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Vinzenz Greiner

Film: Concerning Violence - „Schlussendlich wird Gewalt ausbrechen“

Der Regisseur Göran Hugo Olsson hat mit „Concerning Violence“ den Bestseller „Die Verdammten der Erde“ von Frantz Fanon verfilmt. Cicero Online sprach mit dem Filmemacher über gewalttraumatisierte Nationen, Lauryn Hill und die Auswirkungen der schwedischen Neutralität auf Dokumentarfilme

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Mit „Concerning Violence“ hat der schwedische Regisseur Göran Hugo Olsson das Buch „Die Verdammten der Erde“ des Dekolonialismus-Vordenkers Frantz Fanon auf die Leinwand gebracht. Der Film erzählt von den Aufständen, die zur Entkolonialisierung Afrikas führen sollten. Olsson nutzt Archivmaterial, das schwedische Dokumentarfilmer und Fernsehjournalisten zwischen 1966 und 1984 in Afrika aufgenommen haben. Zu sehen sind Aufnahmen von Befreiungsbewegungen und Unabhängigkeitskämpfen von Angola bis Liberia. Fanons Text wird von der Musikerin Lauryn Hill gelesen.

Cicero Online: Herr Olsson, Ihr Film heißt „Concerning Violence“. Sollte er nicht eher „Justifying Violence“ heißen? Rechtfertigt der Film nicht Gewalt?
Göran Hugo Olsson: Nein. Der Text „Die Verdammten der Erde“ von Frantz Fanon – im Grunde ist der Film der Text – rechtfertigt nicht Gewalt, sondern er erklärt sie. Fanon wurde zwar beschuldigt, Gewalt zu romantisieren, das liegt aber eher am Vorwort zu seinem Werk, das Jean-Paul Sartre geschrieben hat. Fanon selbst wirbt nicht für Gewalt.

Aber Fanon sagt, dass Gewalt die einzige Möglichkeit der Kolonisierten ist, zu reagieren.
Ja. Fanon erklärt, warum die Kolonisierten keine andere Wahl haben, als Gewalt anzuwenden. Natürlich ist Gewalt aus unserer privilegierten westlichen Warte heraus sinnlos, aber man muss die Mechanismen und Dynamiken hinter der Gewalt zu verstehen versuchen. Fanon, der als Psychiater gearbeitet hat, hilft uns dabei. Warum zum Beispiel gibt es den Islamischen Staat? Warum tun die das?

Was heißt für Sie Kolonialismus heute?
Der Neo-Kolonialismus geht von den großen Konzerne aus. Jetzt versuchen nicht mehr Staaten ihr Gebiet auszudehnen und Ressourcen zu erschließen, sondern Unternehmen wollen an seltene Rohstoffe und neue Konsumenten herankommen.

Fanon sagt, Kolonialismus sei „Gewalt in ihrem natürlichen Zustand“. Was bedeutet das in einem neo-kolonialistischen Kontext?
Unterdrückung und ein Mangel an Möglichkeiten erzeugen Spannung und Aggression. Gewalt erzeugt Gewalt. Wenn sie strukturell ausgeübt wird, dann ist die Folge blinde Gewalt.

In Ihrem Film zeigen Sie Originalaufnahmen blinder Gewalt der afrikanischen Freiheitsbewegungen der 60er und 70er und die strukturelle Gewalt der Kolonisatoren. Wo haben Sie das Archiv-Material gefunden?
Ich kenne die Aufnahmen noch aus meiner Kindheit. Ich habe schwedisches Archive durchsucht, in denen ich auch das Material für meinen Film „The Black Power Mixtapes 1967-1975“ gefunden habe. Ich wollte aber nicht noch einmal einen Archiv-Film drehen.

Was dann?
Ich hatte eine andere Idee, nämlich Fanons Buch „Die Verdammten der Erde“ zu verfilmen. Der Verleger der schwedischen Ausgabe gab es mir und ich habe es mir sofort durchgelesen. Der Text hat mich umgehauen. Ich will nicht über andere Dokumentarfilme herziehen. Aber es läuft häufig so: Man sieht, wie jemand leidet und dann verlässt man das Kino mit dem Gefühl „Okay, ich muss die Welt verbessern“. Das hat mich ermüdet. Ich finde, wenn du eine Message hast, dann pack sie auf die Leinwand. Die Herausforderung war dabei: Wie verfilmt man ein nonfiktionales Buch, ohne dabei dessen Gefühl zu verlieren?

Wie sind Sie vorgegangen? Haben Sie Zitate aus dem Buch genommen und entsprechende Filmsequenzen gesucht?
Die erste Arbeit war, den Text zu redigieren. Dann überlegten wir, wie wir ihn graphisch darstellen. Die Bilder kamen am Schluss. Wir schauten, welches Bild zu welchem Text passt oder eben nicht.

Warum gibt es überhaupt in schwedischen Archiven so viel Material zu Befreiungsbewegungen?
Schweden war während des Kalten Krieges neutral – und sehr reich. Man wollte Medien für Schweden von Schweden haben und nicht bei den Amerikanern oder – Gott bewahre – bei den Sowjets kaufen. Dokumentarfilmer aus Schweden konnten dorthin, weil das Land nicht Teil der Nato oder der Sowjetunion war. Klar hat Schweden auch eine koloniale Vergangenheit – zum Beispiel Finnland –, aber wenn ein Schwede nach Afrika geht, ist das anders als wenn ein Holländer oder ein Engländer das tut. Die Leute in den Befreiungsbewegungen betrachteten Schweden als nicht involviert in den Kolonialismus.

