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Eurokrise - Der Grieche in Hollande

Deutschland und Frankreich, die Motoren der europäischen Integration, haben keine gemeinsame Strategie in der Krise. Die Solidaritäts-Frage spaltet Deutschland und Frankreich

Stephan-Götz Richter

Autoreninfo

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Wenn die Franzosen von „Solidarität” gegenüber Griechenland sprechen, dann meinen sie im Grunde „Notrettung”. Und wenn die deutschen Politiker ihre französischen Kollegen argumentieren hören, dass man solidarisch mit Griechenland sein müsse, dann ist ihnen klar, was diese Argumentation in Wirklichkeit bewirken soll: nämlich die Erschaffung eines zentralen Präzedenzfalles – und damit auch die Solidarität mit Frankreich.

Das klingt durchaus plausibel. Schließlich war die deutsch-französische Freundschaft der Motor des gesamten europäischen Integrationsprozesses. Worum sich deutsche Politiker jedoch sorgen, ist, dass Frankreich – zwar auf einem viel höheren Level von wirtschaftlicher Entwicklung – genauso wie Griechenland unfähig sein könnte, die verlangten Reformen zu erfüllen, um in der globalen Wirtschaftswelt Schritt halten zu können.  

Während der Rest von Europa immerhin in der Lage wäre, für Griechenland zu bürgen – vorausgesetzt, dass das Sinn macht – wäre er aber nicht fähig, Frankreich zu retten, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht in der Eurozone.

Niemand hat die Kraft dazu, auch nicht Deutschland, selbst wenn es wollte. Ein Frankreich, das finanzielle Hilfe benötigt, ist jedoch zu diesem Zeitpunkt schwer vorstellbar. Letzten Endes ist die französische Wirtschaft – trotz Reformprozessen, die im Zeitlupentempo stattfinden – weit entfernt von einem Kollaps (anders als Griechenland im Moment).

Das Solidaritäts-Mantra

Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Argumentation der französischen Minister zu werfen. Michel Sapin, der französische Finanzminister, hat kürzlich von der Notwendigkeit gesprochen, „Solidarität” gegenüber Griechenland zu zeigen – unabhängig von dem Ergebnis des Referendums. Ähnlich hat Emmanuel Macron, der französische Wirtschaftsminister, das Mantra wiederholt: „Wir müssen die Solidarität erhalten.“

Es ist unbestritten, dass – auf einem humanitären Level – Solidarität mit Griechenland notwendig ist. Aber das hat nichts mit der Frage über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone zu tun. Analysten sagen gerne: „Eine Währungsunion mit einer Ausstiegsoption ist quasi ein festes Wechselkurs-Regime.“

Das mag so sein, aber eine Ausstiegsoption könnte bei der Linderung der Geburtswehen eines übermäßig ehrgeizigen Projekts helfen. Das Problem, dem sich die Führer Europas nun gegenüber sehen, könnte man am besten mit „Restrukturierung” oder „angemessener Reduktion” bezeichnen.

Sie werden früh genug merken, dass sie nur dann das gesamte Projekt „Eurozone“ bewahren können, wenn Griechenland kein Teil der Eurozone bleibt. Das Land hat dem Rest Europas geholfen, zu verstehen, wie schwerwiegend diese Aufgabe ist. Wenn die Staaten nicht dazu verpflichtet werden, für ein Steuergleichgewicht zu sorgen, dann kann das Projekt „Eurozone” nicht funktionieren.

Leben die Griechen in einer Parallelwelt?

Die griechischen Wähler sind bekannt dafür, ihren Teil des Kuchens haben zu wollen – und ihn auch zu essen. Während 60 Prozent der Griechen gegen die Sparauflagen aus Brüssel gestimmt haben, will ein viel größerer Anteil – nämlich 80 Prozent und mehr – in der Eurozone bleiben. Das ist schwer in Einklang zu bringen. Die Mitgliedschaft in einem Klub bringt nicht nur Privilegien, sie bringt auch Verpflichtungen mit sich. Und während der Rest Europas sich an die Regeln hält, tut es Griechenland nicht. Die Annahme, dass die Griechen in einer Parallelwelt leben, scheint nicht so abwegig.

