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(picture alliance) Hat Becker in der RAF dasselbe Schicksal wie Zschäpe in der NSU?

RAF-Prozess - Verena Becker, die Beate Zschäpe von links

Nach zwei Jahren Prozess wurde die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker wegen Beihilfe am Mord des Generalbundesanwalts Siegfried Bubacks verurteilt. Das ist weniger, als Bubacks Nachkommen gehofft hatten. Ermittelten die Behörden wirklich objektiv? Oder gibt es um die RAF ein ähnliches Problem mit dem Verfassungsschutz wie bei der NSU?

Dieser Prozess war ganz sicher nicht gewollt. Er kam erst durch den öffentlichen Druck zustande, den seit fünf Jahren Michael Buback, der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, erzeugt hat. Nachdem er sein Buch „Der zweite Tod meines Vaters” veröffentlicht hatte, wollte man offenbar der allenthalben verbreiteten öffentlichen Schelte nicht mehr länger zusehen und bereitete 2009 eine Anklageschrift gegen das einstige RAF-Mitglied Verena Becker vor.

Als die Bundesanwaltschaft dann im September 2010 ihre Anklage vorlegte, stellte sich heraus, dass diese von vornherein eingeschränkt worden war. Es ging nicht um Täter-, sondern um Mittäterschaft. Der Angeklagten warf man zwar vor, den Tatort ausgespäht, Bekennerschreiben verschickt und mit anderen zusammen zum Mord aufgehetzt zu haben. Jedoch war darin keine Rede mehr von dem Verdacht, dass es sich mit Becker auch um die Todesschützin gehandelt haben könnte. Und genau das war die Überzeugung Michael Bubacks, der vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht als Nebenkläger auftrat.

Und in der Tat, eine Vielzahl von Indizien sprachen dafür, dass Becker vom Soziussitz einer Suzuki die tödlichen Schüsse abgegeben haben könnte: Sie war zusammen mit Günther Sonnenberg im Besitz einer Maschinenpistole vom Typ Heckler&Koch, der Tatwaffe, festgenommen worden. Sie hatte einen Schraubenzieher dabei, der von der Suzuki stammte. Am Fundort des Motorrads fand sich eine Schuhspur, die genau auf ihre Schuhgröße passte, es gab eine Haarspur an Beckers Haarbürste, die mit einer im Motorradhelm aufgefundenen Haarspur identisch war und zahlreiche Zeugen wollten eine kleine, zierliche, eher weibliche Person auf dem Soziussitz gesehen haben. Es gab also viele Zeugenaussagen, die auf Verena Becker gepasst hätten.

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Doch all diese Einlassungen wurden – wie es kürzlich der Rechtsanwalt von Horst Buback, dem Bruder des Ermordeten, betonte – von der Bundesanwaltschaft geradezu „reflexartig zurückgewiesen”. Fast jeder Zeuge, der Belastendes über die Angeklagte vorbrachte, wurde von den Vertretern der Karlsruher Behörde in die Schranken gewiesen. Bei zahlreichen Beobachtern verdichtete sich deshalb mehr und mehr der Eindruck, die Anklagevertretung habe in Wirklichkeit die Aufgabe der Verteidigung übernommen. Der Journalist Thomas Moser sprach in seinem Kommentar deshalb sogar von einer „Symbiose zwischen Anklage und Angeklagter” sowie von „Strafvereitelung im Amt”.

Die Angeklagte selbst schwieg vom ersten Prozesstag an eisern. Erst kurz vor Beendigung des Verfahrens gab sie im Mai eine Erklärung ab. Darin behauptete sie, dass sie am Tag des Attentates überhaupt nicht in Deutschland, sondern im Nahen Osten gewesen sei. Sie könne deshalb nicht sagen, wer den Generalbundesanwalt erschossen habe. Sie räumte allerdings ein, Mitglied der RAF gewesen zu sein und den geplanten Mord an Siegfried Buback wie alle anderen auch gebilligt zu haben. Fragen ließ sie keine zu.

