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Rot-Grüne Steuerpläne - Ein Schritt in die richtige Richtung

Die Steuerreform der Regierung Schröder hat 1998 Deutschlands Millionäre noch reicher gemacht. Der Finanzökonom Giacomo Corneo hat für Cicero die aktuellen Steuerpläne von Rot-Grün analysiert

Autoreninfo

Corneo, Giacomo

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Als Wissenschaftler, der sich mit öffentlichen Finanzen beschäftigt, reibt man sich unwillkürlich die Augen, wenn man sich den Wandel der steuerpolitischen Konzepte der Grünen und der SPD anschaut. Schließlich war es 1998 die erste rot-grüne Bundesregierung, die eine Einkommensteuerreform mit umfangreichen Steuererleichterungen verabschiedete, von der insbesondere Deutschlands Einkommensmillionäre profitierten: Ihre Einkommen stiegen durch die Reform um gut ein Fünftel. Die Normalverdiener mussten sich mit fünf Prozent begnügen.

Rot-grüner Fehler: die Abkehr von der Progression
 

Es war damals ein großer Fehler, eine regressive Steuerreform einzuführen, obwohl sich bereits seit der Wiedervereinigung die ungleiche Verteilung der Markteinkommen zuspitzte. Die strukturellen Effekte der Globalisierung – der gewaltige Lohndruck auf die Geringqualifizierten bei gleichzeitiger Eröffnung hochrentabler Geschäftsfelder für Topmanager, Unternehmer und Financiers – ließen erwarten, dass die Marktkräfte dauerhaft noch mehr Ungleichheit hervorrufen würden. In dieser Situation hätte die rot-grüne Koalition mit mehr Steuerprogression entgegensteuern müssen, um das eherne Prinzip des deutschen Steuersystems, das 1893 der preußische Finanzminister Johannes von Miquel eingeführt hatte, zu verteidigen: Je mehr Geld ein Mensch verdient, desto größer ist der Anteil, den er davon an den Staat abgeben muss. Denn die steuerliche Progression tut ihren Dienst umso besser, je ungleichmäßiger der Markt die Einkommen verteilt. Diese verteilungspolitische Regel wurde damals missachtet. Die Folge war nach einer Untersuchung der OECD eine in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalige Steigerung der Ungleichheit der verfügbaren Einkommen.

Ihren Fehler von damals wollen beide Parteien 15 Jahre später offenbar dringend korrigieren: In ihren Wahlprogrammen fordern sowohl die Grünen als auch die SPD ein mehr an Steuerprogression. Dies soll vor allem durch eine stärkere Belastung der Besserverdienenden erreicht werden. Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz auf 49 % erhöhen und zwar ab einem Einkommen von 80.000 Euro. Die SPD schlägt den gleichen Spitzensteuersatz ab einer Einkommensgrenze von 100.000 Euro vor. Neue wissenschaftliche Untersuchungen über die Einkommensverteilung und die wirtschaftlichen Reaktionen der Steuerzahler auf Änderungen bei den Steuersätzen zeigen, dass Grüne und SPD sich diesmal in die richtige Richtung bewegen.

Höherer Spitzensteuersatz ab höherem Einkommensniveau
 

Um dem Auseinanderklaffen zwischen arm und reich erfolgreich entgegen zu wirken, wäre allerdings ein etwas höherer Spitzensteuersatz ab einem deutlich höheren Einkommensniveau optimal: Unter Berücksichtigung seiner Anreizwirkung sollte der Spitzensteuersatz in Deutschland erst ab einem Einkommen von ca. 350.000 Euro greifen und oberhalb von 50 Prozent liegen, wenn man ein maximales Steueraufkommen generieren will. Ein Teil der Steuerlast würde dadurch von den Gutverdienern zu den Millionären verschoben, in dreifacher Hinsicht ein Vorteil:

Erstens wäre ein solcher Tarif besser geeignet, um die Einkommenskonzentration in den Händen des reichsten Tausendstels der Bevölkerung zu verringern, die im internationalen Vergleich in Deutschland besonders hoch ist. Zweitens wäre eine solche Staffelung der Steuersätze die bessere Antwort im internationalen Wettbewerb um die besten Fachkräfte. Denn der Vorschlag der Grünen würde dagegen Einkommenseinbußen von 2,8 Prozent bis 6,6 Prozent für die Einkommensgruppe zwischen 80.000 und 160.000 Euro verursachen, in die viele Ingenieure, Wissenschaftler und Ärzte fallen. Drittens würde eine Verschiebung der Steuerlast von den Gutverdienern zu den Topverdienern die berufliche Attraktivität des öffentlichen Dienstes steigern. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre – vor allem die Finanzkrise und die Skandale bei großen Infrastrukturprojekten – haben gezeigt, wie dringend es ist, dass sich mehr der besten Köpfe dazu entschließen, die Effektivität der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen, anstatt am Tische des internationalen Finanzkasinos Platz zu nehmen.

