- Zwangsläufig böse - Fazit einer Ära
Seit 10 Jahren prägt der Schweizer Josef Ackermann zunächst als Sprecher, später als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank die Finanzwelt. Er wird uns fehlen. Warum, schreibt Wolfgang Kaden
Nun geht er. Die Nachfolger sind ausgesucht; im Mai, bei der Hauptversammlung, findet der Wachwechsel statt. Er wird uns fehlen. Wer sonst eignet sich so gut, fürs deutsche Publikum den Schurken des Finanzkapitalismus zu spielen? Wen sollen wir zukünftig beschimpfen, wenn das Geldgewerbe mal wieder gegen gute Sitten verstößt und zulasten aller Vabanque spielt?
Zehn Jahre wird Josef Ackermann, 63, dann an der Spitze der Deutschen Bank gestanden haben. Das ist eine bemerkenswert lange Schaffensperiode in einer Zeit, in der die durchschnittliche Verweildauer von Chefs großer Unternehmen hierzulande auf 6,1 Jahre gesunken ist. Zumal in einem Jahrzehnt, in dem das Finanzgewerbe fürchterlich durchgeschüttelt wurde.
Der Banker Ackermann hat es in seiner Amtszeit zu Starqualitäten
gebracht, wenn auch zu denen einer höchst umstrittenen Berühmtheit.
Zugleich „Buhmann der Nation“ (Stern) und „Weltstaatsmann“
(Handelsblatt) aus Deutschland. Ein erfolgreicher Topmanager und
gleichzeitig der oberste Repräsentant einer Branche, die in ihrer
scheinbar grenzenlosen Gier zur größten Gefahr für den Erhalt der
Wirtschaftsordnung und des Wohlstands geworden ist.
Seit dem Abgang des Bahnchefs Hartmut Mehdorn findet in Deutschland
kein Unternehmensführer nur annähernd so viel Beachtung wie
Ackermann. Öffentliche Fraktionssitzung der CDU/CSU zur
Schuldenkrise im September vergangenen Jahres: Nacheinander kommen
Commerzbank-Chef Martin Blessing, Finanzminister Wolfgang Schäuble
und Bankenaufseher Jochen Sanio in den Saal, allesamt nahezu
unbeachtet von den Fotoreportern. Doch als Ackermann erscheint,
stürzen sich alle auf ihn.
[gallery:Die Bilder der Ära Ackermann]
Ein Mann wie ein Schrank, einstmals in der Schweizer Heimat ein
siegessicherer Speerwerfer und Leichtathlet. Mit einem immer noch
jugendlich-frischen Gesicht, mit einem ewigen Lächeln, das
keineswegs aufgesetzt wirkt, sondern seine grundoptimistische
Gemütsverfassung zu spiegeln scheint. Mit dem angenehmen Tonfall
des Deutsch-Schweizers, der fortwährende Gemütlichkeit
verstrahlt.
Seit 2003 ist er bereits international geadelt, mit dem Vorsitz des
„Institute of International Finance“, der einzigen globalen
Interessenvertretung der Großbanken. Er gilt als „mächtigster
Banker Europas“ (New York Times), als einer, auf den
Managerkollegen wie Regierende in aller Welt hören.
Seine unternehmerische Leistung ist nicht unumstritten. Aber
immerhin: Er hat die Deutsche Bank durch die Finanzkrise gebracht,
ohne direkte Staatshilfe zu beanspruchen. Das Geldhaus wurde unter
seiner Herrschaft zur Ackermann-Bank. Er hat das Institut geprägt
wie zuletzt Hermann Josef Abs in den Fünfzigern. „Ich bin
vielleicht ein bisschen zu dominant gewesen“, meint er selbst in
der Rückschau.
Dass er mal derart im Rampenlicht stehen würde, hat Ackermann sich,
sagt er heute, „überhaupt nicht so vorgestellt, schon gar nicht als
Nichtdeutscher“. Und er fügt eine Anekdote aus der Startphase an.
