In St. Peterburg rauchen die Schlote / dpa

Aussichten der russischen Wirtschaft - Stabiler als erwartet

Die russische Wirtschaft steht zu Beginn des Jahres 2024 auf einem recht soliden Fundament. Russland wird die heimische Produktion weiter fördern, um Importe zu ersetzen, den Handel weiter auf Asien ausrichten und seine Abhängigkeit von externen Technologien verringern.

Autoreninfo

Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion befand sich Russland in einer Krise. Später erholte sich seine Wirtschaft langsam wieder, unter anderem dank des Zuflusses von Technologien und Devisen aus dem Verkauf von Rohstoffen, der Bildung von Bargeldreserven und ausländischen Investitionen. Erst nachdem es ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum erreicht hatte, war Moskau in der Lage, seine größeren geopolitischen Ziele zu verfolgen – die Wiedererlangung regionaler und globaler Macht, die Wiederaufnahme seiner Rolle als wichtiger geopolitischer Akteur, die Sicherung seiner Grenzen und die Verhinderung eines weiteren Zerfalls seines Territoriums. 

Der Kreml verfolgte zu diesem Zweck mehrere Strategien: Er sorgte für eine aktive Beteiligung am Außenhandel, um einen ständigen Geldzufluss zu gewährleisten, modernisierte seine Streitkräfte und versuchte, seinen Einfluss in den ehemaligen sowjetischen Gebieten aufrechtzuerhalten.

Während dieses Zyklus der langfristigen Erholung geriet Russland in eine weitere Krise, als Europa und der Westen nach dem Einmarsch in der Ukraine ihre Handelsbeziehungen abbrachen. Dadurch war Moskau gezwungen, sich rasch nach Osten zu orientieren, neue Technologiequellen zu erschließen und Importe zu ersetzen.

Mit anderen Worten: Moskau musste dringende kurzfristige Probleme lösen, die durch den Krieg in der Ukraine entstanden waren, während es gleichzeitig mit langfristigen Problemen zu kämpfen hatte, die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion verursacht worden waren. Die Prognose für 2024 dreht sich also um diese Realität.

In der Industrieproduktion wird Russland an die Grenzen des Wachstums stoßen

Insbesondere wird der Kreml seine Wirtschaft weiter an die neuen geopolitischen Trends und den westlichen Druck anpassen. Unabhängig davon, ob Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine stattfinden oder nicht, werden die Auswirkungen des westlichen Sanktionsregimes noch einige Zeit zu spüren sein. Da der Geldfluss durch den Handel und der Zugang zu technologischen Gütern wichtig bleiben, wird Moskau kurz- und langfristige Partnerschaften anstreben, um nachhaltige Beziehungen zu schaffen, auf die es sich verlassen kann. Der Aufbau und die Priorisierung neuer langfristiger Beziehungen mit asiatischen Ländern beispielsweise wird für Moskau von entscheidender Bedeutung sein, um einen drastischen Rückgang der Einkommen und des Lebensstandards aufgrund möglicher weiterer Sanktionen und Engpässe abzuwenden, die wiederum zu zivilen Unruhen führen könnten.

Für Russland wird es auch wichtig sein, die heimische Produktion weiter zu fördern, um Importe zu ersetzen, seine Abhängigkeit von externen Technologien zu verringern und der russischen Bevölkerung Arbeitsplätze zu bieten. Tatsächlich steht die russische Wirtschaft zu Beginn des Jahres 2024 auf einem recht soliden Fundament. Dank der Fähigkeit Russlands, den Handel auf Asien auszurichten, Parallelimporte zu betreiben, und dank staatlicher Anreize und eines allgemein ungesättigten Marktes hat sie besser abgeschnitten als erwartet.

 

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Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass Russland in einer Reihe von Sektoren, einschließlich der Industrieproduktion, an die Grenzen des Wachstums stößt. Das bedeutet, dass die Wirtschaft zusätzliche Wachstumsquellen finden muss, was aus einer Reihe von Gründen schwierig sein wird. Jede Region und jeder Wirtschaftszweig braucht zusätzliche Investitionen, auch aus dem Ausland, um die Produktion anzukurbeln, aber die geopolitische Unsicherheit, die Androhung weiterer Sanktionen und die Instabilität des Rubels könnten Investoren von risikoreichen Projekten abschrecken. Viele der neuen Partner Russlands sind zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, als dass sie in dem Maße helfen könnten, wie es der Kreml gerne hätte. Und Moskau hat schon jetzt mit einem Arbeitskräftemangel zu kämpfen, nicht nur in den abgelegenen Regionen, die der Kreml erschließen will (etwa im Fernen Osten), sondern auch im europäischen Teil Russlands, wo der Großteil der Bevölkerung lebt. In der Zwischenzeit müssen die Unternehmen unter strengen monetären Kontrollen arbeiten, da die Zentralbank versucht, die Inflation einzudämmen, die weiter ansteigen könnte, wenn die Produktion nicht mit der Nachfrage Schritt hält.

