Russische Kriegsschiffe
Russische Kriegsschiffe während einer Parade vor Sankt Petersburg Ende Juli / picture alliance

Russisches Militärmanöver „Wostok 2022“ - Ein fatales Signal der Schwäche

An diesem Donnerstag beginnt das russische Militär mit einem großen Manöver an einem überraschenden Ort: ganz im Osten des Landes. Das zeigt, wie sehr der Kreml wegen des Ukrainekriegs von anderen wichtigen Schauplätzen abgelenkt wurde. Tatsächlich hat Russland in seiner Peripherie in den vergangenen Monaten erheblich an Einfluss verloren. Deswegen verlangsamt es derzeit auch seine Operationen in der Ukraine.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Nachdem die Offensive in der Ukraine zum Stillstand gekommen ist, beginnt das russische Militär an diesem 1. September mit Übungen an einem ungewöhnlichen Ort: im Fernen Osten. An der Übung „Wostok 2022“, die auf den Truppenübungsplätzen des russischen Militärbezirks Ost, im Ochotskischen Meer und im Japanischen Meer stattfindet, werden mehr als 50.000 Soldaten und mehr als 5000 Waffen und Ausrüstungsgegenstände beteiligt sein, darunter 140 Flugzeuge und 60 Schiffe. Da sich der Krieg in der Ukraine länger hinzieht als erwartet, könnte die offensichtliche Verlangsamung der russischen Operationen – die vor einigen Wochen rund um das Kernkraftwerk Saporischschja begann – beabsichtigt sein. Der Kreml könnte eine Pause einlegen, um seine Strategie zu überdenken.

Ein Staat von der Größe Russlands mit seinen vielfältigen Nachbarstaaten wird zwangsläufig von Zeit zu Zeit in unterschiedliche Richtungen gezogen. Ausgehend vom Osten und im Uhrzeigersinn ist Moskau mit dem Aufstieg Chinas, dem Terrorismus und der allgemeinen Instabilität in Zentralasien und im Nahen Osten, dem chronischen Krieg im Kaukasus, dem Aufstieg der Türkei, dem Krieg in der Ukraine, der Instabilität auf dem Balkan sowie dem Wiedererstarken und der wahrscheinlichen Erweiterung der Nato konfrontiert. Russlands Krieg in der Ukraine bietet sowohl den Feinden des Kremls als auch unzufriedenen regionalen Akteuren die Möglichkeit, den Status quo in anderen Teilen der russischen Peripherie zu stören.

Kaukasus

Die erste an Russland angrenzende Region, die sich seit Beginn des Krieges destabilisierte, war der Kaukasus, ein kritischer Schnittpunkt zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer sowie zwischen Russland und dem Nahen Osten. Schon bald nach Kriegsbeginn begannen armenische und aserbaidschanische Regierungsvertreter, häufiger nach Brüssel zu reisen, wo man die Gelegenheit sah, der anderweitig beschäftigten Kreml-Führung die Initiative zu entreißen und in einem langjährigen Territorialstreit zu vermitteln. Letztlich bleibt das westliche Engagement in der Region jedoch ein Ablenkungsmanöver, und Russland verfügt nach wie vor über eine Friedenstruppe in der Region sowie über zahlreiche andere Druckmittel. Neulich sorgte Moskau dafür, dass ein Dreierabkommen zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan erfüllt wurde. Die Vereinbarung sieht vor, dass die aserbaidschanischen Streitkräfte von den russischen Friedenstruppen die Kontrolle über die Stadt Latschin in Berg-Karabach sowie über zwei Dörfer in der Region Latschin übernehmen.

