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Kalter Friede in Europa - Schafft den Euro ab!

Die Hoffnungen in den Euro waren groß. Gefeiert als „eine neue Stufe des europäischen Einigungsprozesses“ hat er sein Glitzerkleid jedoch längst abgelegt. Wer Europa liebt, muss Schluss machen mit der Politik der „Alternativlosigkeit“

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Damals hat keiner gelacht. Es war am Himmelfahrtstag 2002, als der Euro mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen ausgezeichnet wurde. Der Euro, hieß es in der Begründung, treibe „wie kein anderer Integrationsschritt zuvor die Identifikation mit Europa“ voran und leiste einen „epochemachenden Beitrag zum Zusammenwachsen der Völkerfamilie“. Nur Superlative waren damals recht. Der Euro sei „die überzeugendste, pragmatischste Lösung auf dem Weg zur europäischen Gemeinsamkeit seit mehr als 1200 Jahren.“ Für Zweifel war kein Platz. Aus dem Euro werde ganz gewiss „ein völlig neues Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Union erwachsen“. Der Euro begründe „eine neue Stufe des europäischen Einigungsprozesses“. Er sei nicht nur Werteinheit, sondern – Tusch! – „Wertmaßstab“ mit „vielleicht sogar friedensstiftender Wirkung“. Der damalige EZB-Chef Wim Duisenberg definierte den Euro gar als einen neuen „Gesellschaftsvertrag“. Der Euro zeige, dass „das gegenseitige Vertrauen (…) das Fundament einer Gemeinschaft“ sei.

Lange ist’s her. Den Euphorikern der Frühe sei ihr Quantum Adrenalin gegönnt. Wer will nörgeln, wenn der Mantel der Geschichte durch die Stube weht? Stutzig machen können hätte aber schon damals, dass der Euro unter der Rubrik „Zur Person“ vorgestellt wurde. Als wäre er aus Fleisch und Blut. Nichts Gutes kann aus einem solchen Kategorienschwindel erwachsen. Der Euro war und ist ein Rechenexempel, eine Umrechnungsmethode, ein mathematisches Versprechen. Er markiert eine neue Stufe im vertraglichen Umgang mehrerer Staaten, die zu diesem Zweck einen Teil ihrer Souveränität abgeben. Er schert über denselben Kamm, was sich nicht in ein Bett zwingen lässt. Er ist ein schrecklicher Vereinfacher. Gut ausgehen kann solche Zwangsfusion unterschiedlicher Kulturen und Volkswirtschaften höchstens dann, wenn selbst das schwächste Glied die Kette tragen kann.

Knapp elf Jahre nach den Aachener Glückswallungen hat der Euro sein Glitzerkleid abgelegt. Nackt und bloß steht er da als die Ruine alt gewordener Hoffnungen. Er hat keinen Wertmaßstab geliefert, sondern Wertunterschiede zementiert, hat Zusammengehörigkeitsgefühle schwinden statt wachsen lassen, brachte alten Zwist und alten Neid und altes Misstrauen und alte Ängste zurück und schuf keinen neuen Gesellschaftsvertrag. Der Frieden, den er gestiftet hat, ist ein fahler, ist ein Kalter Friede. Diesen schlauen Begriff prägte nun – in der ersten Ausgabe der Vierteljahreszeitschrift „Tumult“ – der Schriftsteller Thomas Kapielski. Europa lebe in einem Zeitalter des Kalten Friedens.

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Dieser Kalte Friede, schreibt Kapielski, „vertilgt, indem er arm und armselig, siech und dumm macht. Er zersetzt Vermögen, Geist und Gesittung der Menschen.“ In der Tat schreitet die Internationale des Stumpfsinns voran, auf den Bildschirmen, in unseren Tauschgeschäften, in unserem Inneren. „Der Kontinent“, so Kapielski, habe sich „längst zu verausgaben, zu erschöpfen, zu verblöden begonnen.“ Und der Euro, niemand sonst als der Euro, entpuppe sich als mächtigster Agent dieses gesamteuropäischen Überdrusses an sich selbst, dieser kontinentalen Erschlaffung. Der Euro entlarve sich heute „als verschlagenes Übel im Gewand hehrer Versprechungen“. Er drohe die europäischen Staaten „am Ende abermals zu berauben und zu bedrohen und zu beschädigen – wie ehedem Krieg.“

Eine gehörige Lust am apokalyptischen Ton spricht aus Kapielskis Worten. Er mag sich gedacht haben: Zeit für eine neue Rhetorik. Denn wohin hat uns die Euphorie der „Euro-Väter und –Mütter“ geführt? Was bewirkten die pflichtschuldigen Euro-Befürworter von Merkel bis Juncker und Monti denn anderes als Euro-Skepsis, Europa-Müdigkeit? Der Sound des Untergangs hat den Vorteil, dass er positiv widerlegt werden kann und keine Empirie gegen sich hat. Und im Kern steckt die wahre Erkenntnis: „Stures Durchhalten gehört seit je zu den Untugenden, nicht nur des Krieges.“

Wer Europa also liebt, der darf dem Euro weder mit Nibelungentreue anhangen noch Kadavergehorsam fordern. Wer Europa liebt, der muss es aus den Fesseln des Euro befreien. Jede neue „Alternativlosigkeit“ macht diese Konsequenz erst recht alternativlos.

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