Es gab auch eine ideelle Verbindung der Befreiungsbewegungen mit Europa. Fanon schreibt: „Die Immobilität der Kolonisierten endet nur, wenn sie die Geschichte der Kolonisierung beenden und durch eine Geschichte der Nation ersetzen, eine Geschichte der Dekolonisierung.“ Mit der Idee der Nation übernahmen die Freiheitskämpfer doch ein europäisches Konzept und damit eines der Kolonisatoren. Ist das nicht seltsam?
Ja, ist es. Es ist eines der Dinge, die Professorin Spivak in Ihrem Vorwort zu meinem Film herausarbeitet: Die Grenzen wurden von den Kolonisatoren gezogen. Aber das war auch einfach die Vorstellung der 50er und 60er. Der Text ist 50 Jahre alt. Man muss ihn ins Heute übersetzen. Die Freiheitsbewegung ist ein Prozess, dessen Ende wir noch nicht gesehen haben. Zuerst musste man die Kolonisatoren hinauswerfen und eigene Staaten schaffen. Ich finde, es sollte in Afrika eine Art Europäische Union geben, in der Grenzen keine Rolle spielen.

Der Rauswurf der Besatzer, wie sie es nennen, funktioniert laut Fanon auf ganz bestimmte Weise – „Gewalt mit noch größerer Gewalt konfrontieren“, schreibt er. Es hat nichts mit dem friedlichen Widerstand à la Gandhi zu tun, sondern es ist eine Eskalation der Gewalt, über die er spricht.
Ja, er sagt, Gewalt kann sich nur der größeren Gewalt beugen. Ich weiß aber nicht, ob es dasselbe ist wie Eskalation. Gewaltloser Widerstand ist nur eine Methode, die als Waffe nur unter bestimmten Umständen einsetzbar ist. Wenn man eine Situation in Indien hat, wo man zu Gandhis Zeiten vielleicht 500 Millionen Inder und 50.000 Briten hatte, kann man in den passiven Widerstand gehen, in anderen Konstellationen nicht.

Menschen wehren sich nicht bloß gegen fremde Kolonisatoren und Imperialisten. Die großen Imperien wie Russland, China und die USA haben sich gewissermaßen selbst kolonisiert. Gibt es eine Schwelle, ab der gewaltsame Reaktion zu rechtfertigen ist?
Bei keinem Opfer von Gewalt kann man sagen, es war richtig, was ihm zugestoßen ist. Gewalt ist niemals zu rechtfertigen. Aber sie wird schlussendlich ausbrechen. Wenn man einen Krieg beginnt, wird es mehr Gewalt nach sich ziehen.

Gewalt wird weitergereicht. Gibt keinen Ausweg?
Nein. Vor dem Kolonialismus gab es auch schon eine größere Gewalt an den afrikanischen Völkern – den Sklavenhandel. Fanon geht es in seinem Text um strukturelle Gewalt und Unterdrückung. Wenn man ihn ins Heute übersetzt, kann erklärt werden, weshalb die Hamas Raketen nach Israel  feuert und warum Israel handelt, wie es es tut: aufgrund der jüdischen historischen Erfahrung.

Wenn der historische Kolonialismus in einen Neo-Kolonialismus übergeht, gibt es dann nach Fanon überhaupt die Möglichkeit, die Welt zu entkolonialisieren?
Olsson kramt behutsam aus seinem Mantel schwedisches Snus hervor und stopft den Kautabak unter die Oberlippe. Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Man muss die Hoffnung wohl in die Globalisierung setzen. Wir brauchen globale Communities.

Aber Globalisierung funktioniert vor allem über Handel.
Das ist auch eine schlechte Sache. Wir können zwar den globalen Handel nicht stoppen, aber zumindest die guten Anteile der Globalisierung herauspicken und mehr Kontakt zueinander bekommen. Und – das steht auch im Fanon-Text – wir können erkennen, dass es auch die unterdrückten Völker Europas sind, die den Wandel vollziehen müssen. Wir besitzen das Unternehmen, von dem wir unterdrückt werden. Die Unterdrückung ist im Grunde die gleiche.

Sie haben mit der Film-Produktion auch einen Schritt in Richtung globaler Community gemacht. Lauryn Hill spricht den Fanon-Text in ihrem Film. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Wir haben gemeinsame Freunde, weshalb ich wusste, dass sie begeistert ist von Fanon. Im vergangenen Jahr, als sie im Gefängnis saß, schickte ich ihr das Skript. Sie antwortete sofort, dass sie gerade Fanon lese und unbedingt nicht nur den Text, sondern auch die Musik zum Film machen wolle. Das mit der Musik war leider zu spät. Aber drei Tage, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen worden war, stand sie im Studio. Sie musste den Text sieben Mal einsprechen.

Warum so viele Aufnahmen?
Sie hat den Text sehr schnell gelesen. Sie erklärte warum: „Wenn ich diesen Text lese, dann fallen 400 Jahre Unterdrückung von mir ab. Und wenn du von Unterdrückung frei wirst, ist das eine Feier und die ist immer mit hohem Tempo verbunden.“ Deshalb sei auch der Jazz schnell gespielt worden, als man seine afrikanischen Wurzeln entdeckt habe, erklärte sie mir. Es war eine großartige Diskussion.

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