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Abgeordnetenbezüge - Der Bundestag handelt feige und verfassungswidrig

Bundespräsident Joachim Gauck holt nach, was die Medienöffentlichkeit versäumt hat: Er beanstandet das Diäten-Gesetz. Mit dem Gesetz will der Bundestag die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ganz bewusst aushebeln. Ein Kommentar

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Damit hatten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht gerechnet. Nahezu unbeachtet und unbeanstandet von der Öffentlichkeit hatten sie sich im Februar eine satte Diätenerhöhung genehmigt und ein Gesetz verabschiedet, das dafür sorgt, dass künftige Verbesserungen ihrer Bezahlung ohne öffentlichen Lärm sang- und klanglos über die Bühne gehen können. Morgen sollte es in Kraft treten. Aber daraus wird nichts.

Bundespräsident Joachim Gauck hat den Abgeordneten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er will das Gesetz nicht unterschreiben. Seine Juristen bezweifeln, dass es mit der Verfassung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist.  Der Präsident will das höchstrichterlich klären lassen. Und wenn die Karlsruher Richter an ihren bisherigen Grundsätzen festhalten, bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, als das Gesetz zu kassieren.

Statt wie geplant 8667 Euro bekommen die Abgeordneten also auch künftig „nur“ 8252 Euro pro Monat. Die für den Januar 2015 bereits festgesetzte weitere Erhöhung auf 9082 Euro steht damit auch wieder in Frage. Davon unberührt bleibt die monatliche steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4123 Euro, die dem Abgeordneten für Büro und Mitarbeiter ausgezahlt wird.

Die Bedenken des Bundespräsidenten richten sich nicht gegen die geplante Höhe der Abgeordnetenbezüge, sondern ausschließlich gegen die Art und Weise, wie diese künftig festgesetzt werden sollen: Nicht mehr durch ein Gesetz, das der Bundestag jedes Mal öffentlich diskutieren, beschließen und rechtfertigen muss. Sondern heimlich, still und leise durch einen vollautomatischen Ankoppelungsprozess. Einmal jährlich, so ist es jetzt vorgesehen, sollen die Diäten prozentual in dem Maße den Gehältern eines obersten Bundesrichters der Besoldungsstufe R6 angeglichen werden, wie die allgemeinen Lebenshaltungskosten gestiegen sind.

Der Bundestag muss selbst über seine Diäten bestimmen


Das wäre nun in der Tat das genaue Gegenteil dessen, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Diäten-Urteil im Jahr 1975 verkündet und nie widerrufen hat. Die Bezahlung der Abgeordneten, so damals die Urteils-Begründung, „verträgt keine Annäherung an den herkömmlichen Aufbau eines Beamtengehalts und keine Abhängigkeit von der Gehaltsregelung, etwa in der Weise, dass sie unmittelbar oder mittelbar in Von-Hundert-Sätzen eines Beamtengehalts ausgedrückt wird.“ Die „’technische’ Kopplung der Entschädigung an eine besoldungsrechtliche Regelung“ stehe sogar im Widerstreit zu der verfassungsrechtlich gebotenen Notwendigkeit, dass jedes Parlament seine Bezahlung selbst transparent machen, beschließen, öffentlich vertreten und verantworten muss.

Keine Instanz – weder der Bundespräsident, noch der Bundestagspräsident, noch irgendeine überparteiliche Kommission, oder sonst  irgendein Gremium – darf dem Bundestag die Entscheidung über die Höhe der Diäten abnehmen. Er muss sie selbst treffen und öffentlich begründen. Gerade weil er in eigener Sache entscheidet, muss sein Handeln nachvollziehbar und transparent sein.

Mit anderen Worten: Es kann die Besoldung der Parlamentarier nur Sache der Parlamentarier sein.

Genau das aber wollen die Abgeordneten nicht mehr. Sie fürchten den Volkszorn und wollen sich deshalb hinter anderen Berufsgruppen verstecken. Sie wollen nicht jedes Mal, wenn sie ihre Diäten erhöhten, öffentlich verprügelt und der Selbstbegünstigung bezichtigt werden. Mit immer neuen Tricks versuchen sie deshalb seit Jahrzehnten, das Gebot der Verfassungsrichter zu unterlaufen. Sie wollen angemessen bezahlt werden, was völlig in Ordnung ist. Aber sie wollen nicht öffentlich dafür geradestehen. Und am liebsten würden sie das lästige Karlsruher Urteil einfach ignorieren. 

1995 wäre es ihnen fast gelungen. Schon damals hatte sich eine Allparteien-Koalition von CDU, CSU, SPD und FDP in aller Stille darauf verständigt, die Abgeordnetenbezüge an die Gehälter oberster Bundesrichter  zu koppeln. Die Sache flog auf, weil ein paar Journalisten den drohenden Verfassungsbruch gerade noch rechtzeitig bemerkten und Alarm schlugen. Es gab einen Sturm der Entrüstung. Die Pläne verschwanden in den Schubladen.

