Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Steinmeiers Paradigmenwechsel - Mehr Verantwortung für Deutschland in der Welt

Deutschland reagiere nur zögerlich auf Krisen, es handele einerseits „skrupellos realpolitisch“ und andererseits „naiv und idealistisch“. So steht es in einem Expertenbericht des Auswärtigen Amtes. Ein Paradigmenwechsel in der Außenpolitik steht bevor

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

So erreichen Sie Wulf Schmiese:

Es sagt sich nicht leicht für Minister, dass in ihrem Hause etwas falsch läuft. Außenminister Steinmeier jedoch hat diesen Weg gewählt. Um „früher, entschiedener und substantieller“ agieren zu können, will er nun die Strukturen im Auswärtigen Amt ändern.

„Was ist falsch an deutscher Außenpolitik? Was sollte daran geändert werden?“ Diese Frage stellte Steinmeier vor exakt einem Jahr mehr als 50 namhaften Denkern auf der ganzen Welt, alles ausgewiesene Fachleute für Außenpolitik.

Damit begann der Prozess, der im Auswärtigen Amt mondän „Review“ heißt, auf gut deutsch: Überprüfung. Und zwar eine, „wie sie das ehrwürdige Amt in fast 150 Jahren noch nicht unternommen hat“, wie es dort heißt.

Deutsche Außenpolitik naiv und skrupellos
 

Das Ministerium hat sich in drei Phasen überprüft bei insgesamt drei Gruppen: Neben den internationalen Experten (Phase 1) suchte es das Gespräch mit den Bürgern (Phase 2) und schließlich mit den Diplomaten im eigenen Haus (Phase 3).

Jetzt liegt der Abschlussbericht vor unter dem kryptischen Titel: Krise – Ordnung – Europa. Außenpolitik weiter denken. Es sind 50 Seiten teils scharfer Kritik an der bisherigen deutschen Außenpolitik, die der Außenminister an diesem Mittwoch im Kabinett, den Mitarbeitern und den Medien vorgestellt hat.

So steht dort im Experten-Teil, Deutschland reagiere „nur zögerlich auf Krisen“, strategisches Denken sei „schwach ausgeprägt“. Es handele einerseits „skrupellos realpolitisch“ und andererseits „naiv und idealistisch“. Es sei der Welt nicht klar, so etliche Fachleute, „was Deutschland überhaupt wolle“.  Deutschland kommuniziere seine Außenpolitik „nur unzureichend“. Die Außenpolitik brauche „mehr Klarheit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit“.

Auch wird kritisiert: Die deutsche Innenpolitik stehe einer ehrgeizigeren Außenpolitik im Wege. Vermeidungsverhalten nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Sorgt für Frieden, aber mischt uns nicht in Kriege ein. Das geht so nicht mehr, kritisierte der friedliebende Kofi Annan: „Sowohl Europa als auch die Welt insgesamt erwarten von Deutschland, einen größeren Teil der Lasten der Frühverantwortung, der kollektiven Sicherheit und der internationalen Zusammenarbeit zu übernehmen.“

Erwartungen enorm gestiegen
 

Die Erwartungen der Welt an Deutschland sind enorm gestiegen: „Uns wird allerhand zugetraut, bisweilen sicher zu viel“, schreibt Steinmeier in dem Bericht: „Europa revitalisieren“, „Russland europäisieren“ und „Amerika multilateralisieren“ nennt er als Beispiele. Steinmeier fragt: „Worauf sollen wir unsere Energie richten?“

Die Antwort ist, dass der alte Rahmen bleibe: engste Partnerschaft mit Frankreich in einem geeinten Europa, transatlantisches Bündnis nicht nur in Sicherheitsfragen, sondern auch wirtschaftlich. Übersetzt in wenige Buchstaben: EU, NATO, TTIP.

„In diesem festen Rahmen müssen wir uns den drei Herausforderungen von Krise, Ordnung und Europa zuwenden“, fordert Steinmeier. Denn Krisen würden Dauerzustand, alte Ordnungen brüchig und gemeinsames europäisches Reagieren keine Selbstverständlichkeit.

Im Außenministerium sollen die Strukturen der neuen Sicht angepasst werden. Es geht an das Gebälk im Organigramm des Hauses. Von den zehn Abteilungen werden zwei neu errichtet. Um besser auf aktuelle Krisen in der Welt reagieren zu können, wird die „Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge“ geschaffen. Die bisherigen Abteilungen „Vereinte Nationen“ sowie „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ werden zusammengefasst zu einer neuen Einheit namens „Abteilung für Internationale Ordnungsfragen, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle“. Bis Sommer soll der Umbau abgeschlossen sein und in anderthalb Jahren alles inhaltlich funktionieren.

Das klingt nach bloßem Bürokratieumbau. Tatsächlich jedoch ist das ein Signal, fortan alte Hüte nach hinten zu schieben, die in die neue Welt nicht mehr passen. Das sieht beim Thema UNO offenbar auch ein großer Teil der Jugend so, wie es in dem Bericht heißt: „Jüngere Befragte unter 29 Jahren würden einen Einsatz zu humanitären Zwecken mehrheitlich sogar ohne Mandat der UNO befürworten – im Schnitt aller Altersgruppen sind 66 % allerdings dagegen.“

Steinmeier spricht selbst nicht von einer neuen deutschen Außenpolitik. Aber er schafft die Voraussetzungen, um der Welt „früher, entschiedener und substantieller“ zu helfen. Hier übernimmt er einfach die Worte, die Bundespräsident Gauck vor einem Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz verwendete, und fügt hinzu: „Dabei kann zur Absicherung von politischen Lösungen auch der Einsatz militärischer Mittel geboten oder gar unumgänglich sein.“ Das müssten wir Deutschen zwar immer sorgfältig prüfen, „aber nicht reflexhaft ausblenden“.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.