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(picture alliance) Gauck und Merkel: Was wie die Korrektur einer Fehlentscheidung aussieht, wird der Kanzlerin zum Vorteil gereichen

Diktat statt Wettbewerb - Merkels Präsident

Auch, wenn Merkels Zaudern ihr noch als Schwäche ausgelegt wird, so wird sie von der Nominierung Gaucks zum Bundespräsidenten langfristig profitieren. Doch die Entscheidung für Gauck ist eine Entscheidung gegen den demokratischen Wettbewerb

„Rufen Sie doch Frau Merkel an.“ Das waren die Worte Joachim Gaucks, als er am Sonntagmorgen gefragt wurde, ob er Bundespräsident werde. Tatsächlich war es am Ende die Kanzlerin, die das künftige deutsche Staatsoberhaupt krönen sollte. Bis zuletzt hatte Angela Merkel sich gegen den Bürgerrechtler gestemmt – wäre seine Nominierung doch das Eingeständnis gewesen, dass sie bei der Wahl Christian Wulffs vor einem Jahr einen Fehler gemacht hatte. Doch letztlich blieb ihr nichts anderes übrig: Das FDP-Präsidium hatte einstimmig für Gauck votiert. Damit setzten die Liberalen die Union massiv unter Druck, in der Koalition gärte es.

CDU-Politiker sprachen von einem „gewaltigen Vertrauensbruch“, Innenexperte Wolfgang Bosbach drohte: „Man sieht sich im Leben immer zweimal.“ Und in einem Interview mit der Welt räumte FDP-Chef Philipp Rösler ein: „Die Möglichkeit, die Koalition zu beenden, ist von der Union mehrfach genannt worden.“ Doch als die Journalisten in der Regierungspressekonferenz am Montagabend nach dem Koalitionskrach fragten, war von Sprecher Steffen Seibert darüber nichts zu hören: „Sie brauchen sich um die Koalition, ihren Bestand und überhaupt um die Bundesregierung gar keine Sorgen zu machen.“ Merkel habe das persönliche Ziel gehabt, mit SPD und Grünen einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten zu finden. „Dieses Ziel hat sie erreicht“, ergänzte Seibert.

[gallery:Joachim Gauck, der Bürgerpräsident]

Merkel als Präsidentenmacherin. Merkel als Retterin der Koalition. Obendrein kann sie ihr Einlenken noch als Klugheit verkaufen. Wenn die Bürger ihren neuen Bundespräsidenten aber erst einmal lieben gelernt haben, werden sie den schwarz-gelben Streit schon bald vergessen haben. Dann werden nur noch Historiker und kritische Journalisten Merkel das anfängliche Zaudern nachtragen. Man wird sich letztlich nur noch daran erinnern: Merkel hat den Gauck gemacht. Denn hätte sie den Daumen gesenkt (und den Koalitionspartner auflaufen lassen), wäre es nie zu dieser Personalie gekommen.

Doch während Merkel mit ihrer Entscheidung Schaden vom Amt des Bundespräsidenten abwenden wollte, hat sie zugleich dem demokratischen Wettbewerb einen erheblichen Schaden zugefügt.

Und dieser Schaden richtet sich zunächst gegen ein Verfassungsorgan: die Bundesversammlung, die am 18. März zusammentritt. 1.240 Wahlleute werden es sein, die im Wesentlichen nur eine Aufgabe haben werden: Joachim Gauck durchzuwinken. Eine Wahl steht an, doch der Kandidat steht schon fest. Wann hat es so etwas schon einmal gegeben?

Vielleicht werden sowohl die Linkspartei, die sich mit dem ersten Chef der Stasi-Unterlagenbehörde nicht anfreunden konnte und die nach derzeitigen Rechnungen 125 Vertreter (10,1 Prozent der Sitze) in der Bundesversammlung haben wird, als auch die drei NPD- und die zwei Piraten-Vertreter einen Gegenkandidaten präsentieren. Die Linken hatten bei den vergangenen Präsidentenwahlen erst den Schauspieler Peter Sodann und dann die eigene Abgeordnete Luc Jochimsen vorgeschlagen. Die NPD war 2009 mit dem rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke ins Rennen gegangen. Und für die Piraten kursiert im Netz zurzeit etwa der Name des Kabarettisten Georg Schramm. Von diesen drei Parteien werden somit kaum ernsthafte Vorschläge zu erwarten sein.