2024 wird Russland versuchen, den verlorenen Status zurückzugewinnen

All diese finanziellen Schwierigkeiten werden die Regierung jedoch nicht davon abhalten, sich um ihre militärischen Bedürfnisse zu kümmern. Die Modernisierung bestehender Waffen, die Entwicklung neuer Militärtechnologien, die Steigerung der Waffenproduktion und die Stärkung der Kampffähigkeit sind allesamt Prioritäten des Kremls im Jahr 2024. Aus Moskaus Sicht ist der Aufbau seiner Streitkräfte in Westrussland eine notwendige Ergänzung zum Krieg in der Ukraine, den es sich nicht leisten kann, zu verlieren. Die Bildung neuer Militärbezirke in diesem Gebiet sollte als Demonstration von Stärke und Kampfbereitschaft gesehen werden, insbesondere im Hinblick auf den Nato-Beitritt Finnlands, und die Bemühungen um eine Stärkung der Position der Armee sollten als Verhandlungstaktik für künftige Gespräche mit dem Westen betrachtet werden.

Es wäre jedoch ein Fehler, zu denken, dass Russland seine Streitkräfte nur zu dem Zweck aufrüstet, um die Ukraine zu besiegen. Moskau ist sich darüber im Klaren, dass der Westen niemals bereit sein wird, Russland die gesamte Ukraine zu überlassen, und es ist sich darüber im Klaren, dass es eine direkte Konfrontation mit der Nato vermeiden sollte – und beide Schlussfolgerungen werden in gewissem Maße das Handeln beider Seiten einschränken. Die militärische Aufrüstung ist vielmehr Teil einer langfristigen Bemühung, den Status Russlands als Großmacht und regionaler Sicherheitsgarant wiederherzustellen, der schnell auf Ereignisse im nahen Ausland reagieren kann. Schließlich ist die Ukraine nicht der einzige Krisenherd in Russlands Nachbarschaft; auch der Südkaukasus und Zentralasien sind potenzielle Quellen von Instabilität und Sicherheitsbedrohungen. Russland wird der Teilnahme verschiedener Länder an verschiedenen Übungen im postsowjetischen Raum besondere Aufmerksamkeit widmen, Militärposten und -stützpunkte modernisieren und ein Schnellreaktionssystem entlang seiner gesamten Grenze vorbereiten.

Wenn das Hauptziel Russlands im Jahr 2023 darin bestand, sich spontan an neue Gegebenheiten anzupassen, dann wird das Thema des Jahres 2024 darin bestehen, sich wieder auf langfristige Ziele zu konzentrieren, die Russland helfen werden, den verlorenen Status zurückzugewinnen.

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Norbert Heyer | Fr., 19. Januar 2024 - 07:57

Als der Westen nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der Russen in die Ukraine Sanktionen verhängte waren 2 Dinge klar: 1. Das bedeutet, der Westen verpasst den Russen einen Streifschuss, sich selbst aber einen Kopfschuss. 2. Keiner wird sich an die vereinbarten Sanktionen halten - außer Deutschland. Genauso ist es gekommen, ohne billiges Gas und Öl haben wir unsere Stellung als Exportnation geschreddert. Darüber hinaus hat unsere irre Regierung noch zusätzlich grundlastfähige Energie einfach mal so abgeschaltet. Früher gab es in der Sandkiste ein cleveres Kind mit der Fähigkeit, Streit zwischen zwei anderen Kindern zu schüren, bis diese sich prügelten. Unser großer Bruder auf der sicheren Seite des Teiches feixt sich eines, Deutschland am Ende, Russland geschwächt, Europa am Rande des Zusammenbruchs. Besser und geschmeidiger kann Geopolitik nicht gestaltet werden. Alle Trümpfe in diesem miesen, vernichtenden Pokerspiel haben die, die Interessen nicht mit Freundschaft verwechseln.

Reinhold Schramm | Fr., 19. Januar 2024 - 08:52

Die hochtechnologisch KI-gestützte Wirtschaftsentwicklung in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Russischen Föderation wäre ein Zukunftsprojekt beider kapitalistischer Gesellschaftsordnungen.
Sie würde die weltmarktfähige Entwicklung der russischen Wirtschaft und damit den Lebensstandard der Bevölkerung, nicht nur in der Russischen Föderation, auch in Deutschland und ganz Europa befördern. Daran wäre infolge auch zunehmend erfolgreich die Ukraine wirtschafts- und sozialpolitisch mit einbezogen.

Zudem könnte die deutsche Wirtschaft und Sozialpolitik für die große Mehrheit der Bevölkerung davon zuverlässig über die kommenden Jahrzehnte gemeinsamer sozial- und gesellschaftspolitischer Entwicklung profitieren.

PS: Zuvor müsste sich die deutsche Parlamentsmehrheit und NATO-Bundesregierung von ihrer destruktiven Umwelt- und Kriegspolitik verabschieden; was von der derzeitigen Parlamentsmehrheit Deutschlands nicht zu erwarten wäre.

