
- „Eine Verzweiflungstat der Bundeskanzlerin"
Kaum ist die Balkanroute dicht, wird die Migration aus Afrika laut Angela Merkel zum „zentralen Problem“. Ihre Lösung: eine „Migrationspartnerschaft“ mit dem Land Niger. Die Experten Sebastian Elischer und Georg Klute sehen das skeptisch
Angela Merkel hat Niger jüngst zum „Migrationspartner“ in Afrika erklärt, denn die nigrische Stadt Agadez ist ein wichtiger Knotenpunkt der zentralen Mittelmeer-Route. Wie schätzen Sie diese Kooperation zwischen Deutschland und Niger ein?
Elischer: Das ist eine reine Verzweiflungstat der Bundeskanzlerin. Der blumige Begriff der „Migrationspartnerschaft“ bedeutet eigentlich nur, dass die EU in Niger Informationskampagnen veranstaltet. Flüchtlinge im Niger sollen da vor Ort über ihre Chancen, in Europa legal leben zu können, aufgeklärt werden. Für die meisten ist der Niger nur eine Durchgangsstation. Sie haben bereits einen Teil ihrer Reise hinter sich und hohe Summen an Menschenschmuggler bezahlt. Es ist völlig absurd zu glauben, dass die sich von einer Kampagne der EU beeinflussen lassen und auf halber Strecke wieder umkehren.
Dass Niger ein wichtiges Transitland ist, hat doch auch damit zu tun, dass es in den Nachbarländern Mali und Nigeria schwere Konflikte gibt. Würde es helfen, dort militärisch zu befrieden, so wie Frankreich es tut?
Klute: Wir müssen da unterscheiden zwischen den Flüchtlingen, die vor Krieg und Dürre fliehen und denen, die nach Europa auswandern wollen. Soweit ich sehe, kommen die meisten malischen Migranten aus der Kayes-Region, ganz im Westen von Mali. Das ist eine Region, die von den aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen überhaupt nicht betroffen ist. Spannend ist, dass eine ganze Reihe von Auswanderern aus der Kayes-Region in Europa wirtschaftlich erfolgreich war. Inzwischen gibt es dort ein regelrechtes Muster in den Lebensläufen: In einem bestimmten Alter wandert man aus, sucht in der Fremde sein Glück und kommt dann wieder zurück, um den Lebensabend in der Heimat zu verbringen. Ich bezeichne das als „Kultur der Migration“. Deshalb würde eine Befriedung in der Region wenig Einfluss auf die Anzahl der Migranten haben.
______________________________________________________________________
Sebastian Elischer ist Assistant Professor für Politikwissenschaften an der University of Florida. Er ist assoziiertes Mitglied des German Institute of Global and Area Studies (GIGA). Das GIGA ist Teil der Leibniz-Gemeinschaft und berät das Auswärtige Amt und Teile der Bundesregierung. Georg Klute ist Professor für die Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. 2004 gründete er den Verein Tamat e.V., der Menschen in der Sahelzone Hilfe zur Selbsthilfe anbietet.
Das Gespräch wurde schriftlich zu dritt geführt.
______________________________________________________________________
Es macht also gar nicht so viel Sinn, über das Problem „Fluchtursachen“ zu sprechen, weil die meisten Migranten gar nicht flüchten?
Klute: Die Fluchtursachenbekämpfung ist für die Migrationsströme nach Europa nicht wirklich relevant. Flüchtlinge, die aufgrund von Krieg und Dürre Zuflucht suchen, gehen vor allem in die Nachbarländer, bleiben dort und werden von der ansässigen Bevölkerung oder den Behörden versorgt. Im Niger sind das Menschen aus Nordmali und dem Nordosten Nigerias, wo Boko Haram sein Unwesen treibt. Es wäre also sinnvoller über Migrationsursachen sprechen. Dann würde man auch endlich darüber diskutieren, wie man legale Einreisemöglichkeiten nach Europa schaffen kann, zum Beispiel durch Einwanderungsgesetze.

Kommen wir nochmal auf den „Migrationspartner“ der Bundesregierung zurück. In Europa verknüpfen wir Afrika eher mit gescheiterten Staaten und korrupten Politikern. Wie handlungsfähig ist denn die nigrische Regierung unter Präsident Mahamadou Issoufou?
Elischer: Außerhalb der Hauptstadt Niamey ist sie nur bedingt handlungsfähig. Den geringen Einfluss den sie hat, verdankt sie der militärischen Unterstützung durch Frankreich und die USA. Allerdings ist die ausländische Militärhilfe darauf ausgerichtet, dschihadistische Kämpfer aus den Nachbarländern auf nigrischem Staatsgebiet außer Kraft zu setzten. Flüchtlingsströme können so nicht kontrolliert werden. Es gibt übrigens auch wachsende Zweifel an der Legitimität der Regierung Issoufou, obwohl in Niger inzwischen alle vier Jahre demokratisch gewählt wird. In Niger wird historisch schon immer ein gutes Verhältnis zu Frankreich und dem Westen gepflegt. Das hat nichts mit Partnerschaft oder territorialer Kontrolle zu tun, sondern mit übereinstimmenden Interessen in Brüssel und Niamey. Der Niger ist ein bequemer Partner, weil die Regierung keine kritischen Fragen stellt und sich außerdem von der EU als solider Partner vermarkten lassen kann.
