Demonstration in Idlib
Demonstration in der nordsyrischen Stadt Idlib gegen die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga / dpa

Der Nahe Osten im Umbruch - Eine neue Ordnung

Die Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga zeigt: Die Länder des Nahen Ostens sind der ewigen militärischen Konflikte überdrüssig und setzen nun verstärkt auf Pragmatismus. Zu erleben ist der Aufbruch in eine neue regionale Ordnung.

Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Im Nahen Osten zeichnet sich eine neue Ordnung ab, die den Panarabismus als dominierendes regionales Modell bald ablösen wird, nachdem es den arabischen Staaten jahrzehntelang nicht gelungen ist, langwierige Streitigkeiten zu lösen und gemeinsame Interessen zu verfolgen. Die neue Ordnung – ein tripolares System mit Israel, der Türkei und dem Iran an der Spitze – läutet auch eine neue Ära in der Regionalpolitik ein, was sich in den sich verändernden Beziehungen zwischen den Staaten zeigt. 

Unlängst haben Saudi-Arabien und Syrien beispielsweise wieder volle diplomatische Beziehungen aufgenommen, und der saudische König Salman hat den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zum bevorstehenden arabischen Gipfel in Dschidda eingeladen. Dies geschieht in einer Zeit, in der mehrere Regierungen des Nahen Ostens auf eine Normalisierung der Beziehungen zum syrischen Regime hinarbeiten, das soeben nach zwölf Jahren der Isolation wieder in die Arabische Liga aufgenommen wurde.

Jahre der Dysfunktionalität

Der Entstehung dieser neuen Ordnung gingen Jahre der Dysfunktionalität innerhalb des arabischen Establishments voraus. In den 1950er Jahren brach eine Art arabischer kalter Krieg zwischen radikalen panarabischen Regimen und konservativen Monarchien aus, der die Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Region dämpfte. Er flaute nach dem Sechstagekrieg von 1967 ab, als Israels arabische Nachbarn sich mit ihren Gebietsverlusten in diesem Konflikt beschäftigten.

1970 führte Hafez al-Assad einen Staatsstreich an, um die Regierung in Damaskus zu stürzen, nachdem Syrien beim Versuch gescheitert war, die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) vor einem vom jordanischen König Hussein angezettelten umfassenden Krieg zu bewahren – was zur Vertreibung der PLO in den Libanon führte. Assad gewann die Präsidentschaft in einer unangefochtenen Wahl, schaltete die radikalen Elemente in der Regierung aus und verfolgte eine pragmatische Innen- und Regionalpolitik, die auf dem Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten der arabischen Länder beruhte.
 

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Der Tod des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser wenige Wochen vor dem Staatsstreich erleichterte den Übergang zu einer arabischen politischen Ordnung, die Stabilität und sicherheitspolitische Zusammenarbeit förderte. 1978 schloss der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat einen Friedensvertrag mit Israel und verstieß damit gegen eine Vereinbarung zwischen den arabischen Staaten, wonach ein umfassendes Friedensabkommen von einem vereinigten arabischen Block ausgehandelt werden sollte.

Dieser Schritt führte zur Suspendierung der ägyptischen Mitgliedschaft in der Arabischen Liga und zur Wiederaufnahme des arabischen kalten Krieges, der in unterschiedlichem Ausmaß bis heute andauert. Die arabischen Länder sowie die Türkei und der Iran legen ihre Differenzen beiseite und konzentrieren sich wieder auf ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedürfnisse.

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sagte einmal: „Die Araber können ohne Ägypten keinen Krieg führen und ohne Syrien keinen Frieden schließen.“ Diese Maxime gilt heute mehr denn je. Syrien ist ein Dreh- und Angelpunkt der Machtpolitik im Nahen Osten. Die arabische Annäherung an das syrische Regime zielt nicht darauf ab, den dortigen Konflikt zu beenden, sondern sicherzustellen, dass Syrien ein Schauplatz für die Lösung internationaler und regionaler Fragen bleibt, ohne dass externe Parteien direkt betroffen sind.

Der Bürgerkrieg im Libanon

In den 1970er und 1980er Jahren waren die arabischen Länder aus ähnlichen Gründen in den libanesischen Bürgerkrieg verwickelt. Dieser Konflikt endete erst 1989, als die arabischen Länder erkannten, dass sie ihre Differenzen nicht durch einen Krieg im Libanon beilegen konnten. Heute haben die Staaten des Nahen Ostens ein großes Interesse daran, dass der Syrienkonflikt ein kontrolliertes Schlachtfeld bleibt, auf dem Israel seinem Ärger Luft machen kann, ohne dass es zu einem allgemeinen Krieg gegen den Iran kommt, der die Sicherheit der Golfstaaten gefährden würde. Der Wandel in der arabischen Region fällt also mit der Wiederaufnahme der saudi-iranischen Beziehungen zusammen und spiegelt den Wunsch wider, den israelisch-iranischen Konflikt auf Syrien zu beschränken, ohne andere Länder negativ zu beeinflussen.

