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Parteien - Wahlkampf ohne die deutsche Wirtschaft

In diesem Bundestagswahlkampf fehlt ein entscheidendes Detail: Kaum eine Partei äußert sich zu industriepolitischen Themen

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Der Countdown hat begonnen, nun wird runtergezählt: noch 95, 94, 93 … Tage bis zur Bundestagswahl. Wahlkampf ist Wahlkampf – immer dasselbe. Das sagt sich leicht. Das mag auch so wirken, wenn man die politischen Sprechblasen vorbeifliegen lässt. Doch diesmal fehlt da was in der schillernden Werbeprosa der Parteien. Ein Schlagwort, das früher alle nutzten, scheint nicht mehr in der Luft: Standort Deutschland.

Es geht dabei weniger um die Formulierung selbst, die mag schon noch hier und dort auftauchen. Es geht um den Inhalt: Industriepolitik. Die scheint derzeit für keinen der Macht-Wettbewerber Konjunktur zu haben. Wie erstaunlich das ist, zeigt ein Blick auf die zurückliegenden Bundestagswahlen. [[nid:54747]]

2009 hieß es, Deutschland müsse wirtschaftspolitisch weiter aus der Krise geführt werden. 2005 rechtfertigten beide Lager die Sozialstaatsreformen als notwendig, um den Industriestandort Deutschland zu retten. 2002 ging es um Wachstum, Wachstum, Wachstum. Und 1998 siegte Gerhard Schröder mit dem Spruch „Innovation und Gerechtigkeit“; für die Innovation stand der Kandidat und spätere Kanzler höchst selbst als „Genosse der Bosse“.

Und nun? Die SPD nennt ihre eigene „Agenda 2010“ fehlerhaft und gibt nur verschämt zu, dass darin ein Grund für den gegenwärtigen wirtschaftlichen Erfolg der Nation liegt.

Die Grünen wollen in den meisten - einst mitgetragenen! - Punkten die Rolle rückwärts und der Wirtschaft an die Schatulle. Die Partei „Die Linke“ – keine Frage – ging stets in diese Richtung.

Die Union lobt zwar die dollen Zahlen der Industrie und hofft inständig, die Hausse möge noch bis zum Wahltag anhalten. Doch industriepolitische Versprechen verkneift sie sich weitgehend.

Die FDP, die ihr bestes Ergebnis je einfuhr vor vier Jahren als selbsternannte Steuersenkungspartei, mag diesmal nur zusagen, dass mit ihr möglichst keine Steuern erhöht werden. Gegen eine Erhöhung von Sozialversicherungsbeiträgen jedoch wollen sich Union wie Liberale nicht festlegen.

Die Wirtschaft treiben vor allem drei Themen um: Steuern, Energie(-preise) und Innovationen. In jedem der Wahlprogramme lesen sich diese Kapitel wie Thriller, am gruseligsten bei den Grünen.[[nid:54747]]

Vermögenssteuer einführen; Grundsteuer, Spitzensteuer und Ertragsabgeltungssteuer spürbar erhöhen sowie die Erbschaftssteuer gleich verdoppeln. Zu alledem haben sich Grüne noch eine „befristete Vermögensabgabe“ einfallen lassen, die über Jahre hinweg 100 Milliarden Euro bei den Millionären eintreiben soll. Außerdem müssten künftig die forschungsintensiven Betriebe Mineralölsteuer zahlen, was deren Rohstoffkosten teils verdreifachen würde. Auch bei den Ausnahmen zur EEG-Umlage für derzeit mehr als 2300 Unternehmen wollen die Grünen drastisch streichen.

Das hat auch die Union angekündigt; unter zustimmender Duldung der FDP. Die SPD will ebenfalls neben weiteren Steuererhöhungen die Vermögenssteuer einführen. Kanzlerkandidat Steinbrück versichert zwar schmallippig, an den Unternehmenssteuern ändere sich nichts, aber das scheinen ihm nicht einmal seine politischen Freunde zu glauben.

„Unsere Mittelständler sehen die Vermögenssteuer sehr problematisch“, warnte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die eigenen Grünen wie die SPD. „Unsere Unternehmen stehen im globalen Wettbewerb, sie müssen massiv in Forschung und Entwicklung investieren und Eigenkapital bilden.“

Die große Angst aller Unternehmen, kleinen wie großen, ist, dass ihre Substanz besteuert wird. Und die möglichen Auswirkungen für Familienunternehmen sowie die Mühen der Mittelständler, „die ihre Rolle auf dem Weltmarkt jede Woche neu verteidigen müssen“, so Kretschmann, hätten viele nicht auf dem Schirm.

Doch der erste grüne Regierungschef rief in die Wüste. Soziale Gerechtigkeit ist die große Überschrift für diesen Wahlkampf. Auch bei der Union, die inzwischen ja mit eigenen Worten Mindestlöhne und Mietbeschränkungen fordert. Die wie alle anderen auch die Finanztransaktionssteuer will und die Energiewende sowieso. Die allein wird laut Altmaiers Vorhersage eine Billion kosten, also eintausend Milliarden Euro.

Bei dem von allen Deutschen gewünschten Staats-Umbau hin zu sauberer Energie wollen sich die Parteien in ihren Programmen gegenseitig übertreffen. Union und FDP versprechen, dass bis 2022 kein deutsches Atomkraftwerk mehr in Betrieb sein und regenerative Energie die Lücke schließen wird.

Doch an die Grünen kommt auch hier keiner ran: 2030 soll die Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien sein, 2040 auch Wärme und Verkehr. Fracking jedoch, die Gewinnung von Gas aus Schiefergestein, wollen bis auf die FDP alle Parteien vorerst gänzlich verbieten – und somit auch jede Feldforschung, um an die vermuteten 2,3 Billionen Kubikmeter deutsches Erdgas heranzukommen.[[nid:54747]]

Weil die Unternehmen die Grundlastversorgung mit Strom in Gefahr sehen und Milliarden teure Stromausfälle fürchten, investieren sie zunehmend in Generatoren und eigene kleine Kraftwerke. Auch das kostet sie viel Geld, welches sonst in Forschung und Entwicklung fließen könnte, um den Standort zu sichern.

„Breite Front gegen die Wirtschaft“ – hat das Manager-Magazin einen meinungsstarken Artikel in seiner aktuellen Ausgabe überschrieben. Er beschreibt einen „Wahlkampf, in dem die Wirtschaft zur Zielscheibe geworden ist. Vorbei sind die Zeiten, als um Qualitätsverbesserungen des Standorts Deutschland gerungen wurde. Da ja scheinbar alles von allein läuft in der Wunderökonomie D, versuchen die Parteien dieses Jahr nur mit einem einzigen Thema zu punkten: Umverteilung.“

Nun ist die deutsche Wirtschaft geschult darin, auf hohem Niveau zu klagen, und zwar Unternehmer wie Gewerkschaften gleichermaßen. Doch welche Lektion hat Deutschland eben noch bitter lernen müssen? Dämme müssen ständig ausgebessert werden – und zwar bevor es regnet. Wenn sie dann hielten, sollten sie bei Sonnenschein nicht abgetragen werden. Das gilt auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

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