Niger ist bitterarm, das Land belegte 2014 den letzten Platz auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen. Für viele Anwohner ist es doch sicher auch ein gutes Geschäft, dass da regelmäßig Leute durchreisen.
Elischer: In den vergangenen Jahren hat es ein vergleichsweise hohes Wirtschaftswachstum in Niger gegeben. Das ist allerdings in erster Linie auf Infrastrukturprojekte und den Ausbau von Ölfördermengen zurückzuführen. Es ist kein nachhaltiges Wachstum. Da kommt der Wirtschaft, die entlang der Migrationsrouten entsteht, eine wichtige Bedeutung zu.
Klute: Ich kenne den Niger seit 1973 und bereise ihn seit dieser Zeit regelmäßig, meist jedes Jahr. Von daher erlaube ich mir zu sagen, dass es kein Interesse im Niger gibt, Migranten oder Flüchtende zu stoppen. Nicht unter der nigrischen Bevölkerung und auch nicht beim nigrischen Staat. Wir sollten uns also von dieser Kooperation zwischen Bundesregierung und der Regierung Issoufou nicht allzu viel versprechen.
Was würden Sie den stattdessen vorschlagen, um die Migrationsströme in den Griff zu bekommen?
Klute: Momentan wachsen die Bevölkerungen in Niger, Mali und Nigeria mit großer Geschwindigkeit. Auf der einen Seite ist das positiv: Alle Probleme, die die alternden Bevölkerungen Europas haben, haben diese Länder nicht. Junge Leute sind dynamisch, belastbar und eine große Chance. Natürlich entstehen da besondere Herausforderungen im Bereich der Schulbildung und der beruflichen Bildung. Deutschland könnte hier mit seinem System der dualen Bildung helfen. Man sollte auch immer im Auge behalten, dass Investitionen, vor allem im Bildungsbereich, ungemein günstig sind. Die dreijährige Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin mit staatlichem Diplom kostet in Niger zum Beispiel nur 4500 Euro, die zweijährige Ausbildung einer Grundschullehrerin ist mit weniger als 2000 Euro noch günstiger. Wenn es die deutsche Regierung mit der Entwicklungshilfe wirklich ernst meint, dann sollte sie in diesen Bereichen viel offensiver vorgehen.
Elischer: Deutschland kann auch dabei helfen, die rechtsstaatlichen Strukturen zu entwickeln und zu stärken. Außerdem hat gerade die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Anfangsphase sehr vom Zugang zum internationalen Handel profitiert. Diese Möglichkeiten muss es auch für Afrika geben. Hilfe für Afrika bedeutet nicht Entwicklungshilfe und Schuldenerlass. Sondern, dass wir die afrikanischen Staaten als wirtschaftliche Partner ernst nehmen. Außerdem ist niemandem geholfen, wenn wir die Missstände dort unter den Teppich kehren. Partnerschaft auf Augenhöhe heißt auch, Kritik zu üben und Probleme zu benennen. Das wäre dann auch wirklich eine Partnerschaft, die ihren Namen verdient.
Bis Juli dieses Jahres kamen knapp 95.000 Flüchtlinge über die Mittelmeer-Route nach Europa. Viele Experten schätzen, dass die Zahlen in den nächsten Jahren enorm steigen werden. Was ist Ihre Einschätzung, wie wird sich die Migration aus den afrikanischen Ländern entwickeln?
Elischer: Natürlich kommt es erstmal zu einem Anstieg der Zahlen, weil inzwischen die Balkanroute abgeriegelt wurde, und somit auch vermehrt Flüchtlinge aus dem Nahen Osten über das Mittelmeer kommen. Die Migration aus den afrikanischen Ländern wird ansteigen und dann auf einem hohen Niveau stagnieren.
Klute: Der Einschätzung stimme ich zu. Wichtig ist festzuhalten, dass die Migration aus Afrika in keiner Weise mit einer Völkerwanderung zu vergleichen ist. In Afrika leben mehr als eine Milliarde Menschen, da machen die 150.000 oder auch 300.000 Flüchtlinge nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz aus. Außerdem beginnt Afrika mehr und mehr das Stigma des Krisenkontinents abzulegen. Afrika wird heute auch als Zukunftskontinent bezeichnet. In einigen Ländern gibt es nämlich durchaus positive wirtschaftliche Entwicklungen. Daraus wird dann das wirtschaftliche Potenzial des gesamten Kontinents Afrika abgeleitet. Und das durchaus zu Recht.