Migranten in einem Rettungsboot auf dem Mittelmeer / dpa

Europäische Presseschau zur EU-Asylreform - „Das ist ein Gewinn an europäischer Souveränität“

Die Asyl-Reformpläne der EU-Staaten sorgen auch im Ausland für Gesprächsstoff. Während eine italienische Zeitung schreibt, die eigene Regierung sei mit leeren Händen aus den Verhandlungen gegangen, werden in Belgien mögliche Sanktionen gegen Ungarn gelobt. Eine europäische Presseschau.

Cicero Cover 05-24

Autoreninfo

Hier finden Sie Nachrichten und Berichte der Print- und Onlineredaktion zu außergewöhnlichen Ereignissen.

So erreichen Sie Cicero-Redaktion:

Die EU-Staaten haben sich auf eine Verschärfung des Asylrechts verständigt. Bei einem Innenministertreffen in Luxemburg stimmte am Donnerstag eine ausreichend große Mehrheit an Mitgliedstaaten für umfassende Reformpläne, wie der schwedische Ratsvorsitz am Donnerstagabend nach stundenlangen schwierigen Verhandlungen mitteilte. 

Vorgesehen in den nun vereinbarten Reformplänen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. Das sorgt selbstverständlich nicht nur in der deutschen Presse für Gesprächsstoff. Die Cicero-Redaktion hat deshalb eine europäische Presseschau zusammengestellt. 

„Ein Stück Handlungsfähigkeit gewonnen“

Die Presse (Österreich):

„Der zweite Teil der Einigung der Minister vom Donnerstag ist aber dubios. Durch die Hintertür soll eine Art quotenmäßiger Verteilung von Asylwerbern von den EU-Staaten an der Außengrenze in jene organisiert werden, die kaum Flüchtlinge aufnehmen (konkret: jene in Mittelosteuropa, mit Ausnahme Österreichs). Das hat bisher nicht geklappt, und wird auch künftig scheitern, wie die Wortmeldungen der Regierungsvertreter Polens und Ungarns in der Debatte zeigten. Vor allem aber bietet ihnen die Einigung auf diese Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement eine günstige Möglichkeit, sich von der Verantwortung für die Aufnahme von Asylwerbern freizukaufen. Gerade einmal 20.000 Euro pro verweigerter Aufnahme sollen sie zahlen müssen.“

Neue Zürcher Zeitung (Schweiz):

„Ein Laisser-faire wäre eine schlechte Option gewesen. Denn die Überforderung mit den vielen Neuankömmlingen hat an den Aussengrenzen zu einer Brutalisierung des Grenzschutzes geführt. Pushbacks und Prügel sind Teil einer neuen Normalität, die nur mit effizienteren Verfahren bekämpft werden kann. Schliesslich ist die Einigung auch per se ein Erfolg der EU. Denn sie geschieht in einem explosiven Politikfeld, in dem die EU-Länder immer Mühe hatten, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Union hat mit dem Abkommen ein Stück Handlungsfähigkeit gewonnen. Wie zuvor in der Corona-Pandemie und in der Konfrontation mit Russland zeigt sie erneut, dass sie konstruktiv auf Krisen antworten kann. Das ist ein Gewinn an Souveränität, an europäischer Souveränität.“

Das ist durchsetzbare Solidarität

La Repubblica (Italien):

„Trotz der metaphorisch auf den Tisch geknallten Faust geht die Regierung Meloni mit leeren Händen aus den jüngsten Verhandlungen hervor. ... Unser Land hat nicht ein einziges Zugeständnis erzielt. ... Das Konzept der ,verpflichtenden Solidarität‘ hat nämlich nichts mit einer aktiven Beteiligung der Verbündeten an der Umverteilung der Migranten zu tun. Im Gegenteil, das Konzept der Freiwilligkeit bleibt an die Möglichkeit geknüpft, 20.000 Euro für jeden abgelehnten Migranten auf der Grundlage der jährlichen Festlegung der Quote der umzusiedelnden Nicht-EU-Bürger zu zahlen. Rom erhält eine flexiblere Regelung bezüglich der ,Drittländer‘. … Dies ist jedoch ein Verfahren mit einer sehr komplizierten Umsetzung.“

De Tijd (Belgien):

„Es ist eine Krämer-Mentalität, die keinen Schönheitspreis verdient, aber die das Verdienst hat, dass sie funktionieren kann. Wenn sich Ungarn trotz der europäischen Absprachen weigert, Aufnahmen zu organisieren, kann die Europäische Kommission schlecht selbst in Budapest ein Asylzentrum eröffnen. Aber wenn es ums Geld geht, dann kann das einfach abgezogen werden von der Summe, die Ungarn an europäischer Unterstützung bekommt. Das ist durchsetzbare Solidarität, die leider nötig ist. In einer Migrationspolitik, in der es keine gute Seite gibt, ist jeder pragmatische Schritt willkommen.“

Europa wird an der Menschlichkeit gemessen

Luxemburger Wort (Luxemburg):

„Luxemburgs Migrationsminister Jean Asselborn (LSAP) sind einige der Elemente der Reform zu repressiv und daher nicht im Einklang mit den humanistischen Werten der EU: ,Europa wird an der Menschlichkeit gemessen, die es gegenüber den Schwächsten zeigt, und wir vermitteln kein humanitäres Bild, indem wir Kinder an unseren Außengrenzen festhalten‘, kommentierte er am Donnerstag nach dem Treffen in Luxemburg. Die luxemburgische Regierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.“  

Kathimerini (Griechenland):