Christoph Kuhlmann | Fr., 19. Januar 2024 - 08:54

Es ist müßig Russland stark oder schwach zu schreiben. Für sein Öl erhält es Yuans oder Rupien, zumindest letztere sind nicht konvertierbar. Seine über Jahrzehnte angehäufte Munition ist weitgehend aufgebraucht und die Anzahl gepanzerter Fahrzeuge schrumpft langsam auf Nato-Dimensionen. Spätestens, wenn Russland seine direkte Grenze zur Nato mit konventionellen Waffen sichern will, wird eine weitere Mobilisierung der Industrie Arbeitskräfte entziehen. Die vielbeschworene Leidensfähigkeit des russischen Volkes lässt sich schwer beurteilen und drückt sich nur in Anschlägen auf Einrichtungen des russischen Staates aus. Putin hofft auf die Republikaner in den USA, die der Ukraine bereits jetzt den Nachschub abschneiden. Die langfristigen Abnahmegarantien für die Munitionsproduzenten in Europa bleiben aus. So werden keine ausreichenden Produktionskapazitäten aufgebaut. Ich glaube, mit einem zehn Jahresplan des Westens zur Finanzierung des Ukrainekrieges wären Friedenverhandlungen möglich.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 19. Januar 2024 - 09:19

Wenn man die Msm liest ist Russland permanent am Absteigen, am Verlieren, werden von einem "Verrückten" regiert. Wenn man die Msm liest, erleiden die Russen doch ständig Niederlagen im Krieg, haben angeblich die größten auch wirtschaftlichen Probleme und jetzt ein solcher Artikel. Was stimmt denn nun? Ich denke, ich weiß es.

Tomas Poth | Fr., 19. Januar 2024 - 10:33

Russland steht vor einer längeren Entwicklungsphase sich von importierten Technologien unabhängig zu machen.
Der westliche Boykott ist nicht nur eine Bedrohung und Einschränkung, sondern auch gleichzeitig die Triebfeder sich selbst in den wichtigen Bereichen eigene Fähigkeiten zu entwickeln und auszubauen.
Der Arbeitsmarkt wird hier eher bremsend wirken, denn der konkurriert mit dem Bedarf an Soldaten an der Front. Die eigene Rohstoffversorgung ist mehr als ausreichend.
Auf lange Sicht wird Russland an Stärke gewinnen und Deutschland wirtschaftlich überholen.
Schade das Deutschland so rohstoffarm ist, das macht uns sehr verwundbar.

Reinhold Schramm | Fr., 19. Januar 2024 - 12:09

Antwort auf von Tomas Poth

Deshalb brauchen wir eine friedliche wirtschaftliche und sozialpolitische Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation!
Nur so können wir gemeinsam unsere Zukunft sichern!

Henri Lassalle | Fr., 19. Januar 2024 - 14:14

Tatsächlich ist die Anpassungsfähigkeit Russlands in Krisenzeiten signifikant - das hat es schon im 2. Weltkrieg bewiesen, es lernt schnell. Man sollte das riesige Land mit seinen immensen Ressourcen nicht unterschätzen.
Ich denke die zur Zeit enormen Anstrengungen der Aufrüstung und Entwicklung effizienterer Militärtechniken zielen nicht darauf ab, den Krieg auszuweiten - das hätte auch für Russland verheerende Folgen. Aber die Forderung der Ukraine nach einer Rückgabe ihres gesamten unrsprünglichen Territoriums ist reines Wunschdenken - die Russen werden das unter keinen Umständen akzeptieren. Und so wird das Leiden der ukrainischen Zivilen fortgesetzt, auch mit westlicher Hilfe - das sollte man nicht vergessen.

Urban Will | Fr., 19. Januar 2024 - 16:23

so.
Kaum etwas treibt Forschung und Entwicklung schneller voran als ein Krieg.
Was diesen nicht rechtfertigen soll.
Deutschland hatte – auch bedingt durch die Restriktionen des Versailler Vertrages – vor dem Zweiten Weltkrieg mickrige Panzer und zweitklassige Flugzeuge.
Am Ende, trotz Massenbombardements, etc. hatte man u.a. und als einzige Kriegspartei die besten Düsenflugzeuge, hinzu noch mit die besten Propellerflugzeuge, als einziger Kriegsteilnehmer Raketen und auch die besten Panzer. Auch die U-Boote der neuesten Klasse gehörten wohl zu den besten.
Was alles gottseidank nicht ausreichte, den Krieg auch zu gewinnen, aber gemessen an den Kräfteverhältnissen dauerte es ziemlich lange, bis Deutschland bezwungen war.

Russland ist längst nicht so isoliert wie Deutschland damals. Und hat weit mehr Potential an Rohstoffen, Energie, etc.

Das Gequake unseres Dummchens im Außenamt („Wir werden Russland ruinieren“) wird daher wohl nicht so ganz eintreffen.