Seite 2: Die Bundesversammlung – ein mittelalterliches Ornat?

So wie im Mittelalter das Kurfürstenkollegium den römisch-deutschen Kaiser wählte, so wäre die Bundesversammlung auch heute nur noch ein Ornat, das längst getroffene Entscheidungen legitimiert. Zwar standen auch in der Vergangenheit bei den meisten Präsidentenwahlen schon die Mehrheitsverhältnisse für die Kandidaten fest – und wirklich spannend waren nur die Wahlen 2009, als Horst Köhler gegen Gesine Schwan antrat, sowie 2010 beim Poker zwischen Gauck und Wulff – aber noch nie wurde bei einer Erstwahl eines Kandidaten die Parteienkonkurrenz derart über Bord geworfen wie diesmal. In den vergangenen Wochen und Monaten war viel davon gesprochen und geschrieben worden, dass das Amt des Bundespräsidenten beschädigt wurde. Mit der Beschädigung der Bundesversammlung wäre nun das zweite Verfassungsorgan an der Reihe.

Und dass dieser Schaden ausgerechnet vom wortgewaltigen Verfechter der Demokratie personifiziert wird, kann nicht gut sein. Joachim Gauck zeigte sich im vergangenen Jahr als kluger Gegenkandidat und fairer Verlierer. Jetzt wird ausgerechnet über seine Personalie der demokratische Wettbewerb unterwandert.

Doch was wie ein Einzelfall aussieht, ist schon aus anderen Zusammenhängen im vergangenen Jahr bekannt. Beispiel Eurokrise. Das Bundesverfassungsgericht hatte bei der Entscheidung über die Griechenland-Hilfen im Herbst mehr Mitbestimmung des Bundestags angemahnt. Trotzdem peitschte Merkel die Hebelung der EFSF-Milliarden kurz danach im Zwei-Tage-Rekordtempo durch den Bundestag. Die Abgeordneten hatten kaum Zeit, sich mit der komplexen Materie vertraut zu machen. Merkel hatte die Euro-Politik immer wieder als „alternativlos“ bezeichnet – ein Begriff, den die Gesellschaft für Deutsche Sprache später zum Unwort des Jahres kürte. Auch jetzt schien Merkel zu erkennen: Gaucks Wahl war im Wesentlichen alternativlos. Diesmal war sie es jedoch, die sich den „Sachzwängen“ beugen musste.

Ähnlich verfuhr die Kanzlerin bei der Atomwende. Zuerst nickte ihre schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit den Ausstieg aus dem Ausstieg ab. Im Juni vergangenen Jahres, knapp vier Monate nach der Reaktorkatastrophe Fukushima, zwang sie ihre Abgeordneten dann zur radikalen Kehrtwende: nun also doch Ausstieg.

Die Abwertung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesversammlung wird den Akteuren jedoch nicht übel genommen. Merkel ist in Umfragen die unangefochtene Nummer eins; mehr als zwei Drittel der Deutschen zeigten sich mit ihrem Management der Euro-Krise zufrieden. Ihre positiven Werte färben sogar auf die CDU ab. Ähnlich verhält es sich mit dem baldigen Bundespräsidenten. In einer Infratest-dimap-Erhebung für die ARD wählten am Sonntag 49 Prozent der Befragten Gauck als ihren Favoriten.

Und so, wie Merkels Beliebtheit auf die CDU abstrahlt, wird Merkel wiederum von Gaucks Beliebtheit punkten können. Dem Ansehen unseres Landes mögen beliebte Spitzenpolitiker sicher gut tun. Ob es der Demokratie gut tut, wenn sich Politik unter Ausschaltung der Wettbewerbsregeln nur noch auf Personalien beschränkt, ist dagegen eine ganz andere Frage.

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