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(picture alliance) Viele Worte folgten der Nachricht von einer rechtsextremen Terrorgruppe - die wenigsten Fragen wurden geklärt.

TV-Kritik zum Terror - Fällt ein Grauen in die Welt, spricht der „Experte“

Fällt ein Grauen in die Welt, schweigt der Mensch. Eigentlich. Journalisten aber müssen reden – und sie müssen zeigen. So wird die Katastrophenberichterstattung oft zum Hochfest der Plapperei

Fällt ein Grauen in die Welt, schweigt der Mensch. Jeder Schrecken macht zuerst einmal fassungslos. Er verschlägt einem die Sprache, lässt das Gerede verstummen. So war es nach der Natur- und Reaktorkatastrophe von Fukushima, nach dem Amoklauf von Winnenden, nach dem Tsunami vor Sumatra. Journalisten aber müssen reden und müssen zeigen. Wir Medienkonsumenten erwarten, am besten live oder mit wenigen Sekunden Verzögerung, bunte Bilder und erklärende, einordnende Worte, selbst wenn es noch nichts zu erklären oder einzuordnen gibt. Darum wird die Katastrophenberichterstattung oft zum Hochfest der Plapperei. Kaum anders war es nun bei der „Zwickauer Terrorzelle“.

Was über deren perverses Treiben zu sagen war, packte Günther Jauch gleich in den ersten Satz seiner ARD-Talkshow am 13. November, die einen raschen Themenschwenk vollzogen hatte. Statt über „Schicksal Alzheimer – Und wer kümmert sich dann um mich?“ lautete das Thema „Terror von rechts – Haben wir die braune Gefahr unterschätzt?“. Jauch eröffnete auf typische Jauch-Weise im Duktus des Noch-einmal-für-alle-zum-Mitschreiben, betont langsam, betont vorsichtig, betont begriffsschwer: „Zehn Morde, ein Bombenanschlag und gut ein Dutzend Banküberfälle – das ist die vorläufige Bilanz einer rechtsradikalen Terrorgruppe, die mindestens aus zwei Männern und einer Frau bestand. (…) Und das sind meine Gäste!“.

Eine Stunde später wusste man immerhin, dass hier weniger ein „terroristisches Netzwerk“ zugeschlagen habe als ein Grüppchen mit „nur ganz wenigen Unterstützen“, dass also der von Cem Özdemir bemühte Vergleich mit der „Roten Armee Fraktion“ in die Irre führe. Günther Jauch benutzte viele, viele Male seine Lieblingsvokabel „erklären“, die den Eindruck erweckt, hier sollten komplizierte Sachverhalte entknäult werden. Pustekuchen! Entweder mussten die Angesprochenen zugestehen, sie könnten nichts erklären. Ein Generalstaatsanwalt etwa, der Jauch so manches „erklären“ sollte, gab lapidar zur Auskunft, eine Antwort sei „in der Tat ausgesprochen schwierig, wir können im Augenblick dazu, glaube ich, noch nichts sagen.“ Oder aber Jauch selbst legte zwar den Begriffsjeton mit der Aufschrift „erklären“ auf den Spieltisch seiner Fragerunde, setzte ihn aber nicht wirklich ein: Der Verzicht auf Nachfragen ist bei ihm ebenso Programm wie die Erklärrhetorik.

Deshalb wurde die Chance vertan, dem „Aussteiger“ aus der neonationalsozialistischen Szene erhellende Worte über deren Hassideologie zu entlocken. Stattdessen hörten wir, was „man“ dort so denke, wobei völlig unklar blieb, woraus dieses braune „man“ besteht, wie es sich vernetzt, wie es organisiert sein mag.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie ARD, ZDF, RTL und Konsorten das Ereignis bearbeiteten.