Naher Osten

Im Nahen Osten richten sich alle Augen auf den Iran, wo versucht wird, den „Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan“ wiederzubeleben. Viele hochrangige amerikanische und europäische Beamte sind der Meinung, dass eine Einigung in greifbarer Nähe liegt und nur noch Wochen entfernt sein könnte. Das ist eine schlechte Nachricht für den Kreml, für den Energieknappheit ein wichtiges Druckmittel ist. Es wäre nachteilhaft für Russland, wenn iranisches Öl und Erdgas den Markt überschwemmen würden, während der Westen versucht, die russischen Energieexporte abzuwürgen.

 

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Syrien ist ein weiteres Problemfeld. Nach den jüngsten Raketenangriffen auf amerikanische Stützpunkte im Land haben die USA Luftangriffe auf pro-iranische paramilitärische Stellungen in der Provinz Deir el-Zour geflogen. Auch Israel führt gelegentlich Luftangriffe in Syrien durch. Und das Nato-Mitglied Türkei droht seit Monaten mit einer weiteren Militäroperation in Nordsyrien. Für Russland ist Syrien ein wichtiges Tor zum Mittelmeer und Ausgangspunkt der Ausdehnung des russischen Einflusses auf Afrika und entlegenere Teile des Nahen Ostens –die Russen können eben nicht viel mehr tun, während sie gleichzeitig in der Ukraine Krieg führen.

Balkan 

Auf dem Balkan hat Russland, ein enger Verbündeter Serbiens, mit Sorge beobachtet, wie der Westen versucht, Serbien ins Abseits zu drängen. Ende Juli verschlechterten sich die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien erneut, nachdem Pristina angekündigt hatte, den Serben an der Grenze Ein- und Ausreisedokumente auszustellen. Die USA und die EU schalteten sich ein, um die Situation vorübergehend zu entschärfen. Der Westen hat auch die Waffenlieferungen an das Kosovo ausgeweitet: Großbritannien schickte mehr als 50 Javelin- und NLAW-Panzerabwehrsysteme und kündigte Pläne an, Kosovo-Soldaten an diesen Waffen auszubilden. Darüber hinaus werden westliche Sanktionen gegen russische Öltanker Serbien vom 1. November an daran hindern, russisches Öl zu beziehen.

Zentralasien

Zentralasien ist für die USA und Europa nicht so wichtig wie andere Gebiete, aber die Amerikaner können Russland in der Region dennoch Probleme bereiten. So hat beispielsweise Kirgisistan davor gewarnt, dass afghanische Terrorgruppen in den nächsten Monaten Anschläge in der Region, insbesondere in Tadschikistan, verüben könnten. Das Taliban-Regime sei ein Werkzeug der USA, um Zentralasien zu destabilisieren, hieß es. Unterdessen meldete die tadschikische Regierung eine Verdreifachung des Drogenhandels durch ihr Territorium im vergangenen Jahr und erklärte, dass terroristische Gruppen, die sich in Badachschan im Nordosten Afghanistans versammeln, eine Bedrohung für sie selbst und die Region darstellen.
Russland befürchtet, dass die USA versuchen könnten, sich als alternativer Anführer und Vermittler in der Region zu präsentieren. Dies ist ein besonders wunder Punkt für den Kreml, der mit ansehen musste, wie China und die Türkei seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss untergraben haben, sodass ihm nur noch sein militärischer Einfluss bleibt (Moskau unterhält Stützpunkte in Tadschikistan und Kirgisistan).

Bereits jetzt gibt es erste Anzeichen für ein Vordringen des Westens; die USA haben ihre Zusammenarbeit mit Zentralasien seit Februar deutlich intensiviert. Besonders besorgniserregend für Moskau waren die Übungen in diesem August, an denen die USA, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan teilnahmen. Unabhängig davon kündigte die usbekische Nationalgarde eine erweiterte militärische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten an, einschließlich der Ausbildung usbekischer Militärspezialisten.

