Demonstranten und Polizei in Pakistan
Die Polizei hindert Demonstranten daran, sich während eines Protests in die Nähe eines Politikerbüros zu bewegen / dpa

Pakistans Zusammenbruch - Das Land ist zu groß, um unterzugehen

Pakistans finanzielle und politische Krise verschlimmert sich weiter, denn die Regierung kann den Forderungen möglicher Geldgeber kaum nachkommen, ohne sich selbst zu entmachten. Das Land droht wieder zum Spielball von Extremisten und anderen Staaten zu werden.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Die jahrzehntealten politischen und wirtschaftlichen Probleme in Pakistan spitzen sich zu. Das südasiatische Land benötigt Milliarden von Dollar an finanzieller Unterstützung, um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem seine üblichen Gönner nicht bereit sind, ihm aus der Patsche zu helfen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) besteht auf strengen Reformen, die die fragile Koalitionsregierung nicht durchführen kann, ohne in diesem Wahljahr einen schweren politischen Rückschlag zu riskieren. Selbst wenn Islamabad dieser konkreten Gefahr ausweicht, wird es die Art und Weise, wie es das fünftbevölkerungsreichste Land der Welt verwaltet hat, grundlegend ändern müssen. Gelingt dies nicht, wird Pakistan weiter unausweichlich auf einen Systemzusammenbruch zusteuern, was erhebliche Folgen für die Sicherheitslage in der am dichtesten besiedelten Region der Welt hat.

Keine Optionen mehr

Ein IWF-Team besucht Pakistan vom 31. Januar bis zum 9. Februar, um die Gespräche über die Freigabe von 1,18 Mrd. US-Dollar an Hilfsgeldern fortzusetzen, die Teil eines Hilfsprogramms in Höhe von 6 Mrd. US-Dollar sind, das 2019 vereinbart (und 2022 auf 7 Mrd. Dollar erhöht) wurde, aber seitdem ins Stocken geraten ist. Die pakistanischen Fremdwährungsreserven sind auf etwa 3,68 Mrd. Dollar gesunken, was kaum ausreicht, um Importe für drei Wochen zu bezahlen. Die Inflation lag bereits bei 25 Prozent, als die Regierung am 29. Januar eine Erhöhung der Benzin- und Dieselpreise um 16 Prozent ankündigte, die wahrscheinlich noch deutlich stärker zunehmen wird. Drei Tage zuvor war die pakistanische Rupie um 9,6 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen, der stärkste Einbruch an einem Tag seit über zwei Jahrzehnten, nachdem die Regierung inoffizielle Obergrenzen aufgehoben und der Währung ermöglicht hatte, sich auf einen marktbasierten Wechselkurs umzustellen.

Anfang des Monats reiste die zivile und militärische Führung des Landes nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate, um die notwendigen Mittel zur Abwendung eines finanziellen Zusammenbruchs zu sichern. Es wurde berichtet, dass Riad und Abu Dhabi mehrere Milliarden Dollar bereitstellen würden. Der saudische Finanzminister erklärte am 18. Januar, dass das Königreich keine „direkten Zuschüsse und Einlagen" mehr für Schuldnerstaaten bereitstellen werde, solange es keine Reformen gebe. Die Saudis, die Emirate und andere, die das Geld bereitstellen könnten, wollen zuerst sehen, dass Pakistan ein IWF-Programm akzeptiert. Außerdem übersteigt der Finanzbedarf des angeschlagenen südasiatischen Staates bei weitem die Bereitschaft der Welt, ihm zu helfen.

Islamabad hat allerdings Mühe, die 23. IWF-Vereinbarung des Landes abzuschließen, seit es 1958 zum ersten Mal an die Türen des Kreditgebers klopfte. Die Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N), die an der Spitze der fragilen und zunehmend unpopulären Koalitionsregierung steht, hat viel zu verlieren, wenn sie den Bedingungen des IWF zustimmt, die zwangsläufig zu einer Verschärfung der harten wirtschaftlichen Bedingungen führen würden. Die PML-N und ihre Verbündeten stehen ohnehin schon vor einem schwierigen Wahlkampf gegen die populistische Oppositionspartei Pakistan Tehreek-i-Insaf (PTI) des ehemaligen Premierministers Imran Khan.

 

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Die politische Instabilität Pakistans ist jedoch das Ergebnis eines viel tieferen Problems. Seit dem Ende der vierten Militärdiktatur in Pakistan im Jahr 2008 hat das Land nominell die längste Phase unter ziviler Führung erlebt. 2013 übergab zum ersten Mal eine demokratisch gewählte Regierung die Macht an eine andere. Doch die Armee belastete weiterhin jede der beiden Regierungen und sorgte 2018 dafür, dass Khans PTI an die Macht kam, in der Annahme, dass sie endlich einen gefügigen zivilen Akteur haben würde. Dieser Versuch war ein kolossaler Fehlschlag. Es hat das Militär politisch geschwächt und das Land damit in unbekanntes Terrain befördert.

