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„Jerusalemer Erklärung“ definiert Antisemitismus neu / dpa

Jerusalemer Erklärung - Nützliche Idioten der Antisemiten

In Jerusalem ist schon manch Weltbewegendes entstanden. Jetzt eine „Jerusalemer Deklaration“ – verfasst von zweihundert der „renommiertesten“ internationalen Holocaustforscher. Herausgekommen ist eine Mogelpackung.

Autoreninfo

Rafael Seligmann, Jahrgang 1947, ist Historiker, Journalist und Schriftsteller. Er lehrte an der Ludwig-Maximilian-Universität Strategie und Sicherheitspolitik. Soeben erschien sein Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin, Trump, Netanyahu. Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann“ bei Herder.

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Eine Reihe der Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung“ sind alles Mögliche. Philosophen, Manager wie Lothar Zechlin, Schriftstellerinnen wie Eva Menasse und andere Luftmenschen, die, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bislang weder durch Holocaustforschung, noch als Historiker aufgefallen sind. Hinzu kommen quasi als Würze reale Holocaustwissenschaftler. Bemerkenswert ist die Machart ihres Werkes. Seriöse Wissenschaftler diskutieren Thesen, falsifizieren diese und einigen sich am Ende auf ein vorläufiges Papier, das sie der wissenschaftlichen Welt und der Öffentlichkeit zur Diskussion freigeben.

Die „internationalen Holocaustforscher“, die sich hinter dem „Jerusalem“-Markenzeichen versammeln, verkündeten dagegen eine „Deklaration“ – darunter machen sie es nicht. Doch eine Deklaration ist in der Regel kein wissenschaftliches Produkt, sondern ein politisches Instrument. Deklarationen sollen Parolen von Revolutionen, Erklärung von Menschenrechten etc. als Treibsatz dienen, nicht Forschungsarbeiten. 

Der Vorwurf der blutigen Entstehung

Die Verfasser der Deklaration erwähnen in ihrer Anti-Antisemitismus-Definition unter anderem, Judenhass sei eine Variante des Rassismus, die Vorurteile gegenüber Juden akkumuliere, den Hebräern ein schlechtes Wesen und eine geheime Macht über die globalen Ereignisse zuschreibe. Zudem werden Angriffe gegen Juden und ihre Einrichtungen erwähnt. Das ist insgesamt recht sparsam.

Jeder, der sich mit Antisemitismus beschäftigt, weiß, dass Judenhass vielfältig und wandlungsfähig ist. Moderner Judenhass bedient sich seit dem Nazi-Genozid vielfach einer Camouflage: Gegen Juden per se hat man großzügiger Weise nichts, das Übel stecke vielmehr im Zionismus und dessen „Ausgeburt“: Israel. Kernvorwurf ist, dass der Staat Israel durch Gewalt entstanden sei. Eine Binsenweisheit. Man vergisst zu erwähnen, dass fast alle anderen Staaten ebenfalls durch Gewalt, „Blut und Eisen“ etc. entstanden sind. Die USA, die Volksrepublik China, Kanada, Polen, Deutschland, die brave Schweiz gar ... Den blutigen Entstehungsvorwurf reservieren die modernen Antisemiten indessen vorwiegend für das satanische Paar Zionismus & Israel.

Die Sparsamkeit der Jerusalemer Deklaratoren wandelt sich dialektisch zur Großzügigkeit, sobald Israel ins Spiel kommt. Als nicht antisemitisch wird die Ablehnung des Zionismus, Kritik an Israel, die auf Tatsachen beruht (dass „Tatsachen“ alles und nichts bedeuten können, selbst Fake News, sollte inzwischen jeder wissen), sowie der Boykott Israels beschrieben. Was das Ende des jüdischen Staates und damit von Millionen Juden bedeuten würde. Das soll kein Antisemitismus sein? Hier erhebt sich die Frage: Cui bono? Wem nützt diese Jo-Jo-Definition von Holocaustforschern und solchen, die sich als solche ausgeben?   

Antisemitismus gleicht dem Wahnsinn

Antisemitismus gleicht dem Wahnsinn. Meschugge ist allumfassend. Es braucht eine Beschreibung, damit Psychiater, Juristen, Kriminelle, Journalisten, Politiker und Interessierte eine Arbeitsgrundlage haben. Auch deshalb wurde 1998 die „International Holocaust Remembrance Alliance“ IHRA etabliert. Der Zusammenschluss von Regierungen und Experten aus 34 Staaten unter derzeitigem deutschen Vorsitz ist bestrebt, die Erinnerung an die Schoah durch Aufklärung und Forschung wachzuhalten. 2016 hat sich die IHRA auf eine Antisemitismus-Definition geeinigt: 

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden und Jüdinnen, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder in Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
... Der Vorwurf gegenüber den Jüdinnen und Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
... Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen. 
... Die Anwendung doppelten Standards, in dem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.“

Mit dieser Definition erklärt die IHRA das Mutationsprinzip des Judenhasses. Antisemitismus changiert zwischen religiöser Feindschaft, Rassismus und dem ideologischen Hass des Antizionismus. Letzterer wird gegenwärtig vorwiegend von der BDS-Bewegung getragen, welche den Staat Israel zu erdrosseln sucht, indem sie weltweit zum Boykott des Landes und seiner Einrichtungen inklusive Forschungsstätten ebenso wie zum Stopp der Investitionen in Zion und zu Sanktionen aufruft.

