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Große Koalition - Die Ausnahme wird zum gefährlichen Dauerzustand

Die Große Koalition galt einmal als großes demokratisches Übel. Jetzt regiert schon die zweite binnen weniger Jahre. Der Notfall ist auf dem Weg zum Ideal. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

Andrea Dernbach arbeitet für den Berliner Tagesspiegel.

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Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wunderte sich dieser Tage, warum es auf ihrem Gebiet nicht weitergehe. Die FDP als Verhinderungspartei gebe es doch nicht mehr. Ein Zwischenruf aus der Lobby, aber er trifft einen Punkt. Vielleicht sind ja die Interessen, die einst die FDP wahrte, auch in jener Großen Koalition gut bedient, die Twitter zur „GroKo“ verniedlicht hat.

Die Anzeichen dafür mehren sich jedenfalls. Dabei war anderes zu erwarten. Die durch Schröders Agendapolitik nachhaltig, sozusagen im Kerngeschäft, beschädigte SPD müsste eigentlich alles tun, erst recht in Konkurrenz zur Koalitionspartnerin, um da Wiederaufbauarbeit zu leisten.

Nachdem sie vor mehr als einem Jahrzehnt den Zwang zur Arbeit um fast jeden Preis verschärft hatte, war klar, dass die Kleine-Leute-Partei sich von den Folgen nur schwer wieder erholen würde. Schröders Erben versuchten es folgerichtig mit Schadensbegrenzung durch vorsichtige Distanzierung.

Wieder Genossen für die Bosse?


Jetzt, im Jahr eins der zweiten GroKo binnen weniger Jahre, sieht es nach Rückkehr zu den Logiken Schröders, des „Genossen der Bosse“, aus. Der Mindestlohn bremst zwar die Folgen der Hartz-Politik ab. Aber gebremst wird auch anderswo. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister schiebt und streckt die Energiewende, die einmal das rot-grüne Vorzeigeprojekt war. Das nützt nicht den Bürgerinnen und Bürgern, deren Strompreise zur Begründung herhalten müssen, sondern jenen Alt-Energiekonzernen, mit denen die Partei vor allem in Nordrhein-Westfalen eng verbandelt ist. Auch das noch immer geheime US-europäische Investitionsabkommen TTIP hat Gabriel gerade wieder verteidigt. Globale Konzerne sehnen es ebenso dringend herbei, wie es Europas Bürger ablehnen, weil sie die (weitere) Privatisierung von Wasser, Energie, Verkehrsinfrastruktur fürchten und die Aussetzung demokratischer Entscheidungen. Gabriel deutete zwar Korrekturmöglichkeiten an, verspottete aber gleichzeitig die Gegner von TTIP: Die seien gegen etwas, was es doch noch gar nicht gebe.

Zweimal wurden linke Bündnisse kaputtdiskutiert


Man könnte meinen, die SPD säge so am Ast, auf dem sie sitze. Was aber, wenn sie den Ast schon längst gewechselt hat? Mit dem Koalitionsvertrag sind die Sozialdemokraten zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre eine Koalition eingegangen, die anders als 1966, im Falle des ersten und für lange Zeit einzigen solchen Bündnisses, nicht der Not geschuldet war. Man muss also an Kalkül glauben, an eins, das nur in dieser Konstellation sicher aufgeht: schlichter Machterhalt. Mag die SPD-Wählerschaft auch dramatisch schrumpfen – ein Viertel der Stimmen addiert sich mit den mehr als 40 Prozent der Union noch zu gut zwei Dritteln. In Sitzen umgerechnet, sieht das noch komfortabler aus. Und inhaltlich scheint’s auch zu passen. Bündnisoptionen links der Mitte – die es 2005 und 2013 gab, man vergisst es manchmal – wurden stets kaputtdiskutiert, auch von anderen Beteiligten. Rechts davon scheint Inhalt kein Problem zu sein. Und miese Wahlergebnisse sind kein Denkzettel mehr, sondern Bestätigung: Stabil ist eben nur GroKo.

Große Koalitionen sind heute gefährlicher als 1966


Italiens seit Jahren noch viel deutlicher schrumpfende post-postkommunistische Sozialdemokratie führt es vor: Mit dem Modell Große Koalition, formell oder informell, lässt sich lange gut leben, jedenfalls für die beteiligten Teile der politischen Klasse. In der Holzklasse sicher nicht. Der sogenannte Souverän wird machtlos, wenn man seine Gunst nicht mehr braucht. Auch das engere SPD-Milieu genügt, um am Rockzipfel der großen Partnerin die 50-Prozent-Marke locker zu überfliegen. Die alte Sorge, die sich an große Koalitionen knüpft, dass nämlich die Ränder stärker werden, muss da nicht schrecken, weniger Wahlbeteiligung schon gar nicht. Es sind ja die Abgehängten, die nicht mehr wählen gehen.

Die repräsentative Demokratie ist damit aber auf dem Wege, nicht mehr zu repräsentieren. Die Angst, die sich 1966 mit der Kiesinger/Brandt-Koalition verband, erscheint aus heutiger Sicht hysterisch. In den wenigen Jahrzehnten seit 1945, als es Bildungsexpansion gab und eine starke Mittelschicht, war das knapp drei Jahre regierende Bündnis weniger gefährlich als heute. Heute wächst die Kluft zwischen Arm und Reich rasant; die Zukunft wird, wie der französische Ökonom Thomas Piketty warnt, gefressen. Schwarz- Rot ist konstitutionell unfähig, daran etwas zu ändern. Die GroKo, das niedliche Tierchen, das uns bald fünf Jahre begleitet und sich auf mindestens acht – und mehr? – einrichtet, könnte sich als Vielfraß herausstellen.

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