Da riet ihm Freund Roland Berger: „Äußere dich nicht zu deutschen
Themen.“ Ackermann hielt sich an die Empfehlung des
Beratungsdoyen.
Doch dann, nach nur vier Wochen, erschien in der Börsenzeitung,
dem Zentralorgan der Banker, ein Kommentar mit der Frage: Wo ist
eigentlich der Chef der Deutschen Bank? Da wusste Ackermann, dass
er Bergers gut gemeinten Rat nicht befolgen kann. Die Deutsche Bank
ist nicht nur wirtschaftlich eine Größe, sie ist es auch
politisch.
Heute mehr denn je. Als Ackermann 2002 antrat, folgten der
Deutschen Bank, damals wie seit Jahrzehnten die Nummer eins im
Land, immerhin noch auf Sichtweite die Dresdner Bank und die
WestLB. Inzwischen hat sich die Dresdner in der Commerzbank
aufgelöst, welche nach der Lehman-Krise um ihre Existenz kämpft;
die halbstaatliche WestLB wird im Lauf des Jahres ganz
verschwinden. Der einstmalige süddeutsche Wettbewerber
Hypovereinsbank ist inzwischen ein Anhängsel der existenzbedrohten
italienischen Unicredit.
Seite 2: Ackermanns unternehmerische Leistung
Mit einer Bilanzsumme von gut zwei Billionen Euro – annähernd die Dimension des deutschen Bruttosozialprodukts – und der Präsenz in über 70 Ländern zählt das Frankfurter Institut zu den ganz Großen in der globalen Hochfinanz. Vor allem aber: Im Investmentbanking – dem Handelsgeschäft mit den gigantischen Summen – wuchs die Bank unter Ackermanns Führung zu einem der Anführer in der Branche heran. Die Deutsche Bank agiert heute auf Augenhöhe mit Adressen wie Goldman Sachs, J. P. Morgan Chase oder Morgan Stanley.
Ein Champion also. Aber einer, dem hierzulande, dem Starrummel
um den Chef zum Trotz, die Anerkennung versagt bleibt. Anders
beispielsweise als es den globalen Playern aus der deutschen
Autoindustrie ergeht. Mehr als die betriebswirtschaftlichen Erfolge
von Ackermann & Co zählt beim deutschen Publikum die Mitwirkung
der Bank an der verheerenden Finanzkrise und an der aktuellen
Staatsschuldenkrise, zählen die Maßlosigkeit der Investmentbanker,
die Irreführung von Anlegern, daraus folgende Prozesse und die
Abgehobenheit gegenüber den Sorgen und Nöten der Normalbürger.
Ackermann hat in der Schweiz eine Gesellschaft erlebt, die stolz
war auf die heimischen Großbanken. In Deutschland fand er ein
Umfeld vor, das der Finanzwirtschaft fortwährenden Machtmissbrauch
unterstellt, ihr voller Misstrauen gegenübersteht.
Macht besitzt ein Ackermann zweifelsohne. Aber weniger als seine Vorgänger. Er hatte gleich zu Anfang dafür gesorgt, dass die Bank praktisch alle ihre Industriebeteiligungen verkaufte und die Vorstände sich aus den Aufsichtsräten weitgehend zurückzogen. Die Deutschland AG mit der Deutschen Bank an der Spitze, viele Nachkriegsjahrzehnte ein konstitutives Element der Republik, war damit ausgelöscht. Die Finanzkrise tat dann ein Übriges, den Herrschaftsbereich der Banker zu verkleinern; der Primat der Politik wurde großenteils wiederhergestellt. Gegen den Willen der Geldmanager sind zuletzt die Eigenkapitalanforderungen deutlich erhöht und andere Regeln durchgesetzt worden; gegen deren Votum kämpft Angela Merkel nun auch für eine Finanztransaktionssteuer.