Wer am Sonntag 15 Minuten, ehe Günther Jauch mit einem „Dankeschön!“ seine ratlose Stunde beendete, zu RTL umschaltete, konnte dort zum ersten Mal sehen, was fortan das ikonische Symbol der Morde bilden sollte, ihr unauslöschbares Bildergedächtnis: Paulchen Panther im Rassenwahn. Nicht ganz so unaufgeregt, in nicht ganz so perfekter professioneller Retardation wie Kollege Jauch kündigte der Moderator von „Spiegel TV Magazin“ an: „Das Bekennervideo, das ‚Spiegel‘ und ‚Spiegel TV‘ exklusiv vorliegt, offenbart Unvorstellbares.“ Und dann waren in erklecklicher Zahl Ausschnitte aus dem Videonachruf der Attentäter auf sich selbst zu sehen. Verschiedene Szenen aus der Zeichentrickserie „Der rosarote Panther“ hatten die Mörder neu zur Geschichte ihres Tötens montiert. Zum deutschen Originalton aus den siebziger Jahren sah man Fotos von den Tatorten und den Toten, Sequenzen aus den Fernsehnachrichten und Texttafeln mit üblen Parolen. Der legendäre Synchronsprecher Gert Günther Hoffmann gab in neuem Kontext sehr zynisch klingende Reime zum Besten: „Bei plötzlich auftauchenden Hindernissen / muss man sich zu helfen wissen.“

Dieses Muster an menschenfeindlicher Propaganda wurde beim „Spiegel TV Magazin“ zwar auf der Tonspur tüchtig verurteilt. Das Video bestehe aus „Geschmacklosigkeiten“. In den „Tagesthemen“ am 14. November 2011 war dann die Rede von einer „geschmacklosen Montage“. In „RTL aktuell“ am selben Tag hieß es, „die Menschen zu töten, genügte ihnen nicht. Sie wurden nachträglich in diesem Film auch verhöhnt.“ So ist es. Ist es nicht aber auch so, dass mit der mal kürzeren, mal längeren Präsentation, mit Paulchen Panther in Endlosschleife, eine weitere Verhöhnung geschieht? Was ist gewonnen, wenn diesem knallbunten Selbstporträt einer „rechtsradikalen Terrorzelle“ (Tom Buhrow) zentraler Raum zugebilligt wird? Weil Bilder länger haften bleiben als Worte, überlässt man so den Mördern das letzte Wort. Blutdurst und Ausländerhass im Pulp-Fiction-Stil, Uwe und Uwe aus Zwickau als Natural Born Killers, die ihren eigenen Tod im Video überleben: Auch diese fatale Lehre hält das omnipräsente Video bereit.

Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Sender deutlich weniger Szenen zeigten als die private Konkurrenz, widerstanden sie nicht der Versuchung der Comic-Bilder. Im „ZDF Spezial“ zum Thema „Neonaziterror – Neue Gefahr von rechts?“ griff Theo Koll zu seiner liebsten rhetorischen Figur, dem Stabreim, um auch verbal den Boulevard zu bedienen: Der „Marathon des Mordens“ gehe wohl auf das Konto einer „kleinen Gruppe krankhafter Killer“. Der „ZDF-Terrorismus-Experte“ Elmar Theveßen, zugeschaltet aus Erfurt, bestärkte ihn in dieser These. Es handele sich vermutlich um „psychopathische Serienmörder, denen die politischen Visionen (…) nicht so wichtig waren.“

Wenn es denn so ist, erhebt sich die Frage, warum im oftmals gleichen Atemzug ein „Netzwerk“ großen Ausmaßes beschworen und dieses dann auf eine „Kleinstgruppe“ (Theveßen) reduziert wurde? Weil’s dem Gruseln dient? Vor allem aber hat der Überhang der Comic-Bilder eine entsetzliche Tat auf sehr ungute Weise ästhetisiert. Aus einer Mordserie wurde ein Pop-Ereignis. Dagegen kommt kein erklärendes, einordnendes Wort an.

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