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Annette Schavan - Von den Medien in Watte gepackt

Während die mediale Skandalmaschinerie bei zu Guttenberg oder Brüderle noch lautstark ratterte, scheint sie bei Annette Schavan zu klemmen: So richtig will kein Journalist ihren Rücktritt fordern. Warum ist ihr Fall so anders?

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Es ist dieser Tage viel über Karl-Theodor zu Guttenberg diskutiert worden. Dass sein Fall nicht mit dem von Annette Schavan zu vergleichen sei. Dass seine Plagiate viel schlimmer gewesen seien. Und doch wurde daran erinnert, wie die Bundesbildungsministerin einst über den Ex-CSU-Star sagte, sie schäme sich als Wissenschaftlerin „nicht nur heimlich“.

Das offensichtliche Oxymoron, den derart kritisierten Vergleich trotzdem anzustellen, sagt viel aus über den Umgang der Presse mit der Schavan’schen Plagiatsaffäre. Der Mainzer Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger drückt es so aus: „Der Schuldvorwurf ist von Anfang an mit Zweifeln durchwirkt gewesen.“

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Aber warum eigentlich?

Prasselte die volle Wucht der medialen Empörung nicht auch über jene „sanfteren“ Plagiatoren wie Silvana Koch-Mehrin oder Jorgo Chatzimarkakis herein? Und wie bösartig waren die Vorwürfe einst gegen Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in der „Dienstwagenaffäre“? Was ist mit der vernichtend uniformen Kritik an Rainer Brüderle? Alles Dinge, die – anders als bei der Bundesbildungsministerin – nicht die grundlegendste Kompetenz für die Amtsausübung der Betroffenen infrage stellen.

Im Fall Schavan aber war die Presse vor allem eines: unentschlossen.

Freilich, die Affäre Schavan war von Anfang an ein Verwirrspiel. Erst die Zerstrittenheit der Plagiatejäger, dann die Indiskretion der Universität Düsseldorf, schließlich das fehlende zweite Gutachten. So massiv auch die Kritik am Aberkennungsverfahren gewesen sein mag, seit Oktober, als das Gutachten in der Öffentlichkeit bekannt wurde, gab es in der Medienwelt einen überwältigenden Konsens: Würde man ihr den Doktortitel aberkennen,
…dann wäre das „Schavans Aus als Ministerin und als Honorarprofessorin“ (Rheinische Post)
…„dann wäre sie als Bildungsministerin in der Tat untragbar“ (Stuttgarter Nachrichten)
… „dann ist es für sie so oder so aus“ (Frankfurter Rundschau)
…dann „wird sie wissen, was zu tun ist“ (Bild)
… dann wäre das „wie ein Finanzminister, der Steuern hinterzieht. Beide sind in ihren Jobs nicht tragbar.“ (ARD)

Und jetzt?

Der Doktortitel ist weg, die Ministerin noch da.

Doch nirgends eine Anti-Schavan-Kampagne – selbst die sonst so vorschnelle Bild-Zeitung formulierte ihr Rücktrittsplädoyer überraschend nachsichtig. Die Zeit erklärte: „Man muss ihren Rücktritt nicht fordern, man möchte es auch nicht wirklich.“

Stimmt – es mochte auch sonst niemand: „Unverhältnismäßig“ ist die Aberkennung der Doktorwürde für Süddeutsche und Welt, „fragwürdig“ für die Frankfurter Rundschau, und Zeit Online rief gar: „Bloß nicht zurücktreten!“. Man umging die direkte Rücktrittsforderung lieber geschickt, indem man die Opposition zitierte, an Schavans „Klugheit“ appellierte oder die Zwänge der Koalition im Wahlkampf thematisierte.

Während die Presseleute ihre Kommentare offensichtlich mit Samthandschuhen tippten, kuschelten sich die öffentlich-rechtlichen Sender geradezu liebedienerisch an die Bildungsministerin an.

Beispiele gefällig?

Seite 2: „Es stellten sich mediale Ermüdungserscheinungen ein“

17. Oktober 2012: Die ARD-Tagesschau berichtet, wie sich Schavan gegen die Plagiatsvorwürfe wehrt. Die brave Anmoderation von Jan Hofer: „Politiker der Koalition mahnten einen fairen Umgang mit der Ministerin an und warnten vor einer Vorverurteilung.“ Dass der parlamentarische SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann am gleichen Tag geißelte, Schavan sei „irreparabel beschädigt“, wurde nicht erwähnt. In den viel kürzeren Beiträgen von Sat.1 und ntv (RTL Group) kam das Zitat dagegen vor.

