Kurz und Bündig - Dorothea Grünzweig: Die Auflösung. Gedichte

Seit ihrem Erstling «Mittsommerschnitt» (1997) hat Dorothea Grünzweig eine Natur­lyrik entwickelt, in der sich ein existentielles Weltverhältnis ausspricht, ohne dass die Auto­rin in ein Mutter-Erde-Ge­raune oder in öko-lyrische Betroffenheitsgesten verfiele – ihre Kunst zeigt sich darin, wie sie Sprach-Landschaften in ihrem Erscheinen umkreist und in Worte fasst. Entstanden ist diese Poesie aus einer doppelten Fremdheitserfahrung.

Seit ihrem Erstling «Mittsommerschnitt» (1997) hat Dorothea Grünzweig eine Natur­lyrik entwickelt, in der sich ein existentielles Weltverhältnis ausspricht, ohne dass die Auto­rin in ein Mutter-Erde-Ge­raune oder in öko-lyrische Betroffenheitsgesten verfiele – ihre Kunst zeigt sich darin, wie sie Sprach-Landschaften in ihrem Erscheinen umkreist und in Worte fasst. Entstanden ist diese Poesie aus einer doppelten Fremdheitserfahrung. 1989 zog Dorothea Grünzweig nach Finnland; dessen Landschaft und Sprache wurden zu Reibungsflächen, an denen sich der poetische Funke entzündete. Dies bleibt auch in «Die Auflösung» so, dem vierten und jüngsten Band. Doch herrscht hier noch eine andere Bewegung vor: diejenige der «deutschen geschichte», und auch sie wird durch biogra­fische Erfahrung lebendig. Die Auflösung des elterlichen Haus­halts stößt die Erinnerungs­bewegung an. Aus der Inventarisierung der geschichtlichen Wirklichkeiten, gegen die der inzwischen verstorbene Vater, die dement gewordene Mutter sich behaupten mussten, entstehen Gedichte erschütterter Trauer – Gedichte, die zugleich vom ganz persönlichen Verlust der Zeitzeugen erzählen. Im poetischen Moment aber kann dieser Verlust einige Verse lang aufgehoben werden: «wie wenn der abschied jetzt / nur eine phase wäre // ein trauerglied in zyklischer geschichte / die auflösung bald aufgehoben und / alles kost­bare sei wiederbringlich.» Das ist Dichtung im Geist der Romantik, eine Kunst des Konjunktivs, des nur möglicherweise, nur sprachlicherweise Wirklichen. Auch der Ton, den Grünzweig für ihre Gedichte findet, trägt romantische Züge. Alte Worte tauchen auf, üben ihre Klangwirkung aus, und so manches entstammt dem Wortschatz des Pietismus; anderes holt Grünzweig laut­spielerisch herüber aus dem Fin­nischen. Zwar mögen einzelne Gedichte dem kritischen Blick mitunter allzu schmelzend erscheinen, zu überzeugt von der Mächtigkeit des poe­tischen Sprechens. Doch spricht selbst aus diesen Gedichten noch der bewundernswerte Wil­le, dass es eine unbedingte Kindlichkeit geben darf und muss, eine sprachliche Anmut, für die die (auch historische) Entzauberung der Welt ein unerhörtes Geschehen ist. Die Verse stürzen sich in die Sprache, «dass man das bewusstsein verliert», und hinterlassen «ein Gefühl der restlosigkeit».

 

Dorothea Grünzweig
Die Auflösung. Gedichte
Wallstein, Göttingen 2008. 125 S., 19,90 €

 

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