Wolfgang Schäuble 2021 im Reichstagsgebäude / dpa

Zum Tod von Wolfgang Schäuble - Scharfsinnig und leidenschaftlich für die Demokratie

Für Wolfgang Schäuble war das Parlament die Herzkammer der Demokratie. 50 Jahre lang war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Badener war ein Vordenker schwarz-grüner Bündnisse. Im letzten Jahrzehnt seines politischen Wirkens lautete sein Grundton: „Macht euch nichts vor!“

Annette Schavan

Autoreninfo

Annette Schavan (68) war 25 Jahre in Politik und Diplomatie tätig, u.a. als Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005–2013) sowie als Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (2014–2018). Ihr neuestes Buch trägt den Titel: „geistesgegenwärtig sein. Anspruch des Christentums“, Patmos Verlag, 2. Auflage 2021. Foto Laurence Chaperon

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Seine Rede im Parlament brachte den Umschwung, als es um die Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt ging. So mancher Abgeordnete wäre gerne in Bonn geblieben. Er tat, was er so oft getan hat: Er erklärte, was das Gebot der Stunde ist. Der Architekt der Wiedervereinigung wies dem Parlament den Weg. 

Wolfgang Schäuble war über 50 Jahre Mitglied im Deutschen Bundestag, ein leidenschaftlicher Parlamentarier, der das Mandat als hohes Gut betrachtete und ärgerlich werden konnte, wenn der Eindruck erweckt wurde, Politik beginne erst beim Eintritt in die Regierung.

Für ihn war das Parlament wirklich die Herzkammer der Demokratie. Er war dort präsent. Er hat große, nachdenklich stimmende Reden gehalten und eben auch solche, die eine dann folgende Entscheidung des Parlamentes herbeiführten. Er war Parlamentspräsident – nach Jahrzehnten als Mitglied verschiedener Regierungen wurde er in den Jahren als Bundestagspräsident ein herausragender Mahner und ein gefragter Gesprächspartner in den Welten der Kunst, Kultur und Intellektualität.

Schäuble begleitete die Erfolgsgeschichte des Südwestens von Berlin aus

Wolfgang Schäuble war scharfsinnig und konnte unverhohlen zeigen, wenn er fand, dass das Niveau einer Debatte, eines Gesprächs und eines politischen Plans nicht reiche. Das geschah in der gleichsam wohltuenden Schärfe, die nur wenige wagen, und die zu einem Moment der Stille führt, bevor jemand spricht und den Faden aufnimmt. Er wusste um seine Wirkung und hat in den Gremien der Partei wie der Fraktion mit hoher Aufmerksamkeit  rechnen können, wann immer er das Wort ergriff. Er führte mit Worten, die eindringlich waren und das Unausweichliche zeigten. „Macht euch nichts vor“ – das war ein Grundton, ganz besonders in der letzten Dekade seines politischen Wirkens.

 

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Wolfgang Schäuble war ein Badener aus Baden-Württemberg. Er begleitete die Erfolgsgeschichte des Südwestens von Berlin aus und hatte hier seine politische Basis, die ihn über die fünf Jahrzehnte mit überzeugenden Ergebnissen in den Bundestag wählte. Hier war er zuhause. Hier traf ihn ein Attentat, das ihn – wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages – lebensgefährlich verletzte. Er saß danach im Rollstuhl, resignierte nicht, erlebte schwierigste Zeiten, auch in seiner kurzen Zeit als Vorsitzender der CDU Deutschlands, und lebte danach in bewunderungswürdiger Weise über 30 Jahre sein öffentliches Leben als Spitzenpolitiker. Das Bild des Mannes im Rollstuhl war schon bald vertraut. Wenn wir uns im Parlament, im Kabinett oder bei anderer Gelegenheit trafen, so bekam ich doch auch eine Ahnung davon, wie einschneidend die Erfahrung der Folgen des Attentates gewesen sind und wie groß seine Leistung, dieses öffentliche Leben zu führen. Es gab gute Begegnungen, die uns ermöglichten, unterschiedliche politische Einschätzungen vertrauensvoll zu erörtern.

„Die Freiheit eines Christenmenschen“ bedeutete ihm viel

Wolfgang Schäuble war ein großer politischer Gestalter. Der Einigungsvertrag ist das prominenteste Beispiel dafür. Ich erinnere mich aber auch an seine frühen Hinweise darauf, dass Christdemokraten und Grüne an ihren Gemeinsamkeiten arbeiten sollten. Er sah hier schon früh einen gemeinsamen Ideenfundus für zentrale Felder der Gesellschaftspolitik. Es lag nahe, dass Baden-Württemberg hierfür – unter Führung der CDU – ein positives Beispiel setzen könne.

Es kam dann spät zu einem solchen Bündnis, politisch aber anders als gedacht. Seine frühen Anregungen für schwarz-grüne Zukunftskonzepte hätten mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt; immerhin kam die „grüne Charta“ bereits in den achtziger Jahren aus dem Bezirksverband Südbaden – seiner politischen Heimat.