Eine ähnliche Situation hat sich im wirtschaftlichen Sektor ergeben. Pakistan hatte schon immer finanzielle Probleme, die sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verschlimmert haben. Das Land kam nur dank eines regelmäßigen Zuflusses von US-Hilfen über die Runden, die durch die allgemeine globale Geopolitik der damaligen Zeit ermöglicht wurden. Es gab drei solcher langer Perioden – 1958-69, 1977-88 und 1999-2008 – jeweils unter einem anderen Militärregime und auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, der sowjetischen Militärintervention in Afghanistan bzw. dem Krieg gegen den Terror nach dem 11. September. Unter den heutigen veränderten Bedingungen steht Pakistan vor einer noch nie dagewesenen Finanzkrise, da das Land nie eine lebensfähige Wirtschaft entwickelt und keine externen Rettungsmöglichkeiten hat.

Das Albtraum-Szenario

Ohne einen umfassenden Reformprozess – welcher angesichts der akuten sozialen und politischen Spaltung unwahrscheinlich ist – wird sich die Situation Pakistans wohl weiter verschlechtern. Das jährliche Bevölkerungswachstum beträgt 1,9 Prozent und ist damit 237 Mal so hoch wie die weltweite Rate, und die Fruchtbarkeitsrate übersteigt die globale Rate um 157 Prozent. Bei diesem Tempo wird die Bevölkerung des Landes in den nächsten zehn Jahren um 50 Millionen Menschen auf 275 Millionen ansteigen. Schon jetzt gibt es eine riesige junge Bevölkerungsschicht. 60 Prozent der Pakistaner sind unter 23 Jahre alt. Bereits 44 Prozent aller pakistanischen Kinder im Alter zwischen fünf und 16 Jahren gehen nicht zur Schule. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich, und die Alphabetisierungsrate liegt bei nur 48%.

Die Bewältigung der zahlreichen Krisen, die das Land belasten, erfordert einen politischen Konsens. Dies ist in dem gegenwärtig stark polarisierten politischen Klima, das sich wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht bessern wird, äußerst schwierig. Pakistans mächtiges militärisches Establishment, das sich während eines Großteils der Geschichte des Landes in die Politik eingemischt hat, befindet sich in einem noch nie dagewesenen Konflikt. Nach dem Scheitern des letzten Versuchs, die politische Wirtschaft des Landes zu gestalten, der mit dem Sturz Khans im April 2022 endete, hat sich die oberste Militärführung öffentlich dazu verpflichtet, die Armee aus der Politik herauszuhalten. Die Rationalisierung der Wirtschaft wird jedoch viel Zeit in Anspruch nehmen – vorausgesetzt, die turbulente Politik des Landes kann unter Kontrolle gebracht werden (eine wichtige Voraussetzung).

In Momenten wie diesen, in denen die normale Politik nur noch mehr Chaos produziert, ist der Druck (oder die Versuchung) für die Armee groß, wieder in den Verfassungsprozess einzugreifen. Der Generalstab hat diesen Weg jedoch schon oft gewählt und damit die Probleme, die er lösen wollte, nur noch verschlimmert. Wenn die Probleme so erheblich sind, dass sie sich viel schneller vergrößern als die realistischen Bemühungen um ihre Lösung, könnte ein Aufhalten des politischen Prozesses einer Situation gleichkommen, bei der man vom Regen in die Traufe gerät.

Die einzige andere Möglichkeit besteht darin, den langsamen Weg des Aufschwungs fortzusetzen, der mit vielen Gefahren verbunden ist. Während große Teile der Bevölkerung unter der Last der lähmenden wirtschaftlichen Bedingungen leiden, verschärfen sich die politischen Kämpfe innerhalb der Eliten. Dies sind genau die Bedingungen, die sich islamistische Kämpfer – sowohl Taliban-Rebellen als auch Kämpfer des Islamischen Staates, die sich im benachbarten Emirat in Afghanistan verschanzt haben – zunutze machen wollen. Ein Wiedererstarken der Dschihadisten wird den ohnehin schon geschwächten pakistanischen Staat wahrscheinlich zu einer neuen großen Militäraktion zwingen, die ernsthaft das Potenzial hat, über die Landesgrenze auszuufern.

Dieses Albtraumszenario – ein kapitalschwacher pakistanischer Staat, dessen Sicherheit an seiner westlichen Grenze gefährdet ist – wird letztendlich dazu führen, dass die arabischen Golfstaaten, China und die Vereinigten Staaten mehr Einfluss in dem Land gewinnen. Washington kann nicht zulassen, dass Pakistan im Chaos versinkt, zumal Afghanistan unter einem Taliban-Regime steht. Auch China, das Dutzende von Milliarden Dollar an Geldern für die „Neue Seidenstraßen-Initiative" in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor gepumpt hat, wird nicht tatenlos zusehen, wie seine Investition untergeht. Pakistan wird somit zu einem noch größeren Schauplatz für den amerikanisch-chinesischen Wettbewerb werden. In der Zwischenzeit werden die Saudis und die Emirate, die seit langem eine wichtige Rolle bei der periodischen Vermittlung von Machtkämpfen innerhalb der pakistanischen Elite spielen, wahrscheinlich einen größeren Einfluss auf die internen Abläufe in Pakistan haben. In Indien, das erst vor wenigen Monaten Großbritannien als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst hat, ist man sehr besorgt darüber, wie sich ein finanziell kollabierendes Pakistan auf den Aufschwung Neu-Delhis auswirken könnte.

