspieler ließen sich auf „Finsterworld“ ein – und Regisseurin Frauke Finsterwalder, Frau des Drehbuchautors, animierte sie zu jenem Verzicht auf Großmäuligkeit und Pathos, der große Filme kennzeichnet. Dezenz ist hier Stärke. Deshalb darf die Dokumentarfilmerin Franziska (Sandra Hüller) zwar außer sich sein und ihren sanften Ehemann, den Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld), ein ums andere Mal in egomane Küchenstreitgespräche verwickeln. Hüller aber weiß, wann die Suada eine Pause braucht und wann es besser ist, die Gliederrede zu unterbrechen.

Franziska sorgt für das Vexierbild einer Filmkunst, die hier erkennbar und gekonnt und hochambitioniert als untauglich verworfen wird. Sie will einen „neuen Neo-Realismus“ schaffen und landet im rundum künstlichen Blick auf eine deutsche Lebenswirklichkeit, die sich so eben gerade nicht ins Bild zwingen lässt. Sie richtet die Kamera auf einen nudelnschmatzenden Hochhausproletarier und merkt alsbald: Das wahre Leben ist das nicht. Resignierend sagt sie: „Es gibt Schönheit in der Welt, verdammt, es gibt Liebe.“ Damit wäre benannt, was „Finsterworld“ in immer neuen Anläufen konzentrisch umläuft: die Inseln der Schönheit in einem Meer bundesdeutscher Banalität, Oasen der Wahrhaftigkeit in einem Land, das sich anschickt, zur inneren Wüste zu werden.

[gallery:Deutschland von oben]

Franziskas sanfter Göttergatte, der Polizist, flieht vor diesen Zumutungen ins künstliche Paradies. Er gehört den „Furries“ an, jenen Menschen, die ihr Zärtlichkeitsbedürfnis an vermenschlichte Tiere delegieren und röhrend, schweigend, swingend in Tierkostümen durch Turnhallen tanzen. Er möchte ein Eisbär sein, ein Eisbär, der weinen kann und dessen Tränen niemand sieht. Deutschland, du Puppenstube. Der Mann als Berührungslegastheniker. Cat Stevens singt dazu.

„Weil’s unter Hitler gut aussah“


Zentrum des Films ist Dominik. Schüler auch er, doch sensibel und klug, Feind allen Schnöseltums. Dominik (Leonard Scheicher) ist ein spätmoderner, ein kastrierter Siegfried, dem die Waffe abhandenkam. Für die Dominiks ist Deutschland nicht gemacht, sie wollen nicht Auto fahren, lassen sich nur widerwillig vom Schnöselelternpaar mitnehmen – und stören dann das ewiggraue Einverständnis durch Gegenrede.

Zuhören muss man diesen Dominiks: Alles, sagt er, sei „extra hässlich“ heute in Deutschland, besonders diese schwarz-rot-gelbe Fahne, aber auch das meiste sonst. Und warum? „Weil’s unter Hitler gut aussah“, darum. Ins ostentativ Hässliche haben sich die Deutschen geflüchtet, um die Schuld der „fatalen zwölf Jahre“ (Peter Sloterdijk) abzutragen. Der Generalverdacht allem Ästhetischen gegenüber ist die letzte gemeinsame Idee diese wunderlichen Volkes: Deutschland, hässliche Mutter.

Dominik büßt sein loses Reden. Franziska wendet sich vom Filmen deutscher Scheinrealitäten ab, wandert weit hinfort über jede Grenze, Natalie weiß nun, wo die Gewinner sitzen des Schulsystems, das „Zeit“-Pärchen nörgelt sich weiter durch sein Schicksälchen. Wo Liebe ist, da muss Natur sein, wenn schon kein Gott.

Der Blick des David Lynch, den Frauke Finsterwalder staunenswert sicher beherrscht, lässt kein Idyll zu, wohl aber Schönheit. Jede Krähe kann den Tod verkünden. Denn die Krähe, das wussten schon Franz Schubert und Wilhelm Müller, ist ein „wunderliches Tier“.

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