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Auskunftsrecht - Journalisten verschlafen die Pressefreiheit

Um den internationalen Tag der Pressefreiheit bahnt sich in Deutschland eine Blamage an: Eine Petition, die für ein Presseauskunftsgesetz streitet, interessiert die Branche gar nicht. Ein solches Gesetz ist aber dringend notwendig

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Berlin, das Haus der Presse, Montagabend. Oben haben sie gerade über Geheimdienste, Verräter und verdeckte Informanten gesprochen. Unten steht die Aktivistin von Reporter ohne Grenzen. Sie verteilt Bleistifte und Poster, eine Weltkarte mit den „Feinden der Pressefreiheit“. Ob ihre Organisation genauso für ein Presseauskunftsgesetz, das mehr Medienfreiheit in Deutschland sichern würde, trommelt?

Die Frau zuckt mit den Schultern. Getwittert habe man was dazu. Aber bis zum 3. Mai – dem internationalen Tag der Pressefreiheit – „schaffen wir das auf keinen Fall. Wir sind völlig zu.“

Petent war im Visier des BND


Für ein Presseauskunftsgesetz läuft beim Bundestag noch bis zum 5. Mai eine Petition; vor dem Bundesverfassungsgericht ist eine Klage anhängig. Doch bei Journalisten und ihren Organisationen herrscht gespenstige Ruhe. Die Branche droht eine wichtige Gelegenheit im Kampf für mehr Pressefreiheit schlichtweg zu versäumen.

Gravierende Verstöße gegen die Pressefreiheit hat es zwar seit dem Cicero-Urteil 2005, das das Magazin in seiner Jubiläumsausgabe nochmals aufgreift, nicht mehr gegeben. In der Rangliste der Medienfreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland im vergangenen Jahr auf Platz 14 (plus 3) aufgestiegen. Trotzdem gibt es Nachholbedarf: Über Jahre hat der Bundesnachrichtendienst zahlreiche Journalisten abgehört. Deutschland ist nach Expertenansicht das am meisten überwachte Land Europas. Und dann gibt es da noch diese Gesetzeslücke.

Helmut Lorscheid wollte das alles nicht länger hinnehmen. Der freie Journalist war selbst vor Jahren im Visier des BND. Die Behörde hatte Protokolle über ihn erstellt, Adresslisten gesammelt. Als er Akteneinsicht zu diesen Vorgängen erbat, wurde ihm das verwehrt. Lorscheid kam nicht weiter.

Große Koalition kümmert sich nicht


Bewegung kam erst in die Sache, als auch die Bild-Zeitung ihre Erfahrungen mit der schweigsamen Behörde machte. Ein Reporter der Zeitung wollte Informationen über die NS-Vergangenheit von BND-Mitarbeitern. Der Bundesnachrichtendienst aber verzögerte die Auskunft. Der Reporter klagte. Das Bundesverwaltungsgericht gab aber eher dem BND Recht: Die Landespressegesetze, die Verwaltungen zwingen, auf Medienanfragen zu antworten, seien auf den Bund nicht anwendbar. Ein Auskunftsanspruch ergebe sich aber aus dem Artikel 5 des Grundgesetzes. Die Richter sprachen von einem „Minimalstandart“. Es sei Sache des Gesetzgebers, die Presseauskunft im Bund zu regeln.

Der aber zeigte kein Interesse. Die Große Koalition verschleppt und verzögert das Thema Presseauskunftsgesetz.

Der Bild-Reporter legte umgehend Verfassungsbeschwerde ein (Az. 1 BvR 1452/13). Das war im vergangenen Mai. Ein Jahr später hat das Gericht noch immer nicht über die Annahme der Klage entschieden.

Auch Helmut Lorscheid wurde aktiv. Er reichte beim Bundestag eine Petition ein. Aktennummer 47963, der Titel etwas sperrig: „Behörden und Verwaltungsverfahren – Verabschiedung eines Presseauskunftsgesetzes vom 16.12.2013“.

Lorscheid sprach mit Politikredaktionen, Fernsehsendern, überzeugte die Journalistengewerkschaften DJU und DJV, verschickte „mehrere Tausend Mails“. Die Reaktionen: überschaubar. Nach mehr als drei Wochen haben gerade einmal 1323 Personen die Petition mitgezeichnet. Damit ein Petent vor den Ausschuss geladen wird, braucht er 50.000 Unterstützer.

Desinteresse bei den Öffentlich-Rechtlichen


In den Betriebsräten großer öffentlich-rechtlicher Anstalten sei er „auf erstaunliches Desinteresse“ gestoßen, sagt Lorscheid. „Beim WDR wurde ich auf die Sprechstunde für die Freien verwiesen.“

Das Haus der Presse, oben in der sechsten Etage. Das unter anderem von „Reporter ohne Grenzen“ organisierte Podium dreht sich um die Frage: „Whistleblower – Helden oder Verräter?“ Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sitzt dort. Im Publikum: lauter Journalisten, die sich wohl mit Geheimdiensten auskennen. Von der Petition für ein Presseauskunftsrecht hat hier fast niemand gehört. Dabei geht es doch um ihr Arbeitsmittel. Um ihr Grundrecht. Georg Mascolo, Leiter des Investigativ-Ressorts von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR, ist die Initiative ebenfalls unbekannt. Er verspricht mitzuzeichnen.

Bis Mittwoch war sein Name jedoch nicht unter den Petenten zu finden. Auch eine Anfrage von Cicero Online blieb unbeantwortet.

Die Petition droht zu einer Blamage für die ganze Branche zu werden.

Petition fiel in den Tarifstreit


Helmut Lorscheid sagt, möglicherweise hätte er auf anderen Plattformen wie Change.org mehr Unterstützer gewinnen können. „Ich habe aber bewusst den Bundestag gewählt, weil das seriös sein sollte und ich nicht Unterschriften auf einem amerikanischen Server sammeln wollte.“

Der Petitionsausschuss brauchte mehr als zwei Monate, um über die Veröffentlichung seines Begehrens zu entscheiden. Diese lange Unsicherheit habe der Journalistengewerkschaft dju zusätzlich die Planung erschwert, sagt Geschäftsführerin Cornelia Haß. Zudem sei die Petition ungünstig terminiert gewesen: In den vergangenen Wochen lief ein Tarifstreit zwischen Verlegern und Journalisten. Der Konflikt habe die Kampagnenfähigkeit aller Beteiligter ausgezehrt, sagt Haß. Vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hieß es nur, man wolle das Thema Presseauskunftsrecht zunächst intern beraten.

Lorscheid kritisiert aber weniger die Presseorganisationen. Immerhin haben die wichtigsten in letzter Minute mitgemacht: Der Verband deutscher Zeitschriftenverleger und das Netzwerk Recherche warben in einer Rundmail für die Petition. Auch die Freischreiber und die Aktion Pro Quote wollen noch aufspringen.

Lorscheid ist aber enttäuscht, dass sich die anderen Verlage „einzig und allein auf die Bild-Zeitung“ verlassen – und auf das Bundesverfassungsgericht. „Das ist ein Armutszeugnis für die Medien.“

Und für die Medienmacher.

Zur Petition für ein Presseauskunftsrecht geht es hier.

Update vom 03.05.2014: Inzwischen hat Georg Mascolo die Petition mitgezeichnet.

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