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Merkel contra Böhmermann - Dieser Anruf war ein Fehler

Kisslers Konter: Die Bundeskanzlerin distanzierte sich öffentlich von einem Schmähgedicht auf Erdogan. Weder aber gehört die Meinungsaufsicht zu ihren Pflichten noch diente sie durch ihren Anruf bei Ahmet Davutoglu den deutsch-türkischen Beziehungen. Unterwürfigkeit bekommt keiner Beziehung. Und sie nutzt nicht eigenen Interessen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das Zeitmanagement der Angela Merkel kann man nur bewundern. Zur gleichen Zeit, da sie die Haupt- und Nebenfolgen ihrer weitgehend gescheiterten Zuwanderungspolitik abzumildern sucht, da mehr Flüchtlinge in der Türkei ankommen als zurückgeführt werden, da selbst diese Rückführung mittlerweile ganz unterbrochen wurde, zur gleichen Zeit, da sich in Deutschland eine erklecklich hohe Zahl unregistrierter Flüchtlinge tummelt und sich die Griechenlandfinanzkrise „mit Wucht“ zurückmeldet – da findet die Bundeskanzlerin die nötige Muße, um mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu über Sinn und Unsinn deutscher Satire zu plaudern. Offenbar will sich die Chefin der Exekutive als Deutschlands oberste Humorsachverständige profilieren.

Kein Wort des Lobes kam mir bisher zu Jan Böhmermann über die Lippen. Der Zeitpunkt, es zu tun, liegt weiterhin in der Ferne. Der Krawallkomiker gefällt sich in der Rolle des zotigen Klassenclowns, dem kaum eine intellektuelle Niederung zu tief ist. Ölig surft er auf den Wellen der Mehrheitsmeinung. Sein Mäntelchen der Subversion dreht sich im Winde. Insofern war der Stein des jüngsten Anstoßes, sein Schmähgedicht mit dem Titel „Schmähkritik“, ein echter Böhmermann. Im strengen Paarreim wurden da dem Autokraten vom Bosporus allerhand abartige sexuelle Vorlieben angedichtet. Staatspräsident Erdogan sei schlicht „pervers“. Das ZDF entfernte den Beitrag nach der erst- und einmaligen Ausstrahlung im Spartenkanal „ZDF neo“ aus seiner Mediathek, und Merkel griff zum Hörer.

Diplomatie um jeden Preis
 

Sie hätte es lassen sollen, lassen müssen. Maximal entfernt ist alle Kultur- und Meinungsaufsicht von ihren Pflichten, zumal den gegenwärtigen, zumal im Verhältnis zu anderen Staaten. Hat sie sich etwa bei Papst Benedikt XVI. entschuldigt, als eine deutsche Satirezeitschrift auf ihrem Cover den damaligen Papst als inkontinenten Greis der Lächerlichkeit preisgab? Oder für eine beliebige Ausgabe der „heute show“, in der regelmäßig der russische Präsident als priapischer Tyrann und der französische Präsident als zwergwüchsiger „kleiner Nick“ verunglimpft werden? Nein, sie tat es nicht, tat es glücklicherweise nicht. Nun aber setzte sie sich mit Davutoglu ins Benehmen, dass dieser Jan Böhmermann einen „bewusst verletzenden Text“ verfasst habe und dass das ZDF bereits die richtigen „Konsequenzen“ gezogen habe. Auch in Deutschland seien „Presse- und Meinungsfreiheit (…) nicht schrankenlos“. Sie tätschelte der türkischen Regierung das Händchen und distanzierte sich öffentlich vom öffentlich-rechtlichen Brachialkomiker. Die diplomatische Achse Ankara-Berlin soll schnurren, koste es, was es wolle.

Doch auch dieser Preis ist zu hoch. Aus vielen Gründen: Merkel hat einen Staat, in dem derzeit Presse- und Meinungsfreiheit wenig gelten, in der von diesem Staat überdehnten Auffassung bekräftigt, auch im Westen würden Freiheitsrechte eingeschränkt. Die „Konsequenzen“ des ZDFs sind harmlos, verglichen mit den Folgen, die ein türkischer Komiker zu tragen hätte, äußerte er sich in vergleichbarer – oder weit abgeschwächter Form – über das amtierende Staatsoberhaupt. Angekommen aber ist in Ankara gewiss eine frohe Botschaft aus der Ära der Prügelpädagogik, die Merkel überbrachte: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“

Der Subtext des Anrufs
 

Zweitens nährte sie durch ihre Intervention den bösen Verdacht einer besonderen Nähe von Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Es war eben kein privates Pamphlet, von dem sie sich distanzierte, sondern ein Beitrag in einer gebührenfinanzierten Unterhaltungsshow. Da klingt – nolens volens – der Unterton mit, sie hätte derlei Geschmacklosigkeit gerne vorab verhindert. Drittens stützte sie durch die Spezialbehandlung für die türkische Regierung das Bild vom stolzen, leicht reizbaren Mann am Bosporus, dem traditionell keine Unverschämtheiten zuzumuten seien. Viertens fiel sie durch ihren Kotau all jenen Türken und Türkinnen in den Rücken, die ihren schweren Kampf für eine moderne, menschenrechtsfeste Türkei unbeirrt fechten. Fünftens erweckte der Anruf den fatalen Eindruck, die Kanzlerin habe sich in der schwierigen Auseinandersetzung zwischen islamischen und westlichen Werten auf die Seite der ersteren geschlagen. Sechstens hat ein „in der Geschichte der EU und Deutschlands einmaliger Akt unterwürfiger Diplomatie“ einmal mehr die Frage aufgeworfen, inwieweit deutsche Interessen von der deutschen Kanzlerin überzeugend vertreten werden.

Wie man es dreht und wendet: Der Anruf war ein strategischer wie prinzipieller Fehler und mehr als ein Fauxpas aus überschießender Sehnsucht nach Realpolitik. Wird er Konsequenzen haben? Solange die Bundesrepublik keine öffentlich-rechtliche Anstalt geworden ist: aber iwo doch.

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