Der chinesische Präsident Xi Jinping / dpa

China in der Schuldenfalle - Pekings Spiel mit dem Maulwurf

China signalisiert Reformen in der Wirtschaftspolitik. Auf einem großen Gipfeltreffen im Juli soll es um die Verschuldung der Kommunen und das schleppende Wachstum gehen. Die Wurzeln der wirtschaftlichen Probleme liegen jedoch tiefer.

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Victoria Laura Herczegh, die fließend Mandarin, Spanisch, Französisch und Englisch spricht, ist Analystin bei Geopolitical Futures und Doktorandin für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Corvinus-Universität in Budapest.

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Hochrangige chinesische Beamte signalisieren, dass Peking im Juli auf einer wichtigen Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei eine deutliche Anpassung der Wirtschaftsstrategie des Landes ankündigen wird. Ende April versprach das Politbüro eine vorsichtige Geld- und proaktive Steuerpolitik, um die Nachfrage anzukurbeln, angeschlagenen Unternehmen zu helfen und „Risiken und versteckte Gefahren“ zu bekämpfen. Einige Tage zuvor hatte ein prominenter Regierungsberater, Liu Yuanchun, vor Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage und vor einer unerwartet raschen Verschlechterung der Verschuldungssituation der lokalen Regierungen gewarnt. Präsident Xi Jinping sollte die Öffentlichkeit auf ein bescheideneres Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren vorbereiten, fügte Liu hinzu.

Chinesische Regierungsberater sprechen selten so offen über die wirtschaftlichen Probleme des Landes. Es ist auch höchst ungewöhnlich, dass das Zentralkomitee seine dritte Plenartagung, die sich mit wirtschaftlichen Fragen befasst und auf der normalerweise wichtige Reformen vorgestellt werden, außerhalb der Herbstsaison abhält. Das Plenum im Juli sollte ursprünglich im Oktober 2023 stattfinden. Diese Faktoren deuten darauf hin, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit wichtige Änderungen anstehen. Die Wurzeln der Probleme in der chinesischen Wirtschaft dürften jedoch tiefer liegen als die möglichen Reformen denken lassen.

Wie Liu andeutete, scheint das Problem der sich verschlechternden Verschuldung der lokalen Gebietskörperschaften die Regierung überrascht zu haben. Nach Angaben des Leiters der chinesischen Zentralbank, der der Öffentlichkeit versicherte, dass die Regierung die Situation unter Kontrolle habe, lagen die ausstehenden Schulden der lokalen Gebietskörperschaften Ende vorigen Jahres innerhalb der Haushaltsgrenze. Auf der anderen Seite warnte der Internationale Währungsfonds, dass Chinas gesamtstaatliche Bruttoverschuldung Anfang 2024 88,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen würde – was einem Anstieg von fast 47 Prozent gegenüber 2019 entspricht. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften stieg dieser Wert im selben Zeitraum nur um 7 Prozent.

Die Behörden wiesen einige hoch verschuldete Provinzen an, staatlich finanzierte Infrastrukturprojekte zu stoppen

Im Mittelpunkt des kommunalen Schuldenwesens stehen die Local Government Financing Vehicles (LGFVs), Unternehmen, die im Auftrag von Provinzen, Gemeinden und Städten Kredite aufnehmen, um deren Schuldenlast zu verringern. LGFVs haben in den zurückliegenden Jahrzehnten eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten durch die lokalen Regierungen gespielt. Doch auch wenn sich der Einsatz von LGFVs in China während der vergangenen Dekade etwa vervierfacht hat, haben sich LGFV-Kredite nur selten ausgezahlt, sodass sich die außerbilanziellen Schulden aufgetürmt haben. 

Darüber hinaus haben chinesische LGFVs seit Mitte der 2010er Jahre versucht, ihre Erträge durch Grundstücksverkäufe oder -verpachtungen zu steigern. Als der chinesische Immobilienmarkt von 2021 an ins Stocken geriet, wurde auch diese Ertragsstrategie hinfällig. Würden LGFVs ausfallen, würde dies die Bilanzen vieler chinesischer Banken belasten, die Kreditspreads ausweiten und den Yuan unter Abwärtsdruck setzen.

 

Für Peking ist es ein Spiel mit dem Maulwurf. Nachdem die chinesischen Aufsichtsbehörden in den letzten Monaten die Regeln für die Emission von Onshore-Schuldtiteln verschärft hatten, begannen die Kommunalverwaltungen, ein Schlupfloch zu nutzen, das es ihnen ermöglicht, über Offshore-Anleihen Kredite von wohlhabenden Chinesen und Institutionen aufzunehmen. Im Januar wurde das bisher höchste monatliche Emissionsvolumen von Offshore-Anleihen durch chinesische Kommunalverwaltungen verzeichnet. Der Offshore-Markt macht weniger als 5 Prozent der gesamten LGFV-Schulden aus, aber Peking ist besorgt, dass die grenzüberschreitende Kreditaufnahme die Bemühungen um eine Eindämmung der Verschuldung unterminiert. Es wird erwartet, dass die Aufsichtsbehörden bald die Beschränkungen für LGFVs, die Offshore-Anleihen ausgeben wollen, verschärfen werden.