3. Dezember 2012: Im ARD-Morgenmagazin preist Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, Annette Schavan als eine der „erfolgreichen Frauen in (CDU-)Führungspositionen“. Die Interviewerin geht nicht dazwischen. Kein Widerspruch, kein Wort zu den Plagiatsvorwürfen.

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22. Januar 2013: Das ZDF-„heute journal“ verteidigt Schavan in einem Dreiminüter: „Das Eine ist das Recht, das Andere die Politik“, sagt Claus Kleber, „und das ist nicht notwendigerweise dasselbe“. Der Branchendienstleister meedia.de spricht von „Schavan-Schleichwerbung“, „die so weichgespült wirkte, als wäre sie von Schavans Presseteam produziert worden“.

5. Februar 2013: ARD-„Tagesthemen“-Kommentator Ulrich Deppendorf ruft seinen Zuschauern ins Gedächtnis: „Vorsicht, der Fall Schavan ist nicht der Fall zu Guttenberg“. Schavan fordere „zu Recht“ ein zweites Gutachten.

Als Erkenntnis bleibt: Die rote Linie, die die Presse im Oktober noch gezogen hatte, hat Schavan eigentlich überschritten – doch die Empörung blieb aus. Die Ministerin wird stattdessen weiter in Watte gepackt.

„Sie ist eine graue Gremienmaus“

Kepplinger, der im vergangenen Jahr ein Buch über „Die Mechanismen der Skandalisierung“ vorlegte, glaubt, dass sich „Schavan weniger zur Skandalisierung eignet als zu Guttenberg oder Wulff“. Und das aus mehreren Gründen: Erstens stoße das Thema in der Bevölkerung auf breites Desinteresse. „Die meisten Leute wissen nicht einmal, was ein Plagiat ist, geschweige denn, wie unzureichende Paraphrasen in der Wissenschaft zu bewerten sind.“

Zweitens habe sich der Neuigkeitswert der Vorwürfe abgenutzt. Als zu Guttenberg vor zwei Jahren erstmals wegen geistigen Diebstahls in der Kritik stand, da war das noch „neu und sensationell“, so der Mainzer Skandalforscher. „Dann folgten viele weitere Plagiats-Affären, und Schavan war nur der x-te Fall in einer Serie. Da ist es kein Wunder, dass sich mediale Ermüdungserscheinungen einstellen“.

Und drittens spielt beim Vergleich mit zu Guttenberg auch das Stichwort „Personalisierung“ eine Rolle: Der CSU-Baron „war ein Paradiesvogel. Er hatte alles, was die reichweitenstarken Medien brauchen – Glanz, Glamour, adlige Herkunft.“ Guttenberg war der emporgestiegene Ballon, der über der Politik schwebte: Da machte das Zustechen doch erst richtig Spaß. „Dagegen ist Schavan eine graue Gremienmaus. Sie hat nichts, woraus sich Leidenschaften entfachen lassen.“ Und damit auch nichts, womit sich Quoten oder Auflagen steigern ließen.

Kein Skandal, keine übertriebene Schelte also: Und das war’s? Oder werden die Medien, sollte sich Schavan weiter an ihren Ministerstuhl klammern, doch noch ihre Empörungsmaschine anschmeißen? Kepplinger winkt ab: Für die Rücktrittsfrage sei die Kommentarlage in den Medien nicht so wichtig wie der Rückhalt eines Skandal-Politikers im eigenen Lager.

Das Mainzer Medieninstitut wertete über 130 Einzelaffären in der Bundesrepublik aus. Das Ergebnis: „SPD-Politiker knicken nicht so schnell ein, weil sie in der Partei eine Heimat haben und in ihrem Milieu fest verankert sind.“ Wenn CDU-Politiker in einen Skandal geraten, sei ein Rücktritt dagegen viel wahrscheinlicher. „Denn die Union ist eine Partei der Einzelkämpfer.“

Schlechte Aussichten also für Annette Schavan.

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