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Flüchtlingspolitik - Deutschland trägt die Schuld an seiner Isolation in Europa

Scheitert Schengen, scheitert Europa? Das ist kein Kassandra-Sprech mehr, sondern reale Gefahr. Die ablehnende Haltung der EU-Staaten in der Flüchtlingspolitik ist die Quittung für jahrelange Härte in Berlin

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Am Ende dieses dramatischen Jahres sagt es sich leicht, was alles falsch lief in der EU. Es mangelt nicht nur an europäischer Solidarität. Vieles funktioniert nicht, wie der letzte EU-Gipfel zeigte: vom Schutz der EU-Außengrenzen bis hin zur Verteilung von Flüchtlingen. Keine EU-Krise war so dramatisch wie diese – und Deutschland hat daran auch Schuld.

Bei der Suche nach Auswegen stößt Deutschland in ungekannter Weise auf die Gründe für die derzeitige Ausweglosigkeit. Gründe hart wie Granit, die Deutschland selbst geschaffen hat: von der vorherigen Behandlung Italiens, Griechenlands und auch Ungarns.

Diese Staaten werden unterstützt von etlichen weiteren der EU. Sie sperren sich, verweigern deutsche Wünsche nach korrekter Registrierung von Ankömmlingen und fairer Aufnahme von Flüchtlingen. Bis zum Jahresende sollten elf Hotspots errichtet sein, quasi als Schleusenschutz gegen Fliehende, die über das Mittelmeer kommen. Doch es gibt gerade erst zwei Hotspots, die mehr schlecht als recht funktionieren – auf Lampedusa und auf Lesbos.

In Brüssel hat die Kanzlerin soeben mehr Geld und Hilfe zum Schutz der Außengrenzen zugesagt – doch viel zu spät, wie es scheint. Italien und Griechenland geben sich unwillig, ausgerechnet Deutschland die Flüchtlinge fern zu halten. Das liegt an jahrelangen nationalen Verletzungen.

Griechenland leidet noch heute am Spardiktat der vergangenen Jahre und dem deutschen Fast-Rauswurf aus der Euro-Zone. Aus deutscher Sicht sind beide Dinge natürlich schwer miteinander verknüpfbar. Aber der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sieht in einem Interview der „Financial Times“ einen Zusammenhang zwischen Angela Merkels Sparpolitik und dem Erstarken von populistischen Parteien in Europa.

Selbst wenn Griechenlands Mittelmeer-Lage in Zusammenhang mit einer späteren Zuwanderung aus Afrika bedacht worden wäre vor drei Jahren, hätte Deutschlands Handeln während der Schuldenkrise nicht davon beeinflusst sein dürfen.

Anders allerdings liegt der Fall bei Italien. Dort erinnert man sich, wie das Land jahrelang allein gelassen wurde mit dem Ansturm auf Lampedusa. Renzi kritisierte die Bundesrepublik auch für ihre Flüchtlingspolitik – so würde Italien, anders als die Bundesrepublik, nun etwa Fingerabdrücke der Flüchtlinge aufnehmen.

Auf dem einstigen Höhepunkt in den Jahren 2011 und 2013 war es vor allem Deutschland, das sich stoisch auf das Dublin-Abkommen berief. Hier rächt es sich, dass die geografisch eingebetteten EU-Staaten es sich rechtlich bequem gemacht hatten mit der Dublin-Abmachung, dass allein die EU-Außenländer die Flüchtlingsproblematik zu bewältigen hätten.

„Deutschland war über die vergangenen zehn Jahre selbst unsolidarisch“, sagt der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter dem ZDF. „Und Unsolidarität hat die schlimme Eigenschaft, zurückzuschlagen, jetzt, wo wir selbst auf Solidarität angewiesen sind.“

Solidarität fehlt auch bei der Verteilung von Flüchtlingen. Bislang ist kein osteuropäisches EU-Land bereit, Deutschland zu helfen – und sie alle lehnen moralische Belehrungen ab. Auch hier spielt Empörung über deutsches Gebaren in jüngster Vergangenheit eine wesentliche Rolle.

Über Ungarn regte sich die Bundesregierung auf, weil es Flüchtlinge zu brachial abhielt. Damit hat Ungarn aber im Grunde nichts anderes getan, als das, was nun gefordert wird: die Außengrenzen zu sichern. Die moralisch absolute Kritik am ungarischen Verhalten haben viele für richtig gehalten in Deutschland. „Damit haben wir, glaube ich, massiv Vertrauen zerstört auch gegenüber anderen osteuropäischen  Ländern“, sagt hingegen Arnold Vaatz, der zwar stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender ist, aber ein Außenseiter in der CDU.

Er verteidigt allerdings nicht Orbáns strikten Kurs, sondern rügt die deutsche Doppelzüngigkeit. Die Regierung Orbán hielt Flüchtlinge tatsächlich gewaltsam auf, Kritik daran schien angebracht. Nun jedoch ist maßgeblich Deutschland dafür, dass die Türkei den Flüchtlingsabschreckungs-Job übernimmt – und dafür auch noch drei Milliarden EU-Euro bekommt. Ein Land, das syrische Flüchtlinge nachweislich brachialer abgehalten hat als Ungarn jemals.

Aber Angela Merkel hat auf dem letzten CDU-Parteitag fest versprochen, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Sie hat damit ihr Schicksal an das Verhalten der EU-Partner sowie der Türkei gekoppelt. Nun wird die EU eindringlich gewarnt. Innenminister Thomas de Maizière sagt, was auf dem Spiel steht: „Dass Europa seine Kraft verliert, dass Egoismen zunehmen, dass wir auch zerfallen in das alte Kerneuropa, in Südeuropa, in Osteuropa, die Gefahr ist rund um das Thema Flüchtlinge schon gegeben.“

Allerdings fehlt die Konsequenz daraus. Auffällig wird das in der eben auf dem CDU-Parteitag verabschiedeten „Karlsruher Erklärung“. Darin wird jenen Ländern, die illegale Migranten nicht zurücknehmen wollen, Strafe angedroht. Deutschland wolle bei diesen Staaten Entwicklungshilfe streichen. Dieses Prinzip des „less for less“ gilt aber explizit nicht für EU-Staaten, die Deutschland die Abnahme von anerkannten Flüchtlingen verweigern. Dabei ließe sich hier mit milliardenschweren Sanktionen etwa bei der Erstellung des nächsten EU-Haushalts drohen.

Es erscheint der Bundesregierung jedoch unmöglich, so wie früher in der Griechenlandkrise Druck auf die EU-Partner zu machen. Denn zunehmend reagieren vor allem die osteuropäischen Mitglieder gleichgültig auf die Warnung, dass der Schengen-Raum zerbrechen könnte.

Die inzwischen 30 Jahre alte Vereinbarung aus der luxemburgischen Stadt Schengen ist jedoch für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig. Absehbar ist daher, dass Deutschland sich die Solidarität durch zusätzliche EU-Hilfen erkaufen wird. Für Deutschland steht nämlich für 2016 sehr viel auf dem Spiel: Zusammenhalt oder Zerfall der EU.

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