Es geht schon lang nicht mehr „nur" um Griechenland. Es geht vielmehr um die Zukunft der Eurozone. Und – da darf man sich keiner Täuschung hingeben — das ist eine entscheidende Angelegenheit für alle Europäer. In diesem Sinne liegen auch alle Klagen darüber, dass Europa so einen Aufruhr veranstaltet wegen eines einzigen Landes, das nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone repräsentiert, weit daneben.

Ein beispielhafter Fall

Das ist genau der Punkt, wo die französisch-deutsche Uneinigkeit ansetzt. Die Franzosen verkörpern das Lager der „Solidarität an sich”- Befürworter in Europa. Was sie sagen, ist, dass weder globale Märkte noch Globalisierung, weder Realität noch was auch immer eine Nation dazu zu bringen kann, gegen ihr Wohlbefinden zu handeln.

Dem globalen Druck zu widerstehen – oder der Anpassung an die unliebsame globale Realität – ist tatsächlich das uneingeschränkte Recht jeder Nation. Aber es ist gleichzeitig unstrittig, das ein Preis für solch eine „uneingeschränkte“ Position bezahlt werden muss. Worin sich die Franzosen – und die Griechen in diesem Fall – etwas vormachen, ist die Annahme, dass Klubs wie die Eurozone sie davor schützen könnten, der Realität ins Gesicht zu sehen.

Es ist derzeit der Fall, dass die Eurozone Staaten hilft – als Gemeinschaft, die die gleichen makroökonomischen Prinzipien vertritt, um kurzzeitige Krisen zu überwinden.  Aber was sie nicht leisten kann, ist, sie davor zu bewahren, mit der globalen Wirtschaft und den grundlegenden Regeln klarzukommen, die Teil der Gemeinschaft sind.

Es ist wahr, dass gerade eine große Nervosität in allen Ländern der Eurozone herrscht über die Folgen des griechischen Referendums – auf wirtschaftlicher und politischer Ebene. Aber vielen Ländern scheint klar zu sein, wenn auch nicht allen, dass dies ein entscheidender Moment ist im innereuropäischen Kampf zwischen Populismus und wirtschaftlicher Realität.

In Frankreich und Italien, wie auch in Spanien und einigen anderen Ländern, gibt es solche, die die Uhr anhalten und vom Zug abspringen wollen. In demokratischen Ländern ist das auch ihr gutes Recht. Aber sie müssen die Sache, für die sie da argumentieren, auch verstehen. Klubs wie die Eurozone können flexiblel sein und Mitgliedsstaaten helfen, wenn diese temporär Probleme haben. Aber wenn diese Probleme immer vorhanden sind – zum Beispiel aufgrund einer tiefen Kompromisslosigkeit gegenüber Reformvorschlägen, um die Wirtschaft voranzubringen – dann gibt es keine positive Entwicklung.

Deutschlands Rolle

Die implizite Hoffnung und Erwartung ist, dass Deutschland – in der Rolle als Europas neuer Hegemon – die Pflicht habe, “Solidarität” zu zeigen (das heißt: das Geld bereitzustellen) um die Teilhabe an Europa auch den Staaten zu ermöglichen, die voraussichtlich temporären Schwierigkeiten gegenüberstehen.  

Selbst Experten in London fragen sich, warum die “reichen” Deutschen jetzt ihre Rolle als Zahlmeister Europas aufgeben sollten. Waren sie nicht schon in der Lage, diese Rolle in der Vergangenheit zu spielen, fragen sie. Und sie fügen an: Was spricht dagegen, dass die Deutschen einfach bezahlen, wo doch die Einführung des Euro die deutsche Wirtschaft beflügelte. Von da ist es nur ein kleiner Schritt hin zur Weckung von Schuldgefühlen, die mit der Kriegsvergangenheit Deutschlands zu tun haben, und zu einer moralischen Verpflichtung Deutschlands. Die Vorstellung von der nahezu grenzenlosen Größe des deutschen Finanzmuskels spricht Bände. Das ist ein verräterisches Anzeichen dafür, wie tief die Illusionen sind, die im Moment die europäische Debatte bestimmen. 

Dieser Text ist auf Englisch in The Globalist erschienen.

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