Es ist daher zu erwarten, dass der Kreml den Beziehungen zu Zentralasien durch Diplomatie, gemeinsame Übungen und gemeinsame Initiativen Priorität einräumt. Zentralasien ist ein großer Markt für russische Waren und ein Transitknotenpunkt zur Umgehung westlicher Sanktionen, aber Russland braucht einen bedeutenden Einfluss in der Region, um davon zu profitieren. Aus diesem Grund haben die russischen Behörden in der vergangenen Woche auf der Tagung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit auf das Problem aufmerksam gemacht. Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte, Moskau erhöhe angesichts der Lage in Afghanistan seine Kampfbereitschaft auf Stützpunkten in Kirgisistan und Tadschikistan. Er kündigte auch eine Übung zur Terrorismusbekämpfung an, die nächstes Jahr in Russland stattfinden soll, und bekräftigte Pläne für baldige Übungen im Rahmen des Vertrags über kollektive Sicherheit in Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.

Fazit

Moskau hat nicht damit gerechnet, so lange in der Ukraine gebunden zu sein, und so ist es nur natürlich, dass es seine Operationen pausiert, um sich mit Bedrohungen aus der Peripherie zu befassen. Der Krieg erschöpft Russland ernsthaft, verbraucht Munition und verschleißt Waffen, die es bräuchte, um beispielsweise auf den Terrorismus in Zentralasien zu reagieren. Da der Kreml jedoch aus der Geschichte gelernt hat, achtet er darauf, nicht alle Kräfte und Aufmerksamkeit in eine einzige Richtung zu lenken. Russland wird einen Teil seiner Kräfte für den langen Kampf aufsparen müssen, der noch vor ihm zu liegen scheint.

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Martin Falter | Mi., 31. August 2022 - 15:30

das überdehnt wird, geht daran zugrunde.

Bloß unser kleiner Diktator in Moskau glaubt das er immer so weiter machen kann ohne das es Konsequenzen gäbe.

Wie gesagt Anfang vom Ende....

Albert Schultheis | Mi., 31. August 2022 - 18:02

Antwort auf von Martin Falter

Ich vermute, Sie sprechen aus ureigener, deutscher Erfahrung unter 16 Jahren der Abrissbirne Merkel und einem knappen Jahr des Kahlschlag durch die RotGrünen Khmer.

Armin Latell | Mi., 31. August 2022 - 17:38

Manöver, das mehr als 50.000 Soldaten aus Russland, China, Indien, Belarus, Tadschikistan und der Mongolei zusammenführt. Auffällig in diesem Artikel ist jedoch die Erkenntnis, das die Amerikaner überall, wo es nach Gewalt riecht, ihre Finger im Spiel haben. Natürlich wird Putin sich davon nicht beeindrucken lassen, dieser Mann plant kühl und weitsichtig, auch wenn er sich in der U. wohl verrechnet hat. Bei den Amerikanern ist "Planung" immer sehr eindimensional: mit aller Gewalt, Intrigen und aktiver Beteiligung an militanten Gegnern unliebsamer Regierungen, wird versucht, das Zielland zu zerstören und danach auszubeuten. Wie es danach weitergehen soll, wissen sie nicht, siehe Afghanistan, Irak, Libyen., Kambodscha, Vietnam, Korea... Wenn sie sich jetzt noch mit China anlegen, was sie ja definitiv tun, wird es mit Sicherheit eng für die selbsternannte "Weltpolizei" werden, da verbrennt sich der "deep state" hoffentlich mächtig die Finger-und ich bin absolut kein Freund Chinas