Wolfgang Schäuble war ein überzeugter protestantischer Christ. Er erzählte am Rande einer Kabinettssitzung kurz vor Weihnachten, dass für ihn das Weihnachtsfest mit dem Weihnachtsoratorium von Bach beginne, das er mit der Familie besuche. Dem Katholizismus gegenüber war er aufgeschlossen, ersparte mir – die ich katholische Theologie studiert habe – gleichwohl nicht den Hinweis,  dass wissenschaftliche Theologie für Katholiken ja eigentlich schwerlich möglich sei, da sie dem Papst zu folgen haben. Er sagte es nicht einmal schmunzelnd. Es war ihm ernst. „Die Freiheit eines Christenmenschen“ bedeutete ihm viel.

Ich verneige mich vor ihm und seinem Lebenswerk mit Respekt und dankbar für gemeinsame Jahre im Parlament und in Bundesregierungen.
 

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Rainer Mrochen | Mi., 27. Dezember 2023 - 12:32

Wenn es um die Durchsetzung von Machtinteressen im täglichen Politbetrieb ging, darf man ihm sicherlich meisterlichen Anspruch zugestehen. Ansonsten: Business as usual.
Kann man von einem Schäuble Clan sprechen, dessen offensichtliches Oberhaupt es klugerweise verstanden hat, ausserhalb des Machtzentrums mächtig zu wirken? Als Vertreter einer gemässigt, konservativen Linie, im demokratischen Umfeld, nicht unangenehm.
Im Umgang mit Griechenland, im Zuge der Finanzkrise, ein knallharter Interessenvertreter ohne Rücksicht auf Verluste. Das darf man allerdings durchaus erwarten. Gesellschaftlich prägend war er für mich nur insoweit, als typischer Vertreter einer parteipolitischen Linie, die zum Erhalt ihrer Machtinteressen opportunistisch handelt, wie jegliches anderes Personal auch. Insofern auch nur Gefangener einer politischen Partei, der er durchaus seinen Stempel aufgedrückt hat. 81 Jahre final, markieren das derzeitige Limit der statistischen Möglichkeiten. Ruhe in Frieden.

Bernd Windisch | Mi., 27. Dezember 2023 - 12:44

Schäuble war der Mann mit den Schwarzgeldkoffern. Vor diesem Hintergrund wirkt das Gleichnis von der Herzkammer der Demokratie hohl und schal. Mit dieser Aktion hat er Merkel möglich gemacht. Daran haben alle Deutschen schwer zu tragen.

"Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt"

Mehr ist diesem großen Denker zur unkontrollierten Masseneinwanderung mit einhergehendem Kontrollverlust nicht eingefallen. Also "Rest IN Peace" lieber Wolfgang.

Urban Will | Mi., 27. Dezember 2023 - 12:54

sei Vordenker und Befürworter schwarz – grüner Bündnisse gewesen, dann müsste es ihm ja wie ein Glücksfall vorgekommen sein, dass mit Merkel Person seine Nachfolge antrat, die gnadenlos grüne Politik machte.
Sie kennen Schäuble sicher besser als ich, aber mein Eindruck ist nicht, dass er mit Merkel als Kanzlerin allzu glücklich war. Und ich bedauere seinen Rücktritt damals.
Seine verbissene, in meinen Augen schon sträfliche Loyalität seiner Partei und somit auch dieser Kanzlerin gegenüber, die man fast schon als Unterwürfigkeit bezeichnen kann, war – so ebenfalls meine Meinung – sein größtes Manko. Kurzfristig hatte ich in der Folgezeit des Migrations – Irrsinns von 2015 die Hoffnung, er würde den Putsch wagen und die irrlichternde, wohl eher vorsätzlich handelnde und diesem Land enorm schadende Kanzlerin absetzen.
Er hätte die Autorität und vor allem die Intelligenz dazu gehabt. Und diesem Land wäre viel erspart geblieben.
Schade, dass er nie den Mut hatte. Aber auch verständlich.

Walter Gustav | Mi., 27. Dezember 2023 - 13:06

..Scharfsinnig und leidenschaftlich für die Demokratie..und der Bettvorleger einer IM Erika. Jetzt bin ich im Bilde! Ein Mann befreit von Buergersorgen- und Gedanken.

Walter Gustav | Mi., 27. Dezember 2023 - 16:10

..ein Leben fuer die Politik. Besser kann man nicht beschreiben wie dem Mann die Buerger am Allerwertesten vorbei gegangen sind. Ein mahnendes Bsp. fuer Begrenzung von politischen Aemtern.

Albert Schultheis | Mi., 27. Dezember 2023 - 21:18

... hackt einer hinterfotzigen, zynischen alten Krähe kein Auge aus! Ekelhaft - diese elende Lobhudelei!
Der Rollstuhlfahrer war bei allen Schweinereien der SED-Hexe aus dem kommunistischen Pfarrhaus in der Uckermark dabei - ihr treuester, kadaver-unterwürfigster Vasall.
Seine schlimmste Aussage war für mich: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial.“ - Damit trägt er einen entscheidenden Anteil an Schuld am Niedergang Deutschlands und der EU, wie wir sie heute erleben.