Die jüngste Versöhnungswelle spiegelt jedoch nicht wider, was vor Ort in Syrien geschieht. Die Türkei wird ihre derzeitigen Stellungen im Norden unter dem Vorwand der Sicherung ihrer nationalen Interessen beibehalten, und die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens werden ihre Kontrolle im Osten unter dem Schutz der US-Truppen aufrechterhalten. Russland und der Iran werden derweil weiterhin das Assad-Regime stützen, das weder den Willen noch die Fähigkeit hat, den iranischen Einfluss zurückzudrängen – obwohl es nicht so aussieht, als würden die arabischen Länder Assad dazu auffordern. 

Die arabischen Regierungen wollen eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Iran in Syrien erreichen, um ihre künftigen Investitionen in den Wiederaufbau Syriens vor der Korruption der Regierung zu schützen. Der Iran und die arabischen Länder haben auch ein gemeinsames Interesse an der Wiederherstellung der Sicherheit in dem vom Krieg zerrütteten Land. Russland kann von der arabisch-syrischen Annäherung profitieren, indem es sie nutzt, um die Beziehungen zu den arabischen Staaten zu einer Zeit zu stärken, in der es zunehmend isoliert ist.

Zurückhaltung bei Investoren

Investoren werden weiterhin vorsichtig sein, in Syrien zu investieren, auch wenn die USA bei Versuchen, die Sanktionen unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe zu umgehen, ein Auge zudrücken. Dennoch glauben die Golfstaaten, dass die Bereitstellung finanzieller Mittel für den Wiederaufbau Syriens stabilisierende Auswirkungen haben wird. Auch Teheran möchte von der Erholung Syriens wirtschaftlich profitieren. Auf seiner jüngsten Reise nach Damaskus wollte sich der iranische Präsident Ibrahim Raisi auf die wirtschaftlichen Beziehungen konzentrieren, die durch die vollständige iranische Kontrolle über den Immobilien-, Strom- und Mühlensektor gekennzeichnet sind.

Der Vorstoß zur Wiederherstellung der Botschaften arabischer Länder in Damaskus ist nicht über die diplomatische Ebene hinausgekommen. Einen Tag vor der Ankündigung der Rückkehr von Damaskus in die Arabische Liga startete Jordanien eine Militäroperation auf syrischem Gebiet zur Bekämpfung des Drogenschmuggels. Dieser Schritt war eine Botschaft an Assad, dass seine Rückkehr in die Gruppierung ihm keine freie Hand lässt. Oman, das eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der Annäherung spielte, setzte am selben Tag, an dem die Arabische Liga die Wiederaufnahme Syriens in die Liga bekannt gab, Personen, die dem syrischen Regime nahestehen, auf seine Beobachtungsliste für Terrorismus.

Syrien rehabilitiert – zumindest ein bisschen

Die Rehabilitierung Syriens bedeutet auch wenig für die Integrität der Arabischen Liga, einer Gruppierung, die sich aus Ländern zusammensetzt, die selbst eine fragwürdige Menschenrechtsbilanz aufweisen. Viele arabische Regierungen haben sich nicht in den syrischen Konflikt eingemischt, um den Aufstand zu unterstützen, und haben sogar die Oppositionskräfte geschwächt, indem sie sie zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele auf Kosten des syrischen Volkes eingesetzt haben.

Der Iran seinerseits betrachtet den Krieg in Syrien als beendet. Er konzentriert sich jetzt auf eine Strategie, die als Frontalverteidigung bekannt ist und darauf abzielt, sektiererische militärische Barrieren als erste Verteidigungslinie in einem künftigen Krieg zu errichten. Mit dieser Strategie soll auch sichergestellt werden, dass das iranische Regime den Nachschub und die Kommunikation mit den mit dem Iran verbundenen Milizen aufrechterhalten kann. Teheran muss sich daher sichere Transportwege sichern, indem es Land im Großraum Damaskus kauft, um einen Puffer aufzubauen und einen zuverlässigen und dauerhaften Zugang zu seinem wichtigsten Verbündeten, der Hisbollah, zu schaffen. Die arabische Offenheit gegenüber der Regierung in Damaskus hat keinen Einfluss auf diesen Plan.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben schrittweise eine neue Regionalpolitik entwickelt, um die Spannungen im Nahen Osten abzubauen, indem sie zunächst die Beziehungen zur Türkei und zu Katar verbesserten und den Dialog mit dem Iran und dem Assad-Regime ausbauten. Abu Dhabi hat eine aggressivere Regionalpolitik verfolgt, die sich militärisch und wirtschaftlich auf das Friedensabkommen mit Israel stützt. Die Herrscher in Abu Dhabi haben verstanden, dass die Nahostpolitik der Regierung Biden nicht von den Golfstaaten oder Ägypten abhängt, zum Teil wegen deren katastrophaler Menschenrechtsbilanz. Stattdessen stützen die USA ihre Vision für den Nahen Osten auf Israel, das sie als zuverlässigen Verbündeten betrachten.

