Ein würdevoller Lebensabend wird mit dem deutschen Pflegesystem immer schwerer / Uwe Schwarze

Pflege - Vom Leben in passiven Verbformen

Das deutsche Pflegesystem kollabiert. Besonders die Langzeitpflege ist betroffen. Die aktuelle Pflegereform wird daran kaum etwas ändern.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Alles hat eine Schattenseite. Davon ist auch Gunnar Toelen (Name geändert) zutiefst überzeugt. Das Glück wirft einen Schatten; und auch die Gesundheit kennt gelegentlich dunklere Phasen. Selbst die Jugend, jenes übermütige Gefühl, das einen mittlerweile bis in die zweite Lebenshälfte zu begleiten scheint, weiß um einen brutalen Widerpart: „Ich möchte wirklich nicht alt werden“, entfährt es Gunnar Toelen. „Nicht vergreisen in dieser auf jugendlich zurechtgemachten Welt.“ Denn die Alten, sie liegen am Ende vergessen in abgedunkelten Zimmern und auf langen Fluren herum. Und die im Dunkeln – man sieht sie halt nicht.

Gunnar Toelen kennt das Leben auf der lichtabgewandten Seite ziemlich gut. Das Abhängig-, ja das vollkommene Vergessensein. Es ist ein Leben in passiven Verbformen: gewaschen, gelagert, gefüttert werden. Ein Leben, das sich nur durch fremde Hilfe erhalten kann. Noch ist Toelen mit seinen gut 40 Jahren hier nur ein Besucher. Hier, wo das Leben nach Urin und Linoleum stinkt, und wo von allem immer ein Stück zu wenig da ist: zu wenig Essen, zu wenig Liebe, zu wenig Waschlappen – vor allem aber zu wenig Zeit: „Oft haben wir keine Einlagen mehr“, klagt Toelen. Und selbst Katheter seien knapp bemessen. „Meistens gehe ich durch die Zimmer ohne Gummihandschuhe. Aber ich habe ohnehin keine Zeit, mich um so was zu kümmern.“ 

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Rainer Mrochen | Fr., 8. September 2023 - 09:02

...ihr pures Gold, frei nach Armin Laschet, von wo auch immer, und holt euch "Eure" Euros ab.
Unser Sozialsystem schafft das. Wir schaffen überhaupt alles. Wir schaffen es ja mittlerweile auch 0,3% unseres BIP für die Ukraine aufzuwenden.
Ich weis das klingt durchaus zynisch, vielleicht ist es das sogar. Der Bericht von Ralf Hanselle ist erschütternd. Hat dieser Teil unserer Gesellschaft das verdient? Vieles in diesem Land ist nur noch mit Galgenhumor zu ertragen.
In welcher Talkshow nimmt Karl Lauterbach dazu nochmal Stellung? War alles bekannt, daß es so laufen würde und nichts wurde dagegen getan. Mir fehlen an dieser Stelle die Worte, ich will auch gar keine mehr finden.

Heimen die Taschen füllen .. .
Meine am Sontag werdende 96 jährige Mutter, Vollblid Demenz pflegen wir (70 & 69) zu Hause.
Wir erwägten ab Januar meine Mutter im benachbarten Ort im Plegeheim unterzubringen. Nach Terminabsprache kam es zum Gespräch mit der Pflegedienstleiterin. Nach belanglosen Gespräch kam die Dame zum Punkt.
1. hat ihre Mutter Barvermögen ? Jaaaaa , 2. hat ihre Mutter Immobilienbesitz? Jaaaaaa. Dann wäre die Finanzierung des derzeitigen Eigenanteil von 2500 € der zum Jahresende um etwa 500€ ansteigt, kein Problem.
Auf den Weg zur Zimmerbesichtigung (gut 10qm + Dusche WC im Raum Bett Schrank Tisch Stuhl) kam uns ein „Bewohner“ halb angezogen mit Rollator aus seinem „Zimmer“ entgegen und wurde von der Pflegedienstleiterin angeherrscht, er möge sich doch ordentlich anziehen. Und, etwa 5 Meter daneben, standen zwei Pflegekräfe im gemütlichen small Talk beieinander.
Und das, sind wir der Meinung, hat niemand verdient.
M f g a d E R.
PS @ Morchen Goldstück = M. Schulz

Walter Bühler | Fr., 8. September 2023 - 12:00

Lieber Herr Hanselle, man sollte sich nicht in die Tasche lügen.

