Ein türkischer Mann hält hinter einem Zaun die Ausgabe der Zeitung Cumhurijet hoch am Tag, als ihr Chefredakteur verhaftet wurde
Zeitung hinter Gittern: Die Führungsspitze der türkischen „Cumhuriyet" ist immer noch in Haft / picture alliance

Türkei und die Pressefreiheit - „Lassen Sie meinen Vater seine Unschuld beweisen!“

Im Herbst vorigen Jahres ließ der türkische Präsident Erdogan die Führungsspitze der Zeitung „Cumhuriyet“ verhaften. Chefredakteur Murat Sabuncu sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Dennoch gibt sein Sohn Muratcan die Hoffnung nicht auf für einen unabhängigen und kritischen Journalismus in der Türkei

Lena Baseler

Autoreninfo

Lena Baseler hat Politikwissenschaft und Philosophie studiert.

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Zurzeit sitzen 148 Journalisten in der Türkei im Gefängnis. Darunter Murat Sabuncu, Chefredakteur der oppositionellen Tageszeitung „Cumhuriyet. Er, sowie elf weitere „Cumhuriyet-Journalisten, wurden am 31. Oktober 2016 von der türkischen Polizei verhaftet. Zehn von ihnen, darunter Sabuncu, sitzen immer noch in Untersuchungshaft und warten auf das Gerichtsverfahren. Sein Sohn Muratcan Sabuncu lebt in Paris und absolviert dort seinen Master in Rechtswissenschaften an der Sorbonne Universität. 

Herr Sabuncu, was wird ihrem Vater genau vorgeworfen?
Mein Vater und die anderen festgenommenen Redakteure und Mitarbeiter von Cumhuriyet sind beschuldigt, Verbrechen im Auftrag von zwei Terrororganisationen begangen zu haben: zum einen für die PKK, die Kurdische Arbeiterpartei, und zum anderen für die Fetö, die Fethulla Terrorist Organisation. Letzere wird von der türkischen Regierung für den misslungenen Putschversuch im vergangenen Juli verantwortlich gemacht.

Ist da etwas dran?
Nein. Die Anschuldigung des Verbrechens Propaganda für bewaffnete Organisationen, ohne dabei offiziell Mitglied von ihnen zu sein, begangen zu haben, sind grotesk. Die PKK und Fetö ihrerseits haben sich klar gegeneinander positioniert. Cumhuriyet in Verbindung mit diesen beiden Namen zu bringen ist mehr als unglaubwürdig, denn die Zeitung ist ein ausgesprochener Kritiker jener beiden Gruppen. Sie war eine der wenigen Zeitungen in der Türkei, die die Verbindung der Fetö zu staatlichen Institutionen kritisiert hat. Außerdem kritisierte sie die terroristischen Machenschaften der PKK und verteidigte dabei dennoch die Rechte der Kurden.

Muratcan Sabuncu
Muratcan Sabuncu

Was waren Ihres Erachtens nach dann die eigentlichen Ziele der türkischen Regierung?
Es ist durchaus möglich, dass hinter all diesen Verhaftungen das  Ziel steckt, eine der letzten kritischen und respektierten Stimmen in der Türkei zum Schweigen zu bringen.

Hat Ihr Vater eine Aussicht auf ein faires Gerichtsverfahren?
Das politische Klima und Unterdrückungen haben stets einen Einfluss auf die Unabhängigkeit und Objektivität der Justiz in jedem Staat. Ich glaube trotzdem, dass es in meinem Land noch immer Richter gibt, die ihre Urteile auf Basis von Recht und Wahrheit fällen. Wie auch immer, bis jetzt haben die Staatsanwälte keine Anklageschrift präsentieren können, die die Vorwürfe der Regierung gegen meinen Vater und seine Kollegen von Cumhuriyet unterstützen könnte. Vielmehr soll der Generalstaatsanwalt angeblich selbst einer Untersuchung unterzogen worden sein, da er Verbindungen zu der Fetö unterhalten haben soll. Das bedeutet, dass der Fortschritt in dem Fall zum Stillstand gekommen ist und mein Vater immer noch hinter Gittern sitzt. Die Situation nimmt lächerliche Züge an.

Was können die Anwälte Ihres Vaters da noch bewirken?
Die Anwälte meines Vaters und der anderen inhaftierten Cumhuriyet-Journalisten haben eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) eingelegt und sich für ihre Freilassung eingesetzt. Sie argumentieren, dass die Untersuchungshaft gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die das Recht auf Freiheit, Sicherheit und Meinungsfreiheit, verstoße. Weiterhin fordern sie eine Entschädigung von 20.000 Euro für jeden von den inhaftierten Journalisten.