Pro und contra Antisemitismus

Ein wichtiges Feld der modernen Auseinandersetzung pro und contra Antisemitismus ist die Teilnahme von Juden. Wenn Hebräer gegen den Zionismus oder die Existenz Israels, beziehungsweise für dessen Boykott einträten, könnten diese Strömungen nicht antisemitisch sein, lautet das falsche Argument. Warum sollten Menschen jüdischer Herkunft oder Religion nicht Antisemiten sein dürfen? Auch Juden besitzen das Recht auf Dummheit, Selbsthass und Verkommenheit. So schlossen sich einst viele deutsche Juden antisemitischen Vorurteilen an – in der Hoffnung, die Judenhasser beschwichtigen zu können.

AEG-Chef Walther Rathenau, dem es als Jude verwehrt blieb, preußischer Leutnant zu werden, polemisierte 1897 in seiner Schrift: „Höre Israel!“: „Auf märkischem Sand eine asiatische Horde.“ Vergeblich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der deutsche Patriot Rathenau zum Opfer antisemitischer Hetze: „Schlagt tot den Walther Rathenau/ Die gottverdammte Judensau!“ 1922 machten die Judenfeinde ernst und ermordeten Rathenau. Ein Vorspiel nur für die elf Jahre später einsetzende Nazi-Diktatur.

Deklaration auf den Müll werfen 

Diese Folgen kennen die Wohlgesinnten nicht oder sie wollen nichts davon wissen. Sie mögen Gutes im Sinn haben. Israels Besatzungspolitik zu kritisieren ist legitim. Das geschieht ohnehin in und außerhalb Zions. Doch wer den Antisemitismus erforscht oder es vorgibt und sich Jerusalem auf Panier schreibt, sollte fähig sein, die möglichen Konsequenzen seines Tuns zu begreifen. Die Unterzeichner sollten ihre Deklaration auf den Müll werfen, ansonsten machen sie sich zu nützlichen Idioten der Antisemiten.

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Gisela Fimiani | Mo., 29. März 2021 - 14:30

Eine, ins Schwarze treffende, Beschreibung eitlel-ignoranter Schlau(dumm)berger, denen es frönt, sich im eigenen Gut-Unfug zu suhlen. Kritiker, denen Selbstkritk fremd ist. Deshalb muss die „Deklaration“ herhalten. Ein „Falsifizieren“ muss von vornherein ausgeschlossen werden. Neue Propheten, die neue „Wahrheiten“ produzieren. Sie sollten (nach Sokrates) „um ihre Seelen besorgt sein“.

Die Argumentation des Autors kann ich halbwegs nachvollziehen, Ihre aggressive Replik jedoch nicht einmal ansatzweise. Irgendwas scheint Sie zu triggern an diesem Thema. Ich zitiere hier aus der Deklaration:

"Es ist rassistisch, zu essentialisieren (eine Charaktereigenschaft als angeboren zu behandeln) oder pauschale negative Verallgemeinerungen über eine bestimmte Bevölkerung zu machen. Was für Rassismus im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen für Antisemitismus."

Für mich klingt das durchaus plausibel. Grundsätzlich aber empfiehlt es sich, solche Dokumente zu lesen, bevor man sie beurteilt. Ich werde das tun. Sie auch, Frau Firmiani?

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 29. März 2021 - 15:29

für eine Form des Rassismus, was sonst und sehe nicht, dass der Autor Argumente dagegen anführt.
Viele andere Vorwürfe des Autors leuchten mir allerdings ein, wenn auch nicht mit der evtl. Ausschliesslichkeit, die der Autor evtl. Kritikern Israels zumutet.
Ich gehöre zu den evtl. wenigen Menschen, die im Vater des Zionismus geradezu einen Messias für die sich als Israelis begreifende Gruppe von "Semiten"sehen. Da mag es andere geben, wie vielleicht unter Anderem die vom Autor Kritisierten.
Er sollte vielleicht einmal schauen, ob sich nicht sogar moderne und den Zionismus überschreitende Argumente der Gruppe finden.
Ich glaube nicht, dass liebende "Hebräer" auf Israelis "schimpfen".
Aber selbst wenn man das Beste für Israel wollte, so kann es doch scheitern.
Ich würde von aussen ja meinen, dass die politische Krise in Israel sofort beendet wäre, wenn Frau Livni sich zur Wahl stellen würde, aber da würde ich wahrscheinlich in Hunderte Fettnäpfchen treten.
Ich sage es trotzdem
Respekt

Markus Michaelis | Mo., 29. März 2021 - 16:02

ist es wirklich, wieviel Energie in der Welt auf die Einordnung Israels und der Juden, also einer relativ kleinen Gruppe, investiert wird. Zusammen mit den dramatischen Leistungen Israels (auch schon der Juden zuvor, nicht zuletzt in D bis 1933) in der Wissenschaft, Technik, Kunst, Kultur macht es Juden und Israel irgendwie zu etwas ganz besonderem. Zumindest da scheinen sich alle einige - wie es zu bewerten ist, gehen die Meinungen natürlich weit auseinander.