Urban Will | Mi., 31. August 2022 - 18:29

Russland ist der größte Teil des einst zerfallenen „Sowjet – Reiches“, bei dem Ihre hier geäußerte These vielleicht sogar zutrifft.
Aber dass Russland, sprich, die Russische Föderation“ sich in einem Zustand der „Überdehnung“ befindet, sprich durch Eroberungen aufgebläht wurde, kann ich nicht nachvollziehen.
Die paar km², die man in der Ukraine mühselig erobert hat, sind im Verhältnis zu, sagen wir, den Eroberungen Roms, na ja... nichts.
Womit ich nicht sagen möchte, dass dieser Krieg „nichts“ bedeutet, man muss das ja bei Ihrer Fraktion immer wieder klarstellen, da es sonst Unterstellungen hagelt.
Und ich widerspreche Ihnen nicht, dass Russland an den Folgen dieses Krieges schwer leiden wird. Aber zugrunde gehen?
Was hätten Sie denn gerne?
Ein „russisches“ Nordkorea, mit dem größten A – Waffen – Arsenal, einem leidenden Volk und einem unberechenbaren Führer (wer immer das dann werden könnte)?
Sie klingen so, als hätten Sie das gerne.

Was wünschen Sie diesen 140 Mio Menschen?

Andre Möller | Do., 1. September 2022 - 07:53

wann kehrt er im Westen ein? In Moskau spielt man auf Zeit und kann dies auch. Auch im Westen mehren sich die fatalen Zeichen der Schwäche. Es gibt keine Entkopplung, die nicht beiden Seiten schaden würde, außerdem macht diese einen Weltkrieg wahrscheinlicher. Die westlichen militärischen Fähigkeiten sind wesentlich schlechter, als es medial derzeit den Anschein haben soll. Das weiß man natürlich in Moskau wie in Peking. In Washington und Brüssel weiß man das eigentlich auch, aber die oben erwähnte Eindimensionalität im westlichen "Denken" erweist sich als sichere Fackel, die den Weltkrieg entzünden kann, ohne jede Aussicht darauf, ihn auch zu gewinnen. Europa (EU) hypnotisiert sich gerade selbst, was bleibt auch sonst übrig? Vielleicht ein Austritt aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit...

Gabriele Bondzio | Do., 1. September 2022 - 10:16

um seine Strategie zu überdenken."...währe eine Option, werte Frau Colibasanu.

Immerhin ist dieses Russland groß und für einen Staatenlenker unübersichtlich.
Kam gestern bei Arte/Gorbatschow auch zum tragen.

Baerbock, die Kleineres zu betreut, hat ja auch ihre Strategie gewechselt.
Vom in den “Ruin” treiben (was nicht geklappt), hört frau jetzt den Wunsch, Russland möge strategisch scheitern.
So ist das nun mal, wenn eine Latte zu hoch liegt, wird sie abgesenkt.

Dies immer noch um den Preis des wirtschaftlichen Scheiterns von DE.

Unabhängige Militär-Experten sehen die Lage in Russland deutlich anders.
Eine der meistgelesenen Zeitschriften "Foreign Affairs" mit John Mearsheimer. Ist immer noch der Ansicht, dass der Ukrainekrieg leicht außer Kontrolle geraten und zu einem Atomkrieg eskalieren könnte. Die neuesten Nachrichten(im Blatt) besagen, dass die Russen sich den Punkten Slawjansk und Kramatorsk nähern und den Waffennachschub (Ukraine) bei Donezk abschneiden.

Maximilian Müller | Fr., 2. September 2022 - 01:48

..wächst mein Verständnis für die russischen Aggressionen in der Ukraine. Der Westen hat ja nicht erst dieses Jahr angefangen, Russland weltweit zu untergraben. Das macht Krieg ja quasi unvermeidlich. Das der Westen sich jetzt als Friedensengel darstellen kann, ist traurig. Noch trauriger ist nur, dass man Russland zusätzlich noch die jetzt zu Tage tretenden politischen und wirtschaftlichen Fehler der letzten 30 Jahre in die Schuhe schiebt und dadurch das System Westen noch ein bisschen länger am laufen hält.

Christoph Kuhlmann | Fr., 2. September 2022 - 06:57

werden vorsichtig versuchen sich dem russischen Einfluss zu entziehen. Es wird aber kaum zu offenen Konflikten kommen. Höchstens zu Aufständen gegen die jeweilige Regierung. Das spielt Russland eher in die Hände.