Unerlaubter Anpassungsautomatismus bei Abgeordnetenbezügen


Im März 2013 aber wurden sie wieder hervorgeholt: Bundestagspräsident Norbert Lammert präsentierte der Öffentlichkeit die Vorschläge einer von ihm eingesetzten „Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts.“ Sie entsprachen – oh Wunder! – im Wesentlichen den 1995 verworfenen Plänen. Doch der Vorstoß des Bundestagspräsidenten, der den noch amtierenden Bundestag verpflichten wollte, schon vor der Wahl die Grundsätze zu übernehmen, nach denen die Abgeordneten der kommenden Legislaturperioden bezahlt werden, wurde umgehend von der Union abgeblockt. Der bevorstehende Wahlkampf  sollte nicht durch eine Diätendebatte belastet werden.

Ein Jahr später aber stimmten CDU/CSU und SPD in großkoalitionärer Eintracht gegen die Stimmen der Linkspartei und der Grünen nicht nur über ihre Diäten ab, sondern über ein angeblich ganz neues Bezahlsystem, das aber bei näherem Hinsehen so neu gar nicht ist. Wieder tauchte das Richtergehalt als Vergleichsmaßstab auf. Allerdings ist von Ankoppelung nicht die Rede, nur noch von „Orientierung“. Faktisch aber wurde mit dem neuen Gesetz ein Anpassungsautomatismus installiert, der die Abgeordneten der Notwendigkeit entheben soll, immer aufs Neue eine Erhöhung ihrer Bezüge öffentlich begründen und rechtfertigen zu müssen.

Die Öffentlichkeit hat es nicht bemerkt. Und die wenigen, die warnend ihre Stimme erhoben, drangen nicht durch. Es gab keinen Sturm der Entrüstung. Niemand regte sich richtig auf. Das Thema, so schien es,  war durch. Bis die Verfassungsjuristen im Präsidialamt das Gesetz unter die Lupe nahmen. Ihre Bedenken haben den Bundespräsidenten bewogen, sich mit seiner Unterschrift Zeit zu nehmen. Er will das Gesetz erst unterschreiben, wenn das Bundesverfassungsgericht es für unbedenklich erklärt hat.

Tatsächlich gibt es in der Gesetzesbegründung einige Formulierungen, die den  Verdacht nähren, dass das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 bewusst ignoriert, auf kaltem Wege ausgehebelt und ein für alle Mal unwirksam gemacht werden soll.

So heißt es beispielsweise, das oberste Gericht habe 1975 „nur“ über die Beschwerde eines saarländischen Landtagsabgeordneten entschieden, nicht aber ein Grundsatzurteil über den Deutschen Bundestag und die Bezahlung von gewählten Politikern gefällt – was einfach nicht stimmt und eigentlich eine Unverschämtheit ist. Die Richter waren sich sehr wohl bewusst – und wer ihre Urteilsbegründung liest, kann das auch nicht bezweifeln – dass ihre Grundsätze zur Bezahlung von Politikern für alle Parlamente dieser Republik gelten und selbstverständlich auch für den Deutschen Bundestag.

Höchst fadenscheinige Rabulistik


Außerdem, so heißt es in der Gesetzesbegründung weiter, habe das Karlsruher Gericht 1975 nur die Ankoppelung an die „Beamtenbesoldung“ abgelehnt. Jetzt aber werde die Richterbesoldung der Maßstab, an dem man die Diäten messen wolle. Eine höchst fadenscheinige Rabulistik, die das eigentliche Anliegen bewusst verschleiern soll.

Worum es ihnen bei der Regelung der Diätenfrage wirklich geht, haben die Abgeordneten in einem kleinen, aber verräterischen Satz zum Ausdruck gebracht: „Das Verfahren befreit den Deutschen Bundestag von der Notwendigkeit, in unregelmäßigen Abständen stets aufs Neue über die Höhe der Entschädigung entscheiden zu müssen.“

Genau so ist es. Die stille Ankoppelung an die Richtergehälter soll die Abgeordneten endlich von der Notwendigkeit „befreien“, das zu tun, was das Verfassungsgericht ihnen auferlegt hat: Selbstbewusst und transparent notwendige Diätenerhöhungen immer wieder aufs Neue zu begründen und dafür notfalls auch Prügel einzustecken.

Joachim Gauck hat Recht, wenn er die offensichtliche Missachtung eines höchstrichterlichen Urteils moniert. Es kann ja sein, dass die Verfassungsrichter es heute für vertretbar halten, die Bezüge von Bundestagsabgeordneten an die Gehälter oberster Bundesrichter zu koppeln. Aber das kann nicht der Bundestag, das muss schon das Gericht selbst entscheiden. Deshalb ist es richtig, dass Gauck das Gesetz jetzt beanstandet und Karlsruhe zur Prüfung vorlegt.

Er holt damit nach, was eine kritische Öffentlichkeit zu tun versäumt hat – auch und vor allem: wir Journalisten.

Sind die Bezüge der Parlamentarier angemessen? Stimmen Sie hier ab.

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