Es ist zwar noch zu früh, um mit Bestimmtheit zu sagen, wie sich externe Mächte verhalten werden, aber Pakistan kann nicht so weitermachen wie bisher. Es mag nicht immer so aussehen, vor allem nicht in chronisch fragilen Staaten, aber auf lange Sicht summiert sich die Dysfunktion. Es sind große Probleme aufgetaucht, die Pakistans verfügbare Ressourcen übersteigen und den Status quo, mit dem das Land so lange zurechtkam, zerstören.

 

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Ronald Lehmann | So., 5. Februar 2023 - 23:26

Und in dieser Mengengelage mit unendlich gedruckten Geld aller Art, Drogen, tausender von Mafia-Clans &/oder Strolche der extremen Art, Waffen aller Art in jeglicher Menge aus jeden Hersteller-Land

& darin als Sahnehäubchen die USA, RUSS, CHN, IND, KOR & arabische Staaten oben drauf, ein Brutzelle, wo Lucifer sich mehr als wohl fühlen würde & keine lange Weile hätte.

Karl-Heinz Weiß | Mo., 6. Februar 2023 - 10:35

Als Atommacht stellt Pakistan ein noch wesentlich größeres Problem dar als Afghanistan. Und dort sind die USA grandios gescheitert. Und auch der indische Nationalismus wird unverändert unterschätzt. Wertegeleitete Außenpolitik ist kein Erfolgsgarant.

Gerhard Lenz | Mo., 6. Februar 2023 - 10:44

Zweifelhaft, dass Pakistan überhaupt noch zu retten ist. Die Tage, in denen die (säkulare) Labour-Party eine Machtoption hatte, sind längst gezählt. Jetzt unterscheiden sich Regierungen nur noch graduell in der Frage, wie weit sie die zunehmende Islamisierung in Politik und Justiz tolerieren oder gar vorantreiben. Blasphemie zählt dort zu den Schwerverbrechen.

Welche ausländische Macht könnte dort überhaupt noch Einfluss geltend machen- ausser den finanzstarken Golf-Staaten, die mit ihren Pedrodollars auch (pakistanische) Taliban und andere Extremisten hofieren?
Russland ist dank Putins Wahn am Ende, den Chinesen ist es völlig egal, ob in Islamabad Taliban oder der IS regiert, Hauptsache die Geschäfte lohnen. Und die USA sind dort so beliebt wie in Russland oder Nordkorea (oder im Umfeld der deutsche AfD). Man erinnere sich an die Proteste, als Obame den Terroristen Bin-Laden töten liess: Es gab massive Proteste im Land.

Es erstaunt immer wieder, Herr Lenz, mit welch fundiertem Wissen Sie sich nicht nur in allen gesellschaftlichen, europäischen, innen-, außen- und selbst wirtschaftspolitischen Themen sondern auch weltumspannend als hervorragend sachkundiger Experte erweisen.
Chapeau, wo haben Sie dieses Studium Generale absolviert?

Gerhard Lenz | Mo., 6. Februar 2023 - 13:25

Antwort auf von Bernhard Marquardt

Jeder kann sich informieren. Auch Sie.

Wer allerdings in bestimmten Alternativ-Medien nur nach seiner Meinung sucht, und es ja schon immer wusste, der muss sich mit Wissen nicht rumplagen.

Heidemarie Heim | Mo., 6. Februar 2023 - 15:09

Schade liebe Redaktion, dass der Artikel "Die Kriegsgefahr wächst" (Iran) und meine Antworten auf Herr Schultheis und andere wieder einmal den 2 Tagen zum Opfer fielen! Denn darin schrieb ich u.a. genau, wie für vertrauenswürdig ich "Islamistisch geprägte Staaten" oder wie Pakistan auf dem besten Weg dahin halte, die heute schon im Besitz oder dem Streben danach wie Teheran, Nordkorea usw. sind. Bei anderen Artikeln zu m.E. weit weniger Brisanten kann man doch auch länger kommentieren in letzter Zeit. Ich brauche ab und an halt etwas länger bis ich merke, dass ein Mitkommentator auf mich reagiert und ich seine Fragen und Anmerkungen dazu beantworten kann. Zum Problem Pakistans kann man eigentlich nach diesen erschreckenden Aussagen was die wachsende Überbevölkerung angeht, deren Aussichtslosigkeit (Jugend) u. mangelnder Bildung nur sagen, dass genau dies bestes Futter für religiöse Fanatiker und deren Führungsanspruch/Regierungsmodelle sein wird bzw. Bürgerkriegspotential (Libanon)hat.