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Piraten und Urheberrecht - Mit vollen Segeln in die Vergangenheit

Liberalisierung des Urheberrechts haben sich die Piraten auf ihre Fahnen geschrieben. Was so niedlich klingt, ist ein Rückfall in eine rechtsfreie Epoche, bei dem der Schutz des Künstlers in den Hintergrund rückt. Es ist ein Rückschritt in die Zeit der 68er – dem Credo folgend: „Eigentum ist Diebstahl“.

Im Kölner Landgericht steht eine reizende Kunstfälscher-Bande um den offenkundig genialen Max Ernst- und Campendonk-Imitator Wolfgang Beltracchi vor ihren Richtern. Dem ehemaligen Gebrauchsmaler, der mit seinen nachempfundenen Werken Millionen verdiente (wie auch die düpierten Experten und Galeristen), droht eine Strafe  von sechs Jahren Gefängnishaft. Er ist ein geschickter und geständiger Betrüger. Aber was hat er eigentlich getan – abgesehen von der Vorspiegelung falscher Tatsachen, um Geld zu verdienen? Im Prinzip vor allem dies: Er hat das geistige Eigentum der berühmten Künstler gestohlen – ihren malerischen Gestus, ihre Farbgebung, ihre ästhetische Handschrift, ihren Stil. Hätte er die Bilder für sich behalten, wäre als einer von vielen Epigonen in die ungeschriebene Kunstgeschichte der Hobbykünstler eingegangen – ein Privat-Pirat, mehr nicht.

Was uns zum Thema bringt: Die so jugendlich auftretende Piratenpartei vertritt die Auffassung, dass so altmodische Gesetze wie das Urheberrecht (und das zugehörige Nutzungsrecht zum Beispiel von Verlagen) in der schönen neuen Welt des Internets nichts zu suchen haben. Ihr Rechtsverständnis spiegelt die Realität des Internets wider. Wer, um ein Beispiel zu nennen, vor vierzig Jahren auf Platz eins der amerikanischen Bestseller-Liste für eine Bach- oder Beethoven-Einspielung stand, konnte mit Verkäufen in der Höhe von bis zu einer Millionen Schallplatten rechnen. Heute reicht es allemal für 10.000 verkaufte CDs. Die Differenz ist schnell benannt: Illegal oder legal auf Laptop oder PC herunter geladen, verbreitet sich das Kunstwerk kostenlos zum wirtschaftlichen Nachteil des Künstlers in aller Welt. Er mag zwanzig Jahre seines Lebens geübt haben, um das hohe Niveau seines Klavier- oder Geigenspiels zu erreichen. Gestohlen wird ihm nicht nur sein Einkommen, sondern seine Lebenszeit.

Nicht viel anders sieht es in der Bücherwelt aus. Wie viele der Hunderttausende Bücher, die  auf den Ipads, den Kindles und anderer Tablets angeboten werden, urheber- und nutzungsrechtlich geschützt sind, ist kaum noch abzuschätzen. Es dürften Zehntausende sein. Wir erleben einen Rückfall in eine rechtsfreie Epoche, in der geistiges Eigentum der Vorstellung unterliegt, die Verbreitung von Kunstwerken ohne Rücksicht auf die materiellen Interessen ihrer Urheber diene einem höheren Ziel – der Aufklärung, der Verbreitung von Wissen und Kultur. Doch zu unserem Kulturbegriff gehören seit mehr als einhundert Jahren Recht und Gesetzlichkeit zum Schutz der Künstler.  

Die Piratenpartei mag der Ansicht sein, die Gesellschaft müsse sich dem Fortschritt der kommunikativen Technologie anpassen. In Wirklichkeit propagieren sie nur die Rückkehr in die gute alte Zeit der 68er Jahre, in der Raubdrucke, die in Berliner Kneipen feilgeboten wurden, den Käufern die Illusion verschafften, ganz auf der Höhe des Zeitgeistes zu sein, der da lautete: „Eigentum ist Diebstahl“.

Dabei sollten doch gerade die Polit-Piraten vor ihren Laptops eines ganz besonders schnell begriffen haben: Die Algorithmen hinter den Software-Programmen ihrer Geräte sind das Eigentum ihrer Entwickler, und sie verteidigen es mit allen Mitteln, die das Urheberrecht zur Verfügung stellt.

„Informationelle Selbstbestimmung“, dieses Zauberwort eines Urteils des Verfassungsgerichts,  betrifft nicht nur das Recht des Bürgers auf seine Privatsphäre, sondern in ihm ist auch die Idee beschlossen, dass sein geistiges Eigentum immer noch Vorrang hat vor allen möglichen Ansprüchen der Allgemeinheit,  dieses Eigentum nutzbringend zu verstaatlichen. Zu diesem Eigentum gehört auch sein Werk, ob literarisch, musikalisch, malerisch, künstlerisch oder wissenschaftlich. Die Piratenpartei wird sich daran gewöhnen müssen – das schlechte Vorbild des ehemaligen Politikers zu Guttenberg vor Augen. Vom Kunstfälscher Beltracchi ganz abgesehen.

Fotos: picture alliance

PS: Dieser Artikel über die Piratenpartei und das Urheberrecht, den CICERO ONLINE am Freitag veröffentlicht hat, ist von unseren Lesern vielfältig diskutiert und auch kritisiert worden. Hier antwortet Michael Naumann seinen Kritikern.

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