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picture alliance/Cicero (Kombo)

Julia Klöckner und Guido Wolf - Das Panik-Duo

Mit einer eiligen Distanzierung von der Bundesregierung versuchen die Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ihren Abwärtstrend zu stoppen. Doch solche politischen Manöver gehen eigentlich immer schief. Panik ist im Wahlkampf kein guter Ratgeber

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Was haben Sigmar Gabriel, Stefan Mappus und Norbert Röttgen gemeinsam? Sie alle haben dieselbe bittere Erfahrung gemacht. Alle drei haben versucht, gegen die eigene Bundesregierung Wahlkampf zu machen. Alle drei sind damit gescheitert. Gabriel gegen Schröder, Mappus und Röttgen gegen Merkel.

Eigentlich hätten Julia Klöckner und Guido Wolf es also besser wissen können, als sie am Wochenende ihr gemeinsames Anti-Merkel-Papier veröffentlichten. Eigentlich hätten sie gewarnt sein müssen. Viel Neues stand da zwar nicht drin, trotzdem wurde es von der Öffentlichkeit als Angriff der Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg auf Merkels Flüchtlingspolitik wahrgenommen, als Distanzierung von der – trotz alledem – noch populären Kanzlerin: In dem Papier forderten sie tagesaktuelle Kontingente. Flüchtlinge sollten verstärkt abgewiesen werden. Österreich wird als Vorbild gelobt.

Streit in den eigenen Reihen schreckt Wähler ab
 

Eigentlich hätten die beiden also wissen können, dass es in der heißen Wahlkampfphase nicht hilft, sich von der umstrittenen Bundespolitik der eigenen Partei zu distanzieren. Die Medien berichten über den Streit. Und Streit in den eigenen Reihen demobilisiert. Die Stammwähler werden verunsichert, die Wechselwähler abgeschreckt. Es ist noch gar nicht so lange her, da raunte Julia Klöckner im CDU-Präsidium die Kritiker von Merkel an, sie mögen doch „einfach mal die Klappe halten“. Jetzt nimmt sie für ein billiges und leicht durchschaubares Wahlkampfmanöver einen beträchtlichen eigenen Imageschaden in Kauf.

Immer wieder haben Landespolitiker in Wahlkämpfen versucht, sich vom Bund abzusetzen, wenn der Partei dort der Wind in ins Gesicht blies. Immer wieder haben Wahlkämpfer geglaubt, sie könnten eine Grundregel des Wahlkampfes außer Kraft setzen – und mit eiligen Distanzierungen vom eigenen Kanzler beziehungsweise der eigenen Kanzlerin die Stimmung drehen. Sie hofften, sich so vom Bundestrend ihrer Partei abzusetzen. Gabriel etwa forderte als Ministerpräsident von Niedersachsen angesichts der drohenden Niederlage im Wahlkampf 2003 gegen den Willen von Bundeskanzler Gerhard Schröder die Einführung einer Vermögenssteuer. Mappus hatte sich 2011 in Baden-Württemberg als Ministerpräsident trotz Fukushima gegen Merkels Energiewende gestellt, Röttgen 2012 in Nordrhein-Westfalen gegen die Eurorettungspolitik der Kanzlerin.

Viele Wähler fällen Entscheidung erst auf dem Weg ins Wahllokal
 

Es gibt aus den letzten Jahrzehnten kein Beispiel, wo ein solcher Kurs im Wahlkampf überzeugend gelungen wäre. Es stellt sich also die Frage: Warum begehen Politprofis wie Klöckner und Wolf, erfahrene Wahlkämpfer wie Gabriel, Röttgen und Mappus solche Anfängerfehler? Warum lernen sie nicht aus den schlechten Erfahrungen anderer?

Das Problem ist, wenn für die Wähler der Wahlkampf anfängt, ist er für die Wahlkämpfer schon fast vorbei. Sie stecken schon monatelang intensiv im Wahlkampfmodus. Die Wähler beginnen ein paar Wochen vor der Wahl – also in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erst in diesen Tagen – darüber nachzudenken, wen sie wählen sollen. Sie beginnen, im Gespräch mit Nachbarn und Arbeitskollegen die Eignung der Kandidaten abzuwägen. Und auch jetzt dauert es bei der Mehrzahl noch: Viele Wähler entscheiden erst auf dem Weg ins Wahllokal. Die Kandidaten hingegen agieren schon seit Monaten im Wahlkampfmodus. Sie sind physisch und psychisch bereits an ihren Grenzen angekommen.