Ich weiß nicht, ob es wirklich einen speziellen (sozusagen "genetischen") Antisemitismus gibt. Mein Eindruck ist, dass Menschen starke Gefühle haben, die Welt voller Widersprüche ist und keiner weiß, wie Menschsein und Gesellschaft wirklich funktionieren kann, welche Kausalitäten wirken. In diesem Setting ist es für Menschen fundamental wichtig, Wahrheiten und Bösewichte zu haben, eine klare Ordnung. Diese Grundfunktion scheint elementar notwendig, aber die Begriffe und Ziele scheinen mir schon zu wechseln.

Heidemarie Heim | Mo., 29. März 2021 - 16:40

In der Tat frägt man sich was der wahre Hintergrund für diese Art von Konformismus mit den Gegnern Israels ist, hinter dem man wie Sie werter Herr Seligmann mit Recht vermuten kann, dass hier ein Deckmäntelchen über eine persönlich konfrontative Spielart des Antisemitismus gehängt werden soll. Deshalb fragte ich mich damals auch, wie meschugge unser Staatsoberhaupt und so einige Andere waren, um Glückwünsche im Namen ihres Volkes Richtung Iran zu senden! Wogegen ich mich ausdrücklich auch als Nichtjüdin verwahrte.
Das diese Aktion aber nicht mehr an Empörung und Verlautbarungen des ZdJ und den jüdischen Gemeinden auslöste hat mich jedoch auch verwundert. Ebenso wie dessen scheinbar relativierende Bewertungen von Antisemitismus, der wie alle wissen keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal von Rechten oder Nazis ist. Mir scheint, die oben genannten Modernisierer und diese BDS-Gruppen ergänzen sich darin. Ob aus Unwissenheit oder mit Absicht, hochgradig meschugge wie gefährlich! Shalom!

Bernd Muhlack | Mo., 29. März 2021 - 18:21

Wiederholend - ja, immer wieder!

Im Herbst 1980 war unser Geschichte-LK auf Studienreise in Polen; alle 18,19j.
"Eiskalter Krieg" - So lief das auch ab.
Die "Blödesten" waren bei Hin-/Rückfahrt die DDR-Grenzer!
100m weiter haben "die Polen" unseren Bus einfach durchgewunken!
Ist das nicht bemerkenswert?
Fünf Schülern* wurde seitens der Eltern die Studienfahrt nicht erlaubt.

Danzig, Warschau, Krakau etc -
& AUSCHWITZ/Oswiecm.
Eines der vier Vernichtungslager in Polen:
Auschwitz-Birkenau, Sobibor, Treblinka und Maidanek!
Nein, keine KZs => "Vernichtungslager!"

Nach dem Auschwitz-Besuch herrschte im Bus heimfahrend, als auch Abends im Hotel "Totenstille".
Wer Hallen, Vitrinen gefüllt mit Haaren, Brillen, Schuhen, Zähnen, Knochen etc. gesehen hat, braucht keine Erklärung was Antisemitismus, Rassismus ist!
Das bleibt unvergesslich!

Gleichwohl ist das keine never-ending-story der Deutschen!
Ich bin 59 - habe ich SCHULD?
Tochtern ist 30 - hat sie SCHULD?
NEIN!
מזל־טוב mazel tov alles gute

Gerhard Hellriegel | Di., 30. März 2021 - 10:45

Wer also auf die teils Ermordung, teils Vertreibung der Hereros hinweist, ist damit antideutsch.
Schließlich gab es das schon immer: die Römer taten's mit allen Nachbarn, die Amerikasiedler mit den Indianern, die Spanier mit den Inkas, die Kolonialisten aller Zeiten, aller Länder, die Perser, Babylonier und Ägypter, die Hunnen, die Kreuzritter, die Israeliten mit den Kanaanitern, vielleicht auch homo sapiens mit den Neandertalern und und und. Und wenn das dann sogar Deutsche sind, die darauf hinweisen, dann kann es sich doch nur um Dummköpfe handeln - logisch. Schön, ich werde bei der nächsten Holocaust-Diskussion darauf zurückkommen. Ist das dann auch antideutsch oder bleibt einfach geschichtliche Wahrheit geschichtliche Wahrheit?