Nazi-Vergleiche dürfen natürlich nicht fehlen: Von der Opposition organisierte Demo im Juni in Warschau / dpa

Vor der Parlamentswahl in Polen - Vergiftete Atmosphäre

Am 15.  Oktober wählen die Polen ein neues Parlament – und die Rivalen gehen mit härtesten Bandagen aufeinander los. Denn in der Auseinandersetzung zwischen dem nationalpopulistischen und dem proeuropäischen Lager geht es nicht nur um Politik.

Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Schon vor Wochen hat Jarosław Kaczynski ein Fernsehduell mit Oppositionsführer Donald Tusk kategorisch ausgeschlossen. Er nimmt nun zum Endspurt des Wahlkampfs in Kauf, dass ein Teil der Medien ihn als Feigling verspottet. Doch umschifft er so das Risiko, gegen den ihm persönlich verhassten Tusk in den Augen des Publikums den Kürzeren zu ziehen und womöglich wegen eines verunglückten TV-Auftritts den Sieg bei den Parlamentswahlen am 15. Oktober zu verspielen. Der Zweikampf um die Macht hat nämlich in Polen traditionell einen hohen, fast mythischen Stellenwert, Geschichtsbücher und klassische Literatur zeugen davon.

Die polnischen Medien malen das Bild einer Richtungs-, gar einer Schicksalswahl: Die seit acht Jahren regierende nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Kaczynskis warnt vor einem endgültigen „Verlust der Souveränität Polens“, falls die von Tusk geführte Bürgerkoalition (KO) gewinnen sollte. Dieser sei ein „Knecht der Deutschen“, die die von der „LGBT-Ideologie verseuchten“ EU-Institutionen dominierten, Kaczynski sprach gar vom „Vierten Reich der Deutschen“. Das proeuropäische Mitte-Rechts-Lager um Tusk wiederum warnt vor der weiteren Demontage des Rechtsstaats, der Ausspähung der Bürger durch die Behörden, einem wirtschaftlichen Abstieg, der außenpolitischen Isolierung Polens sowie der Beschneidung der Rechte von Frauen im Falle eines PiS-Sieges. Linke Gruppierungen fürchten überdies Repressalien gegen sexuelle Minderheiten.

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Gerhard Lenz | Fr., 13. Oktober 2023 - 09:15

Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet in jenen Ländern, in denen sich die Menschen zuerst sichtbar gegen die kommunistische Diktatur erhoben, heute die Demokratie am meisten gefährdet scheint. In Ungarn und Polen sind rechtsnationale Parteien fleißig dabei, liberale Werte zu unterdrücken, die Medien zu willigen Erfüllungsgehilfen zu degradieren und den Rechtsstaat abzubauen. Und wie immer, wenn solche Parteien regieren, wird zunehmende Willkür als notwendige Abwehr gegen einen vermeintlichen Feind begründet. Das sind von außen natürlich die EU, die angeblich eine neue Form von Fremdherrschaft begründen will, und im Innern die gottlosen Linken, die Homosexualität, Abtreibung und andere dekadente Gesellschaftsentwicklungen verteidigen.
Ist das die Art von amputierte "Demokratie", die Ungarn und Polen wollten, als sie den Kommunismus bekämpften?
Und was die EU angeht: Wer diese ablehnt, sollte austreten, und nicht auch noch die Unverschämtheit besitzen, ordentlich von ihr zu kassieren.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 13. Oktober 2023 - 09:43

Wenn die PIS gewinnen sollte bin ich aber mal gespannt, ob und wie Kaczyński den Austritt aus der EU vorantreiben will. Er dürfte bei vielen Landsleuten durchaus punkten damit, das gerade D sich permanent in polnische innere Angelegenheiten einmischt und die Moralkeule schwingt, während sie selbst permanent mit eigener heuchlerischer Politik auffällt. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass er es sich gut bezahlen läßt, wenn er dann doch "vorerst" in der EU bleiben würde. Ich denke, damit spielt Kaczyński gerne, in dem er mit dem EU Austritt droht. Tusk ist ein "gekaufter" Europäer. Der macht für Geld und Regierungsmacht alles. Aber ungeachtet dessen ist es mir letztlich egal, was und wen die Polen wählen. Polen wird sich von D nicht mehr lange "fürchten" müssen. Man ist auf dem strammen Weg zu einem Entwicklungsland.

Elfriede Puhvogel | Fr., 13. Oktober 2023 - 18:43

Sollte es so kommen fällt die EU komplett auseinander, weil die deutschen Milliarden fehlen! Und Polen kann als größter Nettoempfänger all seine Projekte, wie Wirtschaftswachstum und Aufrüstung als größte europäische Streitmacht in den Schornstein schreiben.