„Während Deutschland zu den stärksten Befürwortern des neuen Einwanderungspakts gehört, hat die gestrige Einigung die (deutsche) Regierungskoalition ins Wanken gebracht. Die Regierung war gespalten zwischen dem von der SPD geführten Bundesinnenministerium und dem von den Grünen geführten Bundesaußenministerium. Das Innenministerium sah in der Reform vor allem eine Chance, die Migrationsströme zu organisieren, während die Grünen humanitäre Belange in den Vordergrund stellten. … Deutschland hatte sich stark für den Solidaritätsmechanismus eingesetzt, der schließlich durchgesetzt wurde, während Berlin in anderen Punkten, wie z.B. bei den beschleunigten Asylverfahren an den europäischen Grenzen, zurücksteckte. Baerbock machte aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl. ,Der schmerzhafte Teil des Kompromisses sind die Grenzverfahren an den Außengrenzen für Menschen aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten. Ohne diese Grenzverfahren hätte sich aber außer Deutschland niemand an dem Mechanismus beteiligt‘, sagte sie. Die Außenministerin fügte jedoch hinzu, dass jedes Votum gegen den Kompromiss bedeuten würde, dass ,eine gemeinsame europäische Asylpolitik, die auf Solidarität beruht, auf Jahre hinaus tot bleibt.‘“

Les Echos (Frankreich):

„Dies wird als einer der größten Erfolge, vielleicht sogar als Meisterstück der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft, die am 30. Juni endet, in Erinnerung bleiben. Am Donnerstag, kurz vor 21 Uhr, einigten sich die Innenminister der EU-27 bei ihrem Treffen in Luxemburg auf zwei Schlüsselelemente des von der Europäischen Kommission für 2020 vorgeschlagenen Pakts ,Migration und Asyl‘. ... Mit der Verschiebung des europäischen Spektrums nach rechts (die extreme Rechte hat in letzter Zeit in mehreren Mitgliedsländern Wahlerfolge erzielt) geht der Trend zu einer zunehmend restriktiven Migrationspolitik.“

„Deutschland profitiert in besonderer Weise“

Cicero (Deutschland):

„Die Regelung wird mit einiger Wahrscheinlichkeit den Zuzug von Armutsmigranten nach Europa deutlich reduzieren, wenn sie vor Ort an den Außengrenzen konsequent angewendet wird. Und davon profitiert Deutschland in besonderer Weise als besonders von Asylmigration belastetes, in den vergangenen Monaten laut einhelligen Meldungen aus den Kommunen überlastetes Land. Angesichts dieser dramatischen Lage, die zweifellos ein Hauptgrund für die desolaten Umfragewerte der Ampelkoalition und generell das tiefe Krisenempfinden in der Bevölkerung ist, kann man die Position der deutschen Regierung, vor allem der Grünen, in dieser Frage nur bizarr nennen. Ausgerechnet das objektiv am stärksten belastete Land, mit mehr Asylanträgen als beispielsweise das Ankunftsland Italien, hat sich für eine möglichst laxe Konstruktion eingesetzt.“ 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Naumanna | Fr., 9. Juni 2023 - 16:06

Einer der Gründe für Asylsuche ist die Bevölkerungsexplosion in Afrika. Geburtenkontrolle würde auch die Asylsuchenden verringern und zwar in erheblichem Ausmaße. Völlig unverständlich, warum das nicht öfter thematisiert wird.

Heidrun Schuppan | Fr., 9. Juni 2023 - 17:33

(20.000 Euro pro abgewiesenen Asylbewerber) damit alle Staaten zustimmen und man - endlich – eine "europäische Lösung" präsentieren konnte.

Pamina | Fr., 9. Juni 2023 - 17:47

75 Prozent, alle, die einen Asylanspruchsrate über 20 Prozent haben, werden weiter durchgewunken. Ebenso minderjährige Alleinreisende. Da werden viele 25-30jährige wieder 17 sein. Frankreich lehnt Asyl zum Beispiel ab, wenn in einem anderen Land schon mal Asyl bewilligt wurde und da gibts auch keine Leistungen. In Deutschland undenkbar, obwohl längst möglich. Es wird sich für uns nicht viel ändern. Und mit dieser Regierung wird auch sicher keiner zur abschließenden Prüfung oder während Klagen nach Ruanda oder Niger verbracht.

Hans Jürgen Wienroth | Fr., 9. Juni 2023 - 19:35

Schicken wir ab Sommer 2024alle Asylbewerber an der EU-Südgrenze, die keine Aussicht auf Asyl heben, zurück auf das Mittelmeer?
Das wäre unmenschlich und ich kann es auch nicht glauben.
Daher ist der Kompromiss für mich keine wirkliche Lösung, sondern wird noch mehr Menschen auf den gefährlichen Weg übers Meer leiten.
Ein erster Weg wäre die Einstellung der „Seenotrettungs-Finanzierung „.

Ingo Frank | Sa., 10. Juni 2023 - 09:39

ob dieser Kompromiss Gesetzteskraft erlangt. Da bin ich mir überhaupt nicht sicher und vor allem das „Zeitfenster“ bis die Eurokraten zu Potte kommen ….. Bis dahin ist der Ausländeranteil im Buntland wahrscheinlich auf 2/3 angestiegen und wir haben einen muslimischen Bundeskanzler und vom jedem Kirchturm ruft der Muezzin Allah ist der große Gott …..
Mit einem nicht ganz Ernst zu nehmenden Gruß fürs Wochenende, aus der Erfurter Republik