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Screenshot, BBC Scotland

Schottische Unabhängigkeit - Not everybody's Darling

Im September sollen die Schotten über eine mögliche Unabhängigkeit ihres Landes abstimmen. Am Montag traf Schottlands Premier Alex Salmond, der für die Unabhängigkeit kämpft, auf Alistair Darling, der für den Erhalt des Vereinigten Königreichs eintritt. Das zweite und letzte TV-Duell hatte einen klaren Sieger 

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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In Schottland heilen Wunden schnell. Am Abend des 5. Augusts geht Alex Salmond, der First Minister in Edinburgh und Chef der schottischen Nationalpartei, lädiert von der Bühne. Alistair Darling, der für Labour in Westminster sitzt und die Anti-Unabhängigkeitskampagne „Better Together“ anführt, hat Salmond zugesetzt. Auf Darlings Frage nach der Währung eines unabhängigen Schottlands, hatte Salmond keine befriedigende Antwort parat – eine offene Flanke, die Darling immer wieder anging. „Darling hat eine erste Wunde geschlagen“, titelte am Folgetag The Herald. In Umfragen sah eine Mehrheit den Labour-Politiker als Gewinner des TV-Duells.

First Minister agil, "Better Together"-Anführer unflexibel


Doch am gestrigen Abend steht kein angeschlagener Salmond auf der Bühne in der Kelvingrove Kunstgalerie in Glasgow – er ist agil, schlüpft in verschiedene Rollen. Während er in seinem Opening Statement noch pathetisch über die „reiche Nation“ sinniert, beantwortet er in den darauffolgenden „Sections“ über die Bühne schlendernd die Fragen aus dem 200 Köpfe zählenden Publikum. Die Gesten sind weich. „Cathy, ich will ein starkes Mandat vom schottischen Volk um in die Verhandlungen über die künftige Währung“, antwortet Salmond einer Dame im Publikum in kumpelhaftem Ton. Er schaut in die Kameras, spricht die Waliser an, die auch unter der britischen Gesundheitspolitik leiden würden.

Daneben steht Alistair Darling steif hinter seinem Rednerpult. Wie seine Haltung, so seine rhetorische Flexibilität. Unaufhörlich penetriert der ehemalige Schatzmeister unter Gordon Brown Salmond mit dem eigenen Kernthema: die Finanzen. Schottland könne sich nicht nur auf die Einnahmen aus der Ölförderung verlassen, die ohnehin überschätzt seien. „Warum sollte Schottland das einzige Land der Welt sein, das Bodenschätze als Fluch und nicht als Segen begreift?“, fragt Salmond süffisant zurück, was beinahe im Zwischenapplaus untergeht.

Auch die Währungsfrage, die Darling drei Wochen zuvor noch den Sieg im Duell bescherte, kommt wie ein Bumerang zurück. Salmond ist vorbereitet,  Berater haben ihn in den letzten drei Wochen gut verarztet: Aber er wolle auf jeden Fall verhandeln, um die britische Währung behalten zu können. Er bringt sogar Darling dazu, einzugestehen, dass dies möglich ist. „Alistair, würdest du denn ein Verhandlungsmandat unterstützen?“, fragt Salmond, lässig den Ellenbogen auf dem Pult. Darling weicht aus, erklärt dem Publikum, dass Salmond keinen Plan B habe, obwohl dieser ihn vor einigen Sekunden erklärt hat: „Eine Währung mit einer festen Wechselkursbindung an das Pfund Sterling wäre beispielsweise eine Alternativ.“ Darling vergibt die Chance, auf die Übernahme des Euro, der bei einem EU-Beitritt eines selbstständigen Schottlands akut würde, zu fokussieren.

Alistair Darling ist verwundet, Salmond wird zum Hai


Dieses Ausweichen erkennt Salmond als Zurückweichen und treibt Darling vor sich her. Mit Daumen und Zeigefinger wirft er wie mit Dartpfeilen auf den Labour-Politiker, der sich zusehends verhaspelt. „David Cameron hat gesagt, Schottland könne ein erfolgreiches unabhängiges Land sein. Stimmen Sie Cameron zu?“ Darling dreht rhetorische Pirouetten. Er kann sich unmöglich auf die Seite des aus schottischen Gottseibeiuns schlagen, der noch dazu ein Torrie ist. „Stimmst du ihm zu?“ Darling windet sich weiter. Auch der Moderator mag ihn nicht zu einer Antwort zu bewegen.

Darling ist verwundet. Salmond wird zum Hai. Beim Reizthema der Gesundheitsversorgung verbeißt er sich gänzlich in Darlings Parteizugehörigkeit. Sogar die Linken in England würden gegen die Privatisierungspolitik der Regierung in Westminster wettern, sagt Salmond. „Warum sind Sie dafür, dass die Gesundheitspolitik einer konservativen Regierung in Westminster für Schottland gilt?“, schlägt Salmond eine Finte, auf die Darling prompt hineinfällt. „Ich bin gegen diese Gesundheitspolitik!“ Der Rest seiner Antwort geht im lauten Saal unter, der an diesem Abend ständig mit Zwischenrufen Darling zwingt, neu anzusetzen.

„This is our moment. Let's seize it with both hands!“


Auch in den anderen Themen wie Arbeitspolitik und in Schottland stationierte Nuklearwaffen, die die Unabhängigkeitsbewegung loswerden will, arbeitet sich Darling an Salmond beinahe vergeblich ab. Sein Kernargument, das er in jedes Themenfeld wirft, verfängt kaum: Schottland geht es zwar gut, eine Unabhängigkeit würde diesen Zustand gefährden. Daher „No thanks“ zur Unabhängigkeit. Salmonds Meta-Konter: Schottland wird davon abgehalten, sich zu entwickeln.

Schottland, das Land, das endlich die Regierung bekommen würde, die es auch gewählt hat, wie Salmond in seinem Schluss-Plädoyer beschreibt. „This is our time, this is our moment. Let's seize it with both hands!“

Salmond hat jedenfalls seine Zeit auf der Bühne genutzt. Laut Umfrage des Guardian sahen 71% der Befragten Salmond als Sieger. Der Herald  titelte heute mit „Salmond strikes back“. Die schottische Sun erlaubte sich ein treffendes Wortspiel: „Not tonight, Darling“.

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