Anfang dieses Jahres rieten die Aufsichtsbehörden den LGFVs, keine Offshore-Anleihen mit einer Laufzeit von 364 Tagen mehr auszugeben. Die Aufsichtsbehörden wiesen auch einige der hoch verschuldeten Provinzen an, bestimmte staatlich finanzierte Infrastrukturprojekte zu verlangsamen oder sogar zu stoppen, darunter eine Autobahn in der Provinz Yunnan und ein Tunnel in der Provinz Gansu. Betroffen waren auch die Städte Tianjin und Chongqing sowie die Provinzen Innere Mongolei, Liaoning, Jilin, Heilongjiang, Guizhou, Ningxia und Qinghai, die alle aufgrund ihrer Verschuldung als besonders risikoreich gelten. Durch diese Maßnahmen wird es für China noch schwieriger, das Wachstumsziel von 5 Prozent in diesem Jahr zu erreichen, und angesichts der Staatsverschuldung werden sie ohnehin nicht viel bewirken.

In China können wirtschaftliche Probleme leicht zu politischen Problemen werden

Es ist schon seit einiger Zeit klar, dass Chinas Wirtschaft nicht mehr so wachsen wird wie Mitte der 2010er Jahre. Im April änderte die Agentur Fitch beispielsweise den Ausblick für Chinas A+-Kreditrating von stabil auf negativ und begründete dies mit ähnlichen Faktoren, auf die Liu Yuanchun anspielte: steigende Risiken für die öffentlichen Finanzen des Landes. Um auch nur ein moderates, aber stabiles Wachstum zu erreichen, müssen strukturelle Probleme wie die Verschuldung der lokalen Gebietskörperschaften in den Griff bekommen werden. 

Seit vorigem Herbst hat die Zentralregierung mehrere Anstrengungen unternommen, um die Lokalregierungen zu unterstützen, indem sie ihnen die Kreditaufnahme für ein Jahr im Voraus erlaubte und Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Yuan (127 Mrd. Euro) für die Bewältigung von Naturkatastrophen ausgab – aber es kam zu keiner wesentlichen Verbesserung. Die Tatsache, dass die Führung die weniger wohlhabenden westlichen Regionen des Landes genau beobachtet hat – und dass der Präsident selbst persönliche Inspektionen in den ärmsten Provinzen durchgeführt hat – zeigt, wie nervös Peking vor finanziell motivierten politischen Unruhen ist.

In China können wirtschaftliche Probleme leicht zu politischen Problemen werden, vor allem, wenn es sich um einen Konflikt zwischen der Zentralregierung und den Kommunen handelt. Xi und sein Kabinett sind sich dessen bewusst, wie die Erklärungen über „versteckte Gefahren in Schlüsselbereichen“ und ihre Ankündigungen neuer Hilfsmaßnahmen zeigen. Im Frühjahr dieses Jahres hat die Zentralregierung die Ausgabe von ultralangen Spezial-Staatsanleihen im Wert von umgerechnet 128 Milliarden Euro zugesagt. (Dies war ein wichtiger Schritt, mit dem ein Instrument zur Krisenbewältigung zu einer regelmäßigen Finanzierungsquelle wurde.) Außerdem hat sie „spezielle Refinanzierungsanleihen“ für lokale Regierungen genehmigt und die Banken aufgefordert, diese Anleihen an bedürftige Kommunen zu vergeben.

Es wird erwartet, dass Peking beim dritten Plenum offiziell ein neues Ziel für ein moderates Wachstum und entsprechende Maßnahmen ankündigen wird. Die neuen Maßnahmen werden wahrscheinlich auf die Kommunalverwaltungen abzielen, die dringend benötigte Binnennachfrage ankurbeln und möglicherweise sogar einige der strengen Handelspraktiken des Landes lockern, um ausländische Investoren anzulocken. Die Tatsache, dass das dritte Plenum zeitgleich mit einer spürbaren Veränderung der Regierungsrhetorik anberaumt wurde, zeigt, dass man sich in Peking sicher ist, dass die notwendigen Veränderungen vorgenommen werden müssen.