Wie geht es Ihrem Vater in der Untersuchungshaft? Können Sie überhaupt Kontakt zu ihm pflegen?
Meinem Vater geht es gut. Er teilt sich die Zelle mit zwei weiteren Kollegen, kriegt drei mal am Tag zu essen, darf Zeitung lesen und Fernsehen schauen. Für ihn gibt es aber keine Möglichkeit mit den anderen Gefängnisinsassen in den Gemeinschaftsräumen zu sprechen. Dennoch, die Gerechtigkeit seines Kampfes für das fundamentale Recht der Meinungsfreiheit und das Recht auf eine pluralistische Medienlandschaft in der Türkei als einer demokratischen Gesellschaft, lässt ihn stark bleiben. Er weiß, dass er für die richtige Sache kämpft. Leider konnte ich in den vergangenen vier Monaten nur insgesamt acht Minuten mit ihm am Telefon sprechen. Diese Gespräche wurden höchstwahrscheinlich aufgezeichnet. Er erhält außerdem keine Briefe in der Haft oder darf welche schreiben. Deswegen habe ich einen Brief für ihn in der Cumhuriyet veröffentlicht.

Am 16. April hält die Türkei ein Referendum ab, das Recep Tayyip Erdogan noch mehr Macht als Präsident zusichern soll, als er ohnehin schon hat. Hat der unabhängige und kritische Journalismus im Falle eines positiven Ausgangs für Erdogan noch eine Zukunft in der Türkei?
Wir können natürlich jetzt noch nicht den Ausgang des Referendums vorhersagen. Doch wenn die Türken „Nein“ zum Referendum sagen, könnte der Unterdrückung des unabhängigen und kritischen Journalismus endlich ein Ende gesetzt werden. Andernfalls werden die Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit, die infolge der Verhängung des Ausnahmezustandes seit dem misslungen Putschversuch vom 15. Juli des vergangenen Jahres bestehen, sich noch intensivieren.

Sie leben derzeit in Paris. Gibt es etwas, das Sie aus dem Ausland für Ihren Vater tun können?
Außer dem Schreiben von Zeitungsartikeln, bei denen ich auf die Lage meines Vaters aufmerksam mache, bin ich Präsident der Sorbonne Human Rights Association (Sorbonne Menschenrechtsgesellschaft), die ich mit Freunden an der Uni gegründet habe, um Studenten und Interessierte auf die Themen Menschenrechte und Gerechtigkeit aufmerksam zu machen. Hier organisiere ich auch Veranstaltungen, bei denen verschiedene Sprecher von Menschenrechtsorganisationen und Medieninstitutionen über die aktuelle politische und mediale Lage in der Türkei sprechen.

Ist es denn für Sie möglich in die Türkei einzureisen oder besteht auch für Sie die Möglichkeit festgenommen zu werden?
Ich kann theoretisch wann ich will in den Flieger steigen und die Türkei besuchen. Ich habe Heimweh nach der Türkei, dennoch bin ich etwas besorgt, dass mir das Gleiche passiert wie Dilek Dündar, der Ehefrau von Can Dündar. Dieser war vor meinem Vater Chefredakteur bei Cumhuriyet. Bei der Einreise in die Türkei im September 2016 wurde Dilek Dündars Pass konfisziert, sodass diese ihren Ehemann in Europa nicht besuchen konnte. Bis heute wartet sie darauf, dass das Einreiseverbot gegen sie aufgehoben wird.

In Anbetracht der jüngsten Ereignisse zwischen der Türkei und Europa: Gibt es eine Chance, dass sich die politische Situation entspannt?
Die Entscheidungen, die in der türkischen Außenpolitik gefällt wurden, scheinen die logische Verlängerung der Innenpolitik zu sein und in Verbindung mit dem kommenden Referendum zu stehen. Europa und die Türkei haben dennoch die gleichen Interessen, das wird die Situation entspannen und den Ton etwas entschärfen. Die neue Weltordnung aber zeigt uns, dass in den nächsten Jahren eher Mauern zwischen den Ländern gebaut werden, als dass sie in den Dialog miteinander treten.

Ist Europa denn in der Lage, etwas für Ihren Vater zu tun?
Wenn der EuGH beweisen kann, dass Menschenrechte verletzt wurden, stellt er einen bestimmten Geldbetrag für die Inhaftierten bereit, als kleine Entschädigung für das, was passiert ist. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass jeder solange als unschuldig gilt, bis seine Schuld bewiesen wurde – also lassen Sie meinen Vater und seine Kollegen beweisen, dass sie unschuldig sind!

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Walter Wust | Di., 4. April 2017 - 13:07

"Ist Europa in der Lage etwas zu tun?" Definitiv ja. Leider ist dieses Europa nicht nur in dieser Frage uneins. Ein Machtmensch wie Erdogan braucht schon mehr als nur good will. Europa hat wirtschaftlich die Macht, solche Regime zu zwingen, leider hat niemand dazu die Eier in der Hose.