Der "demografische Wandel" ist keine "Geißel", die Gott, die Natur, ein Bakterium, ein bösartiges Virus, eine böse Fee, ein Kapitalist, ein böser Russe oder ein tückischer Chinese über das arme und unglückliche Deutschland geschwungen hätte.

Im Gegensatz zum Klimawandel ist der demografische Wandel nämlich vollständig menschengemacht, und zwar von den in Deutschland lebenden Menschen, mit voller Unterstützung der bundesdeutschen Gesellschaft und Politik.

Noch genauer: Er ist von Menschen gemacht worden, die sich der grundlegenden Aufgabe aller sonstigen Lebewesen in der Natur verweigert haben, für den biologischen Nachwuchs zu sorgen.

Der Hedonismus, der in Deutschland regiert, stellt die Vermeidung von Sorge, Mühe und Arbeit ins Zentrum der Lebenskunst. Deshalb drücken sich in Deutschland viele vor der Erziehung von eigenen Kindern und vor der Verantwortung in einer Familie.

Dieser Wahrheit muss man ins Auge sehen

Wir haben drei Mädchen. Viel investiert in Bildung & Ausbildung. Alle drei haben Wohneigentum. Jetzt fließen nicht unwesentliche Geldzuwendungen an unsere Enkel. Allein heut für unseren Zwilling 1. K gut 50 € im Schuhladen….
Wir sehen unsere Verantwortung für unsere Kinder Enkel und Urenkel und nicht zuletzt für unsere fast 96 jährige Mutter. Alles im Allen ein Vollzeitjob da selbst ein größeres EFH mit über 7.000 qm Grundstück das wir unser eigen nennen. Da ist nicht all zu viel mit Freizeit, Reisen oder anderen Vergnügungen. Und heute ? Fordert die IG Metall die 4 Tage Woche. Es läuft etwas Grund falsch in diesem Land …. Was haben die links grünen Studienabbrecher und Nichtskönner aus diesem Land gemacht? Was sagte Kühnert heute im BT auf seine „Lebensleistung“ angesprochen : er wurde „gewählt“ (immerhin mit 27% als Direktkandidat auch keine Glanzleistung !)
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Ellen wolff | Fr., 8. September 2023 - 12:39

Die Probleme sind vielfältig, überall fehlt es an Personal. Es fehlt an Ärzten, Erziehern, Pflegekräften, Lehrern usw. Was macht die Politik. ? Die Bürokratie wird immer weiter aufgebläht, wir leisten in der Verwaltung doppel und dreifachstrukturen. Die Sozialleistungen werden immer weiter aufgebläht auch für Menschen, die arbeiten könnten. Manche menschen müssen sich ihre Sozialleistungen bei 3-4 verschiedenen Stellen beantragen. Kein Mensch blickt noch bei den vielen Gesetzen mit Querverweisen usw. durch. Wir doktern immer nur an einzelnen Symptomen herum und haben den Überblick verloren. Auf der andern Seite werden ständig neue Wahlgeschenke gemacht, Denunziationsportale eröffnet und alle möglichen NGOs mit Geld zugeschüttet. Ganz abgesehen von den Kohorten von unnützen Beratern, die von der Politik bezahlt werden. Es müsste mal alles auf den Tisch, wie viele Arbeitsfähige Menschen haben wir, welche Aufgaben müssen erledigt werden, wie können wir die unsägliche Bürokratie abbauen

