Besuch in Ankara: Der österreichische Bundeskanzler Nehammer mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan / dpa

Türkei und Nato - Der Störenfried vom Bosporus

Die Türkei ist Mitglied der Nato und damit Teil des Westens. Doch nach dem barbarischen Angriff der Hamas auf Israel stellt sich Erdogan auf die Seite der Palästinenser. Wäre das Verteidigungsbündnis besser dran ohne das Land am Bosporus?

Autoreninfo

Karl-Heinz Kamp war Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.

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Groß war die Empörung, als der türkische Präsident sich nach den brutalen Angriffen der Hamas auf Israel auf die Seite der Palästinenser stellte und – ganz im Stil von Wladimir Putin – Israel als den eigentlich Schuldigen ausmachte. Nicht, dass man vom Machthaber in Ankara nicht schon einiges gewöhnt gewesen wäre, aber dies sprengte jeden Rahmen. Hamas sei laut Erdogan eine Befreiungsbewegung, die einen Kampf gegen Kreuzzügler führe, und Israel sei nicht nur ein Kriegsverbrecher, sondern eine „Schachfigur des Westens“.

Spätestens hier gesellt sich zum schieren Entsetzen auch noch Unverständnis. Ist die Türkei nicht Mitglied der Nato und damit Teil des Westens? Strebt sie nicht seit Jahrzehnten in die Europäische Union und beklagt ständig, dort ausgegrenzt zu werden? Und – ganz nebenbei – ist die in der Türkei verfolgte kurdische PKK dann nicht ebenso eine Befreiungsbewegung? Entsprechend schnell fällten die nationalen und internationalen Kommentatoren ihr Urteil. Wenn die Nato ihre Selbstbeschreibung als „Wertegemeinschaft“ ernst nähme, dann könnte sie solch menschenverachtenden Äußerungen nicht akzeptieren. In der Nordatlantischen Allianz sei kein Platz mehr für die Türkei – das Maß sei endgültig voll. 

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Tomas Poth | Do., 2. November 2023 - 11:23

Die Existenz der Nato basierte auf ihrer Funktion als Antagonist zum Warschauer Pakt.
Den gibt es seit 30 Jahren nicht mehr, infolgedessen braucht es auch nicht mehr die Nato.
Gebraucht wird ein eigenständiges europäisches Verteidigungsbündnis ohne die USA. Die Türkei gehört nicht dazu.
Im übrigen bin ich der Auffassung, daß die UN einen Teilungsplan für die Türkei beschließt, der das Siedlungsgebiet der Kurden, den Süd-Osten der Türkei, diesen als eigenen Staat zuspricht!
Das was für die Juden in Palästina möglich war, muß auch für die Kurden in Anatolien möglich sein!

Robert Hans Stein | Do., 2. November 2023 - 13:30

Antwort auf von Tomas Poth

entscheiden glücklicherweise weitsichtigere Leute als Sie, Herr Poth. Man kann Putin, der in den vergangenen Jahren diesen Antagonismus reanimiert hat, recht gut Beifall klatschen hören ob solch abstruser Überlegungen. Einmal ganz abgesehen davon, dass Europa ohne die USA militärisch eine vernachlässigbare Größe ist und das nicht nur wegen seiner Uneinigkeit,sondern auch wegen seiner Indolenz. Wir hätten China oder den USA (die Sie passend zur AfD-Denke offensichtlich als Rivalen wenn nicht als Feind sehen) kaum etwas entgegenzusetzen.
Die Idee eines eigenen Kurdenstaates gab es schon nach dem ersten Weltkrieg einmal. Nach dem erfolgreichen Krieg Atatürks und der Entstehung der heutigen Türkei wurde sie nicht weiter verfolgt. Vermutlich würde sie auch heute an der Zerstittenheit der Kurden scheitern.

Das dürfen Sie gerne so sehen, allerdings sehe ich im Polit-Establishment keine weitsichtigen, sondern nur kurzsichtige Geister die hauptsächlich ihre eigenen Versorgungsansprüche im Auge haben.
Lesen Sie gerne mal das Buch von K. v. Dohnany, Nationale Interessen.
Ansonsten applaudieren Sie ruhig weiter den Kurzsichtigen.

H.H.Schweizer | Fr., 3. November 2023 - 12:39

Antwort auf von Tomas Poth

Die Türkei war NATO-Mitglied bevor die Bundesrepublik Deutschland (1955) aufgenommen wurde, entgegen des Einverständnisses vieler damals! Viel hat die Bundesrepublik für die NATO getan, sie „baute“ auf die USA;-)
Weniger deutsche Überheblichkeit heute wäre wünschenswert, würde dem von Baerbock ramponierten Ansehen helfen.

Tomas Poth | Fr., 3. November 2023 - 15:53

Antwort auf von H.H.Schweizer

... daß Sie der angelsächsische Argumentationslinie folgen. Eines können sie als sicher betrachten, die wird in der Zukunft nicht mehr zu halten sein.

Karl-Heinz Weiß | Do., 2. November 2023 - 11:53

Die Türkei ist für die NATO unverzichtbar, gerade im Hinblick auf den durch frühere US-Fehlentscheidungen gestärkten Iran. Es gibt eine Zeit nach Erdogan. Und dessen Position wurde auch durch bundesdeutsche Fehlentscheidungen gestärkt. Den dadurch erzwungenen Merkel-/Erdogan-Deal hat er sicher nicht vergessen.

