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Fußball und Medien - Herr Hitzlsperger ist schwul. Na und?

Beim Thema Fußball schalten selbst kluge Zeitgenossen ihr Hirn ab. Die Medien drehen durch. Haben wir nicht andere Probleme? Ein Kommentar

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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An dieser Stelle habe ich mich auch schon einmal geoutet. Als Fußballverächter. Es war ein total gefährliches Coming Out. Karrieregefährdend. So was macht man besser erst nach Beendigung der Laufbahn.

Meine Einschätzung, dass beim Fußball und seinen Freunden alle Kraft in Waden und Hoden geht, aber keine Kraft ins Hirn, hat gestern neue Nahrung bekommen. Der Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger ist schwul, und die Fußball-WM 2022 findet womöglich im Winter der nördlichen Halbkugel statt. Diese beiden Meldungen bringen Server zum Zusammenbrechen (Hitzlsperger) und gemeinhin vernunftbegabte Facebook-Freunde zur totalen Verzweiflung (Katar).

Als dritte Großmeldung kam noch dazu, dass in Frankreich eine komplett neuigkeitenfreie Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft zum Skiunfall von Michael Schumacher über die Bühne ging.

Inhaltsleere statt Wissenswertem: Verblödung?


Die drei Themen beherrschen am nächsten Morgen auch die seriösen Medien. Tagesthemen, Presseschau im Deutschlandfunk, zwei Interviews im Deutschlandradio, Seite 2 der Süddeutschen Zeitung. Zu Schumachers Unfall brachten Spiegel und Focus schon Anfang der Woche synchronisiert weitgehend inhaltsleere Titelgeschichten.

Was ist das? Verblödung? Eskapismus? Spätrömische Dekadenz?

Im gleichen Zeitraum drehen an den Börsen die Kaufmaschinen durch und führen fast zu einem Goldcrash. Zehn Sekunden lang werden die amoklaufenden Maschinen abgestellt, um das Desaster zu vermeiden. Die Europäische Zentralbank und Mario Draghi sind am Ende ihre Lateins, am Ende ihrer Niedrigzinspolitik angelangt. Der Pleitier Griechenland übernimmt für ein halbes Jahr die Führung Europas, und der frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates stellt Barack Obamas Führungsfähigkeiten ein vernichtendes Zeugnis aus.

Im Südsudan tobt schlimmster Bürgerkrieg. Die Bundesregierung verstolpert ihren Start, die Gewerkschaften mäkeln am Mindestlohn von 8,50 Euro rum.

Fußballfanatiker fischen Lachs im Jemen


Das ist nur ein spontaner Brainstorm dessen, was wirklich wichtig ist. Oder jedenfalls interessant. Lesenswert. Wissenswert. Wissenswerter jedenfalls als die Frage der sexuellen Orientierung eines Fußballers. Ex-Fußballers. Sie ist mir egal, diese Orientierung. Es interessiert mich nicht, ob Herr Hitzlsperger mit Männern oder mit Frauen schläft. Da wäre es ja noch aufsehenserregender, wenn ein deutscher Schlagersänger öffentlich bekennen würde: Ich bin hetero! Das wäre „Mann beißt Hund“. Aber eigentlich auch egal.

Und die Winter-Fußball-WM in Katar? Das ist die gerechte Strafe für all jene, denen der Fußball die Weltkugel ist. Wer sich daran beteiligt, Fußball zur wichtigsten Sache der Welt zu machen, damit die Fernsehrechte an Fußballveranstaltungen ins Unermessliche schraubt, der darf sich nicht wundern: Dass das Geld diese Sache regiert, sich ein Wüstenscheich mit seinem Öl die Weltmeisterschaft kauft, und die beste Nationalmannschaft der Welt in der dafür absurdesten Region des Globus ermittelt wird. Fußball in Katar ist wie „Lachsfischen im Jemen“, eine herrliche Satire des lesenswerten Paul Torday.

So. Das musste mal raus. Und jetzt macht mich fertig.    

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