Christa Wallau | Fr., 8. September 2023 - 12:48

Jedes Wort stimmt!
Aus eigener Erfahrung (einer unserer Söhne arbeitet in einem Altenheim) weiß ich, wie desolat die Lage dort ist - eines angeblich reichen Industrielandes absolut unwürdig!
Statt die eigenen alten Mitbürger von gut ausgebildeten / bezahlten Fachkräften betreuen zu lassen, erdreistet sich unsere tolle deutsche Regierung, Millionen Wildfremden Zutritt zu unserem Land u. seinen Sozialsystemen zu gewähren, die nicht den geringsten Anspruch darauf haben.
Ich nenne dies ein VERBRECHEN AM EIGENEN VOLK!
Warum begreifen viele Deutsche bis heute nicht, was man ihnen antut?
Darauf finde ich einfach keine Antwort.
Man müßte alle Abgeordneten verpflichten, einmal eine Woche in einem Altenheim zu arbeiten, um am eigenen Leib zu erleben, wie dort von dauernd überforderten u. größtenteils ungelernten Leuten in Schicht-Teams gearbeitet werden muß, um den Laden notdürftig am Laufen zu halten. Und für diese
"Pflege" müssen die Alten noch teuer bezahlen.
Es ist ein SKANDAL !!

Ernst-Günther Konrad | Fr., 8. September 2023 - 13:44

Wer im Bekanntenkreis oder der gar in der Familie, wie ich mit zwei Krankenschwestern, bei Feiern und sonstigen Treffen Gespräche führt, wird die Worte des Herr Toelen und seine Wirklichkeitsbeschreibungen eins zu eins wieder hören. Nein, das ist nicht die Ausnahme, das ist der Regelfall. Diejenigen, die diese Land mit aufgebaut haben und es zu Wohlstand gebracht haben, vegetieren zum Ende ihres Lebens unter solchen Bedingungen dahin. Am besten schnell wieder Corona, ein Spritzchen und weg sind sie. Verschlossen in einem neuen Lockdown und unsichtbar für die Außenwelt, wenn der Besucherverkehr wieder eingeschränkt wird. Und das alles nicht seit gestern, sondern schon Jahrzehnte lang. Und die Helfer und Pfleger, sie ächzen unter der Belastung und werden selbst dabei krank an Körper und Seele. Man hofft für sich, hoffentlich kein Pflegefall werden und wir haben eine Patientenverfügung. Nein, so wollen wir nicht enden. Lieber suchen wir für uns einen eigenen Weg aus. Wenn es geht.

Heidemarie Heim | Fr., 8. September 2023 - 15:25

Entschloss bzw. überwand ich mich Ihren Artikel geehrter Herr Hanselle zu lesen und das von mir schon befürchtete inhaltliche Elend zur Kenntnis zu nehmen. Denn auch ich fühle mich bisweilen heute noch, und erst recht wenn mich ein Beitrag wie der Ihre daran erinnert, als Versagerin. Ich habe in meinem Leben angefangen in frühester Jugend von Ferienjobs, Babysitter-Festanstellung;) mit 14 bei unserem damaligen Bürgermeister, Fabrikarbeit in Schicht im Akkord zur Finanzierung meiner Ausbildung inkl. Praktika, Klinikum usw. in jeder denkbaren medizinischen Institution bis zu einer langjährigen Selbstständigkeit mit bis zu 60 Stunden in der Woche, nie eine die Seele und Körper mehr zermürbende Tätigkeit, sowie eine im Turbotempo wirksamere Therapie gegen mein von vielen Mitmenschen bestätigten Helfersyndroms ausgeübt! Und letztendlich in meinen Augen versagt. Ich zog die Handbremse, als ich aus Zeitmangel einen Bewohner noch auf der Morgentoilette sitzend rasierte und er dies duldete. MfG