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Christoph Kuhlmann | So., 19. Mai 2024 - 12:20

Angesichts der gigantischen Fehlallokationen, die seitens des Staates in China an der Tagesordnung sind und zu den typisch kapitalistischen Blasen, welche durch Börsen und andere Märkte hinzukommen habe ich eine Krise in China lange erwartet. Die Einparteienherrschaft, kumuliert einen großen Teil der Risiken und Verluste auf höchster staatlicher Ebene. Es wird so lange repariert, bis der Staat handlungsunfähig ist. Dann jedoch bricht das ganze System zusammen. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und alles andere auch, was durch den Staat diktiert wird. Die Wirtschaftsfreiheit ist bereits stark eingeschränkt, die Informationen des Marktes werden nur verzerrt weiter gegeben. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt erhält keine validen Informationen mehr über ihren Zustand. Nochmals vielen Dank für diesen Artikel. Ich wünschte es gäbe mehr davon.

Die zunehmende Fixierung auf die "Lichtgestalt" Xi, der abrupte Kurswechsel in der Corona-Politik, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die gigantische Immobilienblase mit dem Vermögensverlust von Millionen Chinesen: all dies spricht für ihre Einschätzung. Ich hoffe auf eine rechtzeitige Kurskorrektur, denn sonst wenden sich Politiker, die innenpolitisch unter Druck stehen, erfahrungsgemäß nach außen, um die Reihen zu schließen. Dann könnte der für 2049 vorgesehene Anschluss Taiwans vorgezogen werden.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 19. Mai 2024 - 13:15

(Kleinasien) und Asien blühende Landschaften.
Ich bin dankbar, dass ich nicht lesen muss, China wäre besser dran als "Großkolonie" der USA.
Gerade weil "Asiaten" evtl. stärker ortsgebunden agieren und sich interessanterweise als Reiche der Mitte begreifen, ob nun als Yin-Yang oder vielleicht auch geographisch, so hat Europa von starken asiatischen Märkten nichts zu befürchten und bei Respekt auch nichts für die eigenen Ableger dort?
Die Mode ist abgesehen von der Verschleierung religiöser Frauen, die in Manchem aber auch Sinn ergibt statt Ring, sie ist einfach TOP.
Ich hoffe, dass die Chinesen zur Not! eine chinesische Mauer in ihren Gewässern errichten.
Wenn ich überlege, so gab es in der Türkei das islamische Rollback erst nachdem sich die USA evtl. selbst zur einzigen relevanten Weltmacht erklärt hatten und Europa begann, sich aus dem Nahen/Fernen Osten zurückzuziehen?
Atatürk war Moderne.
Ich kann Turk-Arabien und Asien versprechen, dass ich die USA dort nie "legitimiere".
RESPEKT

vor ihrer Haustür, bzw. (süd)amerikanischer Nachbarschaft doch auch Chinesen, Europäer oder Russen als Mitspieler haben?
Sie unterbinden aber sicher alle unamerikanischen Bestrebungen und ersticken sie im Keim, ohne dass andere einen Weltkrieg anzetteln?
Hoffentlich hat im Fall des Todes des iranischen Präsidenten und Aussenministers nicht eine ausländische Macht die Hände im Spiel.
Ich bin nach wie vor nicht sicher wegen des Absturzes der Maschine des polnischen Präsidenten, aber die Russen waren es nach meinem "Fühlen" ganz sicher nicht.
Hoffentlich war es auch jetzt die Technik.
Immerhin ist die Sonne gerade in einem Maximum.

Albert Schultheis | So., 19. Mai 2024 - 15:21

Ich höre jetzt schon das Gescharre der Hufe unterm Tisch der bekannten Akteure in Washington. Selber gespalten bis dorthinaus, moralisch zugrunde gerichtet, geiert man nur darauf - nach dem nächsten sang- und klanglos verlorenen Krieg in der Ukraine - das nächste Hazardeurspiel in China anzuzetteln! Mit den üblichen, lumpigen Mitteln: Orangene Revolution, Putsch, Nato-Versprechen, "Fuck the EU!", "Demokratie und Freiheit", Bürgerkrieg, Krieg - und dann ran an den Speck der Ressourcen! Lasst den Russen die Ukraine! Wir wickeln sie dann von hinten, von Wladiwastok her auf! Wir lassen dann 1 Mio Chinesen für unsere Freiheit und Demokratie kämpfen! Leute, dann geht's gerade wieder von vorne los. Das Erfolgsmodell des Westens: Kalter Krieg - forever! Damit sind dann die Blockfreien zerlegt und Afrika kommt reumütig in den Schoß der USA zurück. Europa ist dann erst mal obsolet und der Exportweltmeister Deutschland spielt in der C-Klasse des neuen europäischen Kalifats.

Jochen Rollwagen | So., 19. Mai 2024 - 20:22

Kommunismus endet immer mit dem Komplett-Kollaps.

So einfach ist das.