Weg von der Ölabhängigkeit

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben ihre Regionalpolitik entsprechend dieser Vision neu ausgerichtet und sich aus den kostspieligen Konflikten in Jemen und Libyen zurückgezogen. Saudi-Arabien folgte diesem Beispiel mit Verspätung und zog sich aus dem Jemen-Konflikt zurück – eine kostspielige Angelegenheit, die die militärische Schwäche Saudi-Arabiens offenlegte. Es dauerte nicht lange, bis das Königreich erkannte, dass der einzige Ausweg aus seinem missratenen militärischen Abenteuer in einer Annäherung an Teheran bestand. Die VAE und Saudi-Arabien konzentrieren sich nun zunehmend auf die wirtschaftliche Entwicklung und lösen sich von der Ölabhängigkeit und den kostspieligen Missgeschicken im Ausland.

Der Nahe Osten ist Zeuge eines Aufbruchs in eine neue regionale Ordnung, die Kulturen, Nationalitäten, Religionen und Ideologien miteinander verbindet. Dies könnte in Zukunft zu separatistischen Konflikten führen und wird das kulturelle und intellektuelle Gefüge der arabischen Gesellschaft verändern. Ungeachtet der innenpolitischen Polarisierung der Türkei wird sie sich als aktiver Partner in der Golfregion und bei den arabischen Sunniten im Irak, in Syrien und im Libanon erweisen. Auch der iranische Einfluss wird aufgrund der engen Beziehungen Teherans zu den Schiiten in den Ländern der arabischen Welt an Gewicht gewinnen.

Israel wird als zentraler Staat in der Region eine wichtige Rolle spielen und als Vorbild für die Modernisierung und als wirksames Bindeglied zum Westen fungieren. Ägypten wird unterdessen weiterhin als Koordinator zwischen den arabischen Ländern eine Rolle spielen und Konflikte entschärfen, wenn sie entstehen – was unweigerlich der Fall sein wird.

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Christoph Kuhlmann | So., 28. Mai 2023 - 22:34

Es ist wirklich zu hoffen, dass die Region nach dem Ost-Westkonflikt und den Wirren des arabischen Frühlings zur Ruhe komm und man wieder zivile Geschäfte machen kann. Die Bedeutung des Öls-wird bei dem Wachstum vieler Schwellenländer noch eine Weile erhalten bleiben und die Araber haben ideale Bedingungen für Fotovoltaik Anlagen, mit deren Hilfe grüner Wasserstoff gewonnen werden kann. Es ist halt alles eine Frage der politischen Stabilität.

Enka Hein | Mo., 29. Mai 2023 - 10:22

...wie beschrieben, dann können die ganzen Ärzte, Bauingenieure, Raketentechniker und sonstiges an Fachkräften aus Syrien (wie es uns die Politik ja immer wieder seit Merkel vorgelegen hat) direkt zurück in ihr Land.
Dort wird mit dem Fachkräfte Potential ein Boom losgehen und bei uns werden zu Tausenden Wohnungen frei, Mieten werden sinken und die Sozialkassen enorm entlastet.
Win Win.
Nur die Politik und Schlepper NGOs müssen ihr Geschäftsmodell etwas ändern um dem doofen Michel weiterhin sein Geld aus der Tasche zu ziehen.

Keppelen Juliana | Mo., 29. Mai 2023 - 13:56

Antwort auf von Enka Hein

einer der nimmt und einer (Doofer/Doofe) der/die gibt. Schauen sie sich das Bild oben an, das ist genau die Klientel die von uns gehätschelt und mit Geld und Lebensmittel versorgt wird. Es genügt "der Feind meines Feindes" zu sein und schon winken Zuwendungen aller Art. Warum Syrien und Assad plötzlich zu unserem Feind wurde ist mir bis heute ein Rätsel, denn Syrien unterscheidet sich in keiner Weise von allen anderen Nah-Ost-Staaten genau genommen war es was Frauenrechte angeht gemessen an den anderen Emiraten und Staaten eher fortschrittlich. Jedenfalls die Syrer die ich kenne sind Christen und beteten zu Gott, dass Assad die Oberhand gegen die "Kopfabschneider" gewinnt. So konnten sie vor 2 Jahren wieder unbehelligt Weihnachten feiern allerdings in dem Rahmen wie wir als Kinder noch gefeiert haben (also sehr bescheiden) aber glücklich überhaupt dieses Fest wieder feiern zu können.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 29. Mai 2023 - 12:39

Ob diese "neue" Ordnung von Bestand sein wird ist fraglich. Hört sich erstmal gut an bis die ersten Konflikte wieder von innen heraus oder von außen in eines der Länder getragen werden. Natürlich ist alles, was irgendwie Frieden schafft zu begrüßen und Nichteinmischung in die Politik andere Länder würde ich mir auch für D wünschen.
Aber dann kommen wieder die großen, die hier und dort irgendwelche Interessen haben und in solchen Staaten auch Verbünete finden und die ganze Misere fängt von vorne an. Und sind es keine geostrategischen Spielchen, dann sind es die unterschiedlichen Auslegungen des Islam, die dann doch wieder zum Kriegsgrund führen. Ich bin deshalb skeptisch.