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Karneval und Terror - Wir sind alle Gefangene

Kisslers Konter: Die Terrorwarnung zum Braunschweiger Karneval wirkt nach. Einer Viertelmillion Menschen wurde das Recht genommen, ausgelassen und friedlich auf der Straße zu feiern. Doch wenn ein Staat weder die Sicherheit noch die Freiheit seiner Bürger schützen kann, verliert er seine Funktion

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die neue Normalität des Jahres 2015 sieht so aus: Am Sonntag erfährt die Welt von 21 in Syrien hingerichteten ägyptischen Christen, ermordet durch muslimische Terroristen, die sich „Islamischer Staat“ nennen.

Derselbe Sonntag hatte in Dänemark damit begonnen, dass der muslimische Palästinenser Omar Abdel Hamid el Hussein eine Synagoge stürmen wollte, in der sich Juden zur Bar-Mitzwa versammelt hatten. Er erschoss einen jüdischen Wachmann, ehe er selbst im Kugelhagel der Polizei starb. Tags zuvor hatte derselbe Omar Abdel Hamid el Hussein wahllos durch die gläsernen Scheiben eines Cafés gefeuert, in dem gerade eine Konferenz über Blasphemie und Meinungsfreiheit stattfand. Von rund 200 Schüssen traf einer den Dokumentarfilmer Finn Nørgaard tödlich. Am Sonntagabend wiederum wurden im französischen Sarre-Union über 250 jüdische Gräber und ein Holocaust-Denkmal geschändet. Dass es katholische oder hinduistische Antisemiten waren, ist eher unwahrscheinlich.

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Und in Deutschland? Da lieferte am Montag ein Kölner Karnevalswagen das treffendste Symbol zur neuen Normalität des Jahres 2015, die im Wesentlichen aus islamistischem Terror und westlichem Appeasement gemacht ist. In Köln war vorab ein Wagen aus dem Verkehr gezogen worden, der in harmloser Weise den islamistischen Anschlag auf „Charlie Hebdo“ zum Thema haben sollte. Nun fand, auf halb konspirativen Pfaden, ein noch harmloserer Motivwagen den Weg in den Umzug. Er zeigt einen Clown, der unverdrossen einen Buntstift namens „Narrenfreiheit“ bewässert, um den eine Reihe bereits geköpfter Stifte gruppiert sind. Mutig zeigten sich einzig die Karnevalisten von Düsseldorf, die einen geköpften Karikaturisten auf der Flucht vor einem vermummten Attentäter mit bluttriefendem Krummsäbel präsentierten und die Aufschrift: „Satire kann man nicht töten.“

Absage des Karneval in Braunschweig ist eine Zäsur


Das treffende Symbol zur neuen Normalität aber ist grau. Es ist jener Wagen der „Kölnischen Karnevals-Gesellschaft von 1945“, der ein Kasten ohne Figuren ist, in, wie es selbstironisch heißt, „freudeversprühendem Grau“. Es ist diese die Kehle zusammen schnürende Leerstelle, die zeigt, was normal geworden ist 2015 und darüber hinaus: dass der Westen sich viel zu häufig und viel zu leicht seiner Farbigkeit selbst beraubt, dass er alle Schattierung, alles Für, alles Wider, alles Schillernde preisgibt, aus Angst und aus Feigheit. Dass er also abdankt.

Wer an der Selbstabdankung des Westens zweifelt, dem sei der Blick nach Braunschweig empfohlen. Dort hat der Staat vor dem Islamismus kapituliert. Gemäß einem bekannten Wort Spinozas ist der Zweck des Staates „in Wahrheit die Freiheit“. In Braunschweig gilt die Freiheit des Versammlungsrechts nichts mehr.

Einer Viertelmillion Menschen wurde das Recht genommen, sich verkleidet unter Ihresgleichen auf die Straße zu begeben und Fasching zu feiern. Die Absage des größten Karnevalsumzugs Norddeutschlands aus Angst vor islamistischen Anschlägen ist eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, besagt sie doch: Der Staat gibt auf, er zieht sich zurück, er legt die Definitionshoheit über den öffentlichen Raum und dessen Grenzen in die Hände islamistischer Terroristen – oder sogar nur solcher, die sich dafür halten. Der Hinweis eines Verbindungsmannes des Verfassungsschutzes in der Salafistenszene reichte offenbar für die Absage aus. So leicht knickt der Staat ein, wenn er es einmal nicht mit Verkehrs- oder Steuersündern zu tun hat. Stark zeigt er sich nur Schwachen gegenüber.

Ein Staat, der weder die Sicherheit noch die Freiheit seiner Bürger schützen kann, ist kein Staat mehr. Eine freie Gesellschaft, die vor jeder ihrer Äußerungen Rat einholt bei den islamischen Extremisten, ist nicht mehr frei; sie hat die Zensur bereits akzeptiert. Das fliegende Weltanschauungsgericht tagt seit Januar ohne Unterlass. Alles, was Anlass zum islamistischen Terror bieten könnte, soll aus der Öffentlichkeit verschwinden. Weil aber wirklich alles, was den Westen ausmacht, zu einem solchen Anlass taugen kann, darf es hier kein Zurückweichen geben. Seit der Selbstdemontage von Braunschweig ist die letzte Illusion verflogen. Nun sind wir alle Gefangene.

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