Besonders auffällig war, dass sie in ihrer Erklärung mit keinem einzigen Wort ihre Kooperation mit dem Verfassungsschutz erwähnte. Das Thema war für sie ein schwarzes Loch. Und genau das war die Achillesferse des gesamten Prozesses. Obwohl das in Karlsruhe begangene Verbrechen schon weit über dreißig Jahre zurückliegt, hat sich ein Bundesinnenminister nach dem anderen beharrlich geweigert, die Akten des Verfassungsschutzes freizugeben, in der Beckers Aussagen festgehalten worden sind. Doch ohne diese Dokumente wird dieser Fall nicht aufgeklärt werden können.

Was der Becker-Prozess mit der Verfassungsschutzkrise um die NSU zu tun hat...

Im Grunde genommen konnte man den Eindruck haben, dass im Becker-Prozess ein doppelter Boden existierte. Im Stuttgarter Oberlandesgericht gab es eine sichtbare und eine unsichtbare Anklagebank. Auf letzterer saß nicht nur eine bestimmte Behörde wie etwa der Verfassungsschutz, sondern der bundesdeutsche Staat. Und das Ziel bestand nun darin, den Staat von dem Vorwurf freizusprechen, dass man es aus dubios erscheinenden Gründen versäumt habe, Becker wegen des Buback-Attentates anzuklagen. Das sollte mit einer Verspätung von 33 Jahren nachgeholt werden.

Der 6. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Hermann Wieland hat sich nachweislich Mühe gegeben und ist unzähligen Spuren nachgegangen. An 90 Verhandlungstagen sind 165 Zeugen und acht Sachverständige vernommen worden. Doch von dem Verfahren wird nicht nur wegen der mangelnden Aufklärung des Buback-Attentates ein schaler Beigeschmack zurückbleiben. Es ist vor allem die problematische Rolle der Bundesanwaltschaft gewesen, die den Prozess in Misskredit brachte, weil sie ein wirklich offenes Gerichtsverfahren von Anfang an torpediert hat. Sie hat den Vorwurf der Mittäterschaft zurückgezogen, zuletzt nur noch von „Beihilfe” zur Tat gesprochen und für die Angeklagte eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten gefordert.

Die nun verkündete Verurteilung Beckers zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Buback und seine beiden Begleiter mag zwar vielen Beobachtern und Kommentatoren überraschend erscheinen, sie spricht jedoch für das Gericht. Schließlich hat Becker mehr als jenes Kriterium erfüllt, wonach früher die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StPO) bereits als ausreichend angesehen wurde und wegen der RAF-Angeklagte zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren.

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Allerdings sollte eines nicht aus den Augen verloren werden: Es muss als eine merkwürdige Koinzidenz der Ereignisse angesehen werden, dass das Urteil im Becker-Prozess genau auf dem vorläufigen Höhepunkt der Verfassungsschutzkrise verkündet worden ist. Die als „Konfetti-Affäre” bezeichnete Vernichtung von VS-Akten, mit der sich in den letzten Tagen der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit der Mordserie der NSU befasst hat, hätte die Abgeordneten auch im Falle Becker beschäftigen können. Denn auch im Zusammenhang mit dem Becker-Verfahren sind zahlreiche Akten geschreddert und Beweismittel vernichtet worden.

Die insgeheime Frage lautet, ob mit Beate Zschäpe die Überlebende des Zwickauer Mordtrios so etwas wie die Verena Becker von rechts gewesen sein könnte. Die Hinweise, dass auch sie für den VS gearbeitet haben könnte, sind mehrfach aufgetaucht und keinesfalls unerheblich. Doch wer einen solchen Verdacht formuliert, der sich durch Indizien belegen lässt, wird umgehend als Anhänger einer Verschwörungstheorie gebrandmarkt. Das jedoch sollte sich verbieten. Denn in einem Rechtsstaat muss es möglich sein, Untersuchungen auch dann ergebnisoffen zu gestalten, wenn damit am Ruf einer oder mehrerer staatlicher Behörden gekratzt werden könnte. Unter dieser Voraussetzung ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich bei dem im Herbst anstehenden Prozess gegen Beate Zschäpe möglicherweise auch Parallelen zum Fall Becker aufdrängen werden.

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