Robert Hans Stein | Do., 2. November 2023 - 12:07

Auf jeden Fall! Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende - Schluss mit der ewigen Quertreiberei. Wenn die Statuten des Bündnisses einen Ausschluss nicht vorsehen, dann ignoriert man einfach die türkische Position in einer grundlegenden Frage mit dem Ziel, Erdogan zum Austritt zu bewegen. Also erreicht werden könnte die Trennung schon, indem man den unsicheren Partner als Gegner behandelt. Aber!
Die Angst vor den Folgen ist begründet. Für konventionelle Kriegführung ist die türkische Armee vermutlich die beste der NATO in Europa.
Auf die geostrategische Bedeutung der Türkei ist im Artikel schon eingegangen worden. Und dass eine wertebasierte Politik an ihre Grenzen gelangt ist, dürfte allen ihren Befürwortern gerade schmerzhaft bewußt werden.
Manchmal ist Abwarten doch nicht so falsch. Es ist nicht auszuschließen, dass bei weiterer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation die AKP ihre dominante Stellung verliert.

Konstantin Richter | Do., 2. November 2023 - 12:37

Ich denke die Türkei wird ob ihrer islamischen Ausrichtung immer ein schwieriges Mitglied der NATO sein. Eine EU-Mitgliedschaft stelle ich mir furchtbar vor, mag eine kleine vernünftige Schicht von Türken auch durchaus prowestlich eingestellt sein. Ich würde die Türkei-Beziehung auf kleiner Flamme halten und dafür die Beziehung in dieser Weltgegend zum christlich geprägten Armenien und Georgien deutlich ausbauen.

Ernst-Günther Konrad | Do., 2. November 2023 - 13:24

Man kann noch so darüber philosophieren, ob es klug war, die TR in die Nato aufzunehmen. Sie ist drin und man wird sie wahrscheinlich auch nicht mehr los, wenn sich die Nato nicht komplett selbst auflöst.
@ Tomas Poth - "Gebraucht wird ein eigenständiges europäisches Verteidigungsbündnis ohne die USA. " Bis wir ein solches hätten, wer würde uns solange schützen? Trump ließ lt. BILD verkünden, er würde Europa nicht schützen. Würde es denn Biden tun, wenn es hart auf hart käme?
@ Karl-Heinz Weiß - da dürften Sie recht haben. Die Türkei hat nach den USA im Nato Verbund, die größte Armee und deren Logistik funktioniert, anders als bei uns.
@ Robert Hans Stein - ja, es wird eine Zeit nach Erdogan kommen und noch ist es nicht zwingend, eine Ausschluss der TR aus der Nato zu denken. Immerhin ist die TR nicht der einzige Staat, der sich mit Israel schwer tut. Erdogan kann schnell seine Positionen wieder ändern. Er reagiert immer gerade so, wie es tagesaktuell ihm dienlich erscheint.

Heidemarie Heim | Do., 2. November 2023 - 15:44

Schon der Altgrieche Äsop brachte es auf den Punkt;) In normalen, ansonsten unproblematischen zwischenmenschlichen Verhältnissen mag dies ausreichen bzw. zutreffen. Doch in einem Bündnis a la Musketiere, "Einer für alle, alle für einen" muss man sich noch mehr nicht nur der eingegangenen Verpflichtungen gewahr sein , sowie der Konsequenzen im worst case, sondern es erfordert sich daraus ergebend ein m.E. viel höheres Maß an Vertrauen bzw. Zutrauen was die Verlässlichkeit der Partner betrifft. Ein einziger Querschießer, Verweigerer oder ausscheren aus der Ordnung schwächt (sprengt)nicht nur die Reihen, sondern verschafft Gegner unter Umständen den einen kleinen Vorteil in der Schlacht. Das erfordert es m.E. auch Dinge im Gleichgewicht zu halten was z.B. die Ausübung aus Eigeninteresse heraus oder aufgrund individueller geostrategischer wichtiger Positionen beinhaltet. Um es auf den Nenner zu bringen bedeutet das zumindest für mich bis dato Freiheit und Demokratie zu verteidigen! FG

Albert Schultheis | Do., 2. November 2023 - 19:20

"In der Nordatlantischen Allianz sei kein Platz mehr für die Türkei – das Maß sei endgültig voll."
Bereits die gewaltsame Annexion Nordzyperns hätte der EU und der Nato signalisieren müssen, dass diese Türkei nicht zu uns passt. Gleichermaßen die Gewalt gegen die Kurden im Irak und die offene Unterstützung des IS sowie die Besetzung von Teilen Syriens gegen internationales Recht - wieso blieb da eigentlich der Protest des Westens aus? - Ja richtig, weil die USA das genauso machen! Dann kam der Krieg gegen Bergkarabach, zu dem Erdogan Aserbeidschan anstiftete und militärisch aufrüstete - und zuletzt die ethnische Säuberung der Enklave. Bereits das alles ergaben genug Gründe das Tischtuch mit Erdogan zu zerschneiden. Aber es ist die strukturelle Fäulnis aller westlichen Werte, die diesen entscheidenden Schritt immer wieder verhindert hat. Spätestens jetzt muss von Nato und EU der Ruf an die Türkei ergehen, sich zu unseren gemeinsamen Werten zu bekennen - oder eben raus mit den Faschisten