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SPD - Ein Koalitionsbruch ist auch keine Lösung

Die Genossen werden nervös, weil die SPD in der Wählergunst nicht zulegt. Zur Unzeit beginnen sie eine Debatte über den Kanzlerkandidaten und suchen Streit in der Großen Koalition. Dabei sollten sie vor allem die Nerven bewahren

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Woche für Woche blicken die Sozialdemokraten derzeit kopfschüttelnd und frustriert auf die Meinungsumfragen. Obwohl sie davon überzeugt sind, dass sie in der Bundesregierung bisher alles richtig gemacht haben, legt die SPD in der Wählergunst nicht zu. Kanzlerin Merkel ist beliebter denn je, die Union mit großem Abstand stärkste Partei. Ein Wahlsieg 2017 und ein sozialdemokratischer Kanzler scheinen unerreichbar. Einmal Juniorpartner, immer Juniorpartner.

Je länger die Partei im Stimmungstief verharrt, desto nervöser werden die Genossen. Der Ton in der Großen Koalition wird rauer, weil die SPD glaubt, sich schärfer von der Union abgrenzen zu müssen. In der Partei wird bereits die K-Frage diskutiert. Weil die Kanzlerin als unbesiegbar gilt, glauben manche Genossen gar, das sozialdemokratische Heil in der Flucht nach vorne suchen zu müssen, im Koalitionsbruch und einem rot-rot-grünen Bündnis noch vor der Bundestagswahl 2017.

Koalitionsbruch keine Option
 

Als Vorbild für eine solche strategische Offensive verwies Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke auf die FDP und deren Koalitionsbruch im Jahr 1982. Eine „Kannbruchstelle“ nannte Christoph Schwennicke den NSA-Skandal.

Koalitionsbruch? Wende? Rot-Rot-Grün? All dies käme einem politischen Selbstmord aus Angst vor einer absehbaren Wahlniederlage gleich. Zudem ist die Gefahr groß, dass die Sozialdemokraten die Grünen mit einem solchen Harakiri-Kurs endgültig in die Arme der Union treiben. Selbst eine absolute Mehrheit für CDU und CSU wäre nicht ausgeschlossen, käme es zu vorgezogenen Neuwahlen.

Es bleibt den Sozialdemokraten nicht viel anderes übrig, als zunächst ihre Hausaufgaben zu machen. Die SPD hat derzeit keine alternative Machtoption, sie ist gefangen in der Rolle des Juniorpartners der Großen Koalition. Die Liebe der Wähler lässt sich genauso wenig erzwingen, wie eine sozialdemokratische Kanzlerschaft. Rot-Rot-Grün ist eine Kopfgeburt von Parteifunktionären mit Linksdrall, rechnerisch im Bundestag möglich, aber ohne politisches Fundament und vor allem ohne gesellschaftliche Akzeptanz.

Es mag sein, dass sich der NSA-Skandal zu einer Staatsaffäre ausweitet, es mag sein, dass der Innenminister seinen Hut wird nehmen müssen, aber ein sozialdemokratischer Scheidungsgrund lässt sich darin dennoch nicht erkennen. Weder gehört das Thema Bürgerrechte zum sozialdemokratischen Markenkern, noch lässt sich mit der Skandalisierung einer undurchsichtigen Geheimnisaffäre eine sozialdemokratische Identitätskampagne aufbauen. Zudem ist es gar nicht ausgeschlossen, dass auch sozialdemokratische Regierungsmitglieder schon lange von der unheiligen Allianz von NSA und BND gewusst haben, allen voran der Außenminister und ehemalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier.

Abwarten, Nerven bewahren, Hausaufgaben machen, mehr wird der SPD bis auf Weiteres nicht übrig bleiben. Ihr Kernproblem ist schließlich, dass die Mehrzahl der Wähler es der Partei weder personell noch programmatisch zutraut, in diesem Land eine politische Führungsrolle ausfüllen zu können. Die Wähler akzeptieren die SPD als Merkels Juniorpartner und als sozialpolitisches Korrektiv der Union. Aber die politische Führung dieses Landes wissen sie bei der Kanzlerin gut aufgehoben, ebenso die Eurorettung, die Lösung der Ukraine-Krise und die Zurückdrängung des islamistischen Terrors im Nahen Osten.

Innenpolitisch setzen sie auf Sparen, nicht auf Steuererhöhungen, auf die schwäbische Hausfrau und nicht auf Sigi-Pop. Selbst die Mehrheit der SPD-Wähler würde deshalb bei einer Direktwahl nicht den SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Sigmar Gabriel wählen, sondern Angela Merkel. Schon in der Snowden-Affäre im Sommer 2013 zeigte sich, dass jede Kritik an ihrem unkritischen Umgang mit der NSA und deren flächendeckender Überwachung an ihr abperlt.

Zurück zum Kanzlergen
 

NSA und BND eignen sich nicht zur Kanzlerinnen-Demontage. Will die SPD wieder einen Kanzler oder eine Kanzlerin stellen, bleibt ihr also nichts anderes übrig, als sich zunächst politisch und personell neu aufzustellen. Sie braucht ein Programm, das in die Mitte ausstrahlt und dass nicht in erster Linie auf Umverteilen und Steuererhöhung setzt. Zudem muss die SPD einen Kanzlerkandidaten mit Machtgen präsentieren und darf anders als 2009 und 2013 keinen aufbieten, der sich vor allem in die Pflicht nehmen lässt.

Erst wenn sich die SPD politisch und personell neu formiert hat, ist auch Rot-Rot-Grün kein Schreckgespenst mehr. Erst wenn die SPD wieder selbstbewusst politische Führung zeigt und nicht aus Frust über die Großen Koalition ständig nach links schielt, wird eine SPD-Kanzlerschaft wieder eine realistische Option. 1998 übrigens hat die SPD mitnichten auf Rot-Grün gesetzt. Gerhard Schröder war eine Koalition mit den Grünen suspekt, er strebte stattdessen im Wahlkampf eine Große Koalition unter sozialdemokratischer Führung an. Erst der überwältigende Wahlsieg machte Rot-Grün möglich und erst anschließend wurde die Schröder-Fischer-Regierung zum rot-grünen Projekt erklärt.

Der Rest ist Warten auf den richtigen Moment, politisch in die Offensive zu gehen, die Union herauszufordern und die Kanzlerin anzugreifen. Warten darauf, dass CDU und CSU schwächeln und die Wähler beginnen, an Angela Merkel zu zweifeln. Warten auf ein Thema, das einerseits die sozialdemokratischen Stammwähler mobilisiert, aber auch viele Wechselwähler zur SPD zurückkehren lässt. Nur mit viel Geduld und viel Aufbauarbeit wird die SPD irgendwann ins Kanzleramt zurückkehren können. Trotzdem ist es erfolgsversprechender, diesen mühsamen Weg zu gehen, als zur Unzeit die Nerven zu verlieren.

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