Neben der Einkommensteuer sind die Erbschaftsteuer und die Besteuerung der Kapitaleinkommen am besten geeignet für eine gerechtere Verteilung der Vermögen zu sorgen. Zu Recht wollen SPD und Grüne auch hier die Bürger stärker in die Pflicht nehmen, weil Erbschaften und Schenkungen sehr ungleichmäßig verteilt sind und die Ungleichheit in Zukunft noch massiv verstärken könnten. Aktuelle demografische und makroökonomische Trends sprechen ebenfalls für eine Ausweitung der Erbschaftsteuer.

Einnahmequelle Erbschaftssteuer
 

Die jährliche Erbschaftssumme nimmt in Relation zum Volkseinkommen zu und macht die Erbschaftsteuer zu einer potenziell ergiebigen Einnahmequelle. Dabei steigt im Durchschnitt der Anteil des geerbten Vermögens an den gesamten Ressourcen, die einem Individuum während seines gesamten Lebens zur Verfügung stehen. Grob zeichnet sich folgender historischer Wandel ab: Während für die Generationen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden, das eigene Arbeitseinkommen eine wesentlich größere Bedeutung spielte als das geerbte Vermögen, leitet sich der Wohlstand der nachfolgenden Generationen zunehmend von Erbschaften ab und gleichzeitig sind ihre Arbeitseinkommen viel ungleichmäßiger verteilt.

Die Grünen streben in ihrem Programm an, das Aufkommen der Erbschaftssteuer zu verdoppeln. Das soll insbesondere dank der Abschaffung der volkswirtschaftlich schädlichen Begünstigung des Betriebsvermögens gelingen. Dies hat kürzlich auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums vorgeschlagen. Dabei zeigt sich der Beirat progressiver als die SPD, die sich auf ihrem Parteitag im Dezember 2011 für eine Steuerbefreiung der Unternehmenserben bei Weiterbeschäftigung der Betriebsmitarbeiter ausgesprochen hat und daran auch in Zukunft festhalten will. Mut zu mehr Progression bringen die Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in Bezug auf die Besteuerung der Kapitaleinkommen auf.

Nebelkerze Vermögenssteuer
 

Die SPD plant die Erhöhung der Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen, während die Grünen diese Einkommen wieder im Rahmen des persönlichen Einkommens besteuern wollen. Für welchen der beiden Wege man sich entscheidet ist am Ende nicht so wichtig. Sinnvoll ist es aber in jedem Falle der derzeitigen Diskriminierung des Arbeitseinkommens, das deutlich höher besteuert wird als Kapitaleinkünfte, entgegen zu wirken. Die jetzige Praxis kollidiert mit weit verbreiteten Gerechtigkeitsvorstellungen. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist eine solche Diskriminierung falsch: Spätestens seit der Finanzkrise leuchtet es immer weniger ein, weshalb man Spekulationsgewinne steuerlich belohnen sollte. Die neuen Möglichkeiten der internationalen Kooperation bei Datenabgleich und Steuerfahndung entkräften ein weiteres Argument für eine Begünstigung der Vermögenseinkommen.

Sie ist trotz der weltweiten Mobilität nämlich längst nicht mehr so leicht zu unterziehen wie früher. Überflüssig ist dagegen die von SPD und Grünen geplante Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder gar die Idee einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe. Die dahinter stehende Absicht kann bereits mit heute existierenden Steuern erreicht werden. Man braucht nicht das Vermögen extra zu besteuern, wenn man das Kapitaleinkommen besteuert. Findet man die steuerliche Belastung der Vermögensbesitzer zu gering, kann man einfach die Steuersätze existierender Steuern erhöhen und ihre Bemessungsgrundlage verbreitern.

Anstatt neue Steuergesetze zu produzieren, wäre es klüger, sich die extrem hohen Verwaltungskosten einer neuen Vermögensteuer zu sparen und die Arbeit des fachkundigen Personals des Staates auf die Optimierung des heutigen Steuersystems zu konzentrieren. Die einzigen Gewinner einer Vermögenssteuer wären die Vertreter der volkswirtschaftlich unproduktiven Steuervermeidungsindustrie, weil die Bewertung von Vermögensbestandteilen sowie ihre Erfassung jenseits nationaler Grenzen extrem schwierig sind. Wenn sich dadurch die zynische Einstellung verbreitet, dass nur der „Dumme“ Steuern zahlt, nimmt der Bürokratieüberdruss zu, die Steuermoral dagegen ab. Vergiftete gesellschaftliche Verhältnisse und sinkendes Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit des Staates wären die zu erwartende Folge.

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