Eben noch sichere Wahlsieger
 

Umfragen können da eine fatale Wirkung entfalten. Solange für die Wähler noch nicht Wahlkampf ist, gibt die Sonntagsfrage eher ein allgemeines Stimmungsbild wieder. Und das war für die CDU – also auch für die Wahlkämpfer Klöckner und Wolf – bis vor ein paar Wochen eher gut. Mehr als zehn Punkte lagen ihre Parteien dort vor denen der Amtsinhaber. Der Wahlsieg schien sicher.

Seit jedoch im ganzen Land über Merkels Flüchtlingspolitik gestritten wird, sinken die Zustimmungswerte für die CDU. Die Siegesgewissheit der christdemokratischen Wahlkämpfer schwindet also ausgerechnet in dem Moment, in dem die Wähler beginnen, sich ernsthaft mit der bevorstehenden Wahl zu beschäftigen. Aus dem allgemeinen politischen Stimmungsbild der Umfragen wird allmählich eine Prognose für den Wahlsonntag. Aber die Wähler fragen nun nicht mehr nur: Welche Partei soll ich wählen? Sie fragen sich auch: Wer soll das Land regieren?

Fehlende Wechselstimmung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
 

Erst wenn sich die Wähler auch diese zweite Frage stellen, beginnt im Grunde der Wahlkampf. Denn seit die Parteienbindungen erodiert sind, spielt die Personalisierung in Wahlkämpfen eine herausragende Rolle. Weder in Rheinland-Pfalz noch in Baden-Württemberg gibt es jedoch eine Wechselstimmung. Die Amtsinhaber von der SPD beziehungsweise den Grünen sind deutlich beliebter als die Herausforderer. Selbst ziemlich viele CDU-Wähler in beiden Ländern würden bei einer Direktwahl eher Malu Dreyer beziehungsweise Winfried Kretschmann wählen. Also bläst Klöckner und Wolf plötzlich nicht mehr nur bundespolitisch, sondern auch landespolitisch der Wind ins Gesicht.

Und wenn der sicher geglaubte Wahlsieg noch in Gefahr gerät, dann nimmt die Nervosität Tag für Tag zu. Dann wächst der Druck, dann wächst die Verzweiflung. Der Spitzenkandidat, sein Stab und seine Helfer brauchen irgendwo ein Ventil. Doch sie befinden sich nun in einer Lose-lose-Situation. Der Wahlkämpfer hat nur zwei schlechte Möglichkeiten: Entweder er greift seinen Gegner, den Regierungschef des Landes, frontal an – doch das hilft nicht, weil der Gegner ja populär ist. Oder er distanziert sich von der eigenen Bundespartei. Doch das wird nicht als Profilierung wahrgenommen, sondern als Wahlkampfmanöver und als Streit. Die Wähler, die auf dem Sprung zur AfD sind, überzeugt es einerseits nicht, wenn jemand plötzlich so die Backen aufbläst. Auf der anderen Seite treibt ein solches Manöver vor allem jene Wechselwähler in der Mitte, die bei ihrer Wahlentscheidung zwischen einer Parteienwahl und einer Personenwahl schwanken, den populären Amtsinhabern in die Arme.

Klöckner und Wolf zu klein für Merkel
 

Respekt könnten sich die Wahlkämpfer in einer solchen Situation, wenn überhaupt, allenfalls dann erarbeiten, wenn sie sich gegen die Bundespartei durchsetzen. Wenn sie Merkel politisch in die Knie zwingen. Aber dazu sind Klöckner und Wolf in der Union und in der Bundespolitik zu kleine Lichter. Dazu haben sie viel zu wenig Macht.

So bleibt ihnen vier Wochen vor der Wahl eigentlich nur ein Weg, wenn der Wind von vorne bläst: Augen zu und durch, Kurs halten und kämpfen. Das kann schief gehen, aber ein Zick-Zack-Kurs geht erst recht schief. Panik ist im Wahlkampf kein guter Ratgeber. Das hätten Julia Klöckner und Guido Wolf eigentlich wissen können.

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