Ackermann hat bis heute Mühe, mit der stets aufregungsbereiten deutschen Öffentlichkeit zurechtzukommen. Mit der Empörung über sein Victory-Zeichen vor dem Saal des Mannesmann-Prozesses (das gar nicht dem Verfahren galt, sondern einem launigen Gespräch über Michael Jackson entsprang, der dieses Zeichen bei seinem zeitgleich laufenden Prozess gemacht hatte); mit der empörten Kommentierung seiner intern gefallenen Bemerkung, es sei „eine Schande, wenn Banken in der Finanzkrise das Geld des Steuerzahlers“ nähmen; mit der ständigen Wiederholung des als obszön und maßlos angesehenen Renditeziels von 25 Prozent. Dabei war das Ziel gar nicht so übertrieben, lag doch die Kapitalrendite aller deutschen Unternehmen von 1994 bis 2007 im Schnitt bei 32,1 Prozent.
Über ein komplettes Geschäftsjahr hat Ackermann die 25 Prozent
nie erreicht. Er hatte, als er antrat, „die Bank auf Vordermann
bringen wollen“, wie er heute sagt. Das Geldhaus steckte in einer
Sackgasse. Es war in Deutschland zwar die Nummer eins, aber
angesichts des harten Wettbewerbs durch Sparkassen und Volksbanken
konnte er im Heimatmarkt kaum wachsen.
Der Ausweg lag in der Internationalisierung und im großformatigen
Handelsgeschäft. Das hatte Ackermann daheim bei der Credit Suisse
gelernt, und das trieb er nun voran. Mit Erfolg, die Bank wurde
eines der Schwergewichte in der globalen Hochfinanz; sie ist heute
Weltmarktführer im Handel mit Währungen. Der Auslandsanteil bei den
Erträgen stieg von 56 (2002) auf 72 Prozent (2010).
„Ackermann wollte aus der Deutschen Bank eine Goldman Sachs
machen“, sagt ein ehemaliger Deutsche-Bank-Manager, also eine reine
Investmentbank. Und das mit allen Konsequenzen: Seine Truppe in
London und New York war fröhlich dabei im Geschäft mit jenen
giftigen Wertpapieren, die schließlich zum Zusammenbruch des
Finanzmarkts führten. Die Deutsche Bank kam im Bankencrash
vergleichsweise glimpflich davon. Und Ackermann war bei der
Rettungsaktion für andere Banken an vorderster Front engagiert:
Nicht ganz uneigennützig, denn ohne die Rettung der Konkurrenz
durch den Staat wäre es auch für den deutschen Marktführer eng
geworden. Er lernte dazu. Ihm wurde bewusst, wie wertvoll in einer
Finanzwelt voller Ungewissheit und Unberechenbarkeit das
bodenständige Geschäft mit Privat- und Firmenkunden sein kann.
Die Bank übernahm die biedere Postbank, ein Deal, den Ackermann
noch 2004 verschmäht hatte. Heute ist der Schweizer stolz darauf,
28 Millionen Privatkunden in seinem Imperium vorweisen zu können.
Während früher bis zu 80 Prozent der Erträge aus dem
Investmentbanking kamen, ist es jetzt nur noch die Hälfte.
Allerdings, paradox, trotz der unbestreitbaren unternehmerischen Erfolge blieb Ackermann bei dem wichtigsten Ziel, das er sich für den Chefposten vorgenommen hatte, erfolglos: den Aktienkurs nach oben zu treiben und den Wert des Unternehmens an der Börse deutlich anzuheben. Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger war die Deutsche zeitweise die wertvollste Bank der Welt. Als Ackermann das Kommando übernahm, war sie schon auf Platz 13 abgerutscht, mit 48 Milliarden Euro Börsenwert. Inzwischen wurde sie bis auf Platz 29 durchgereicht und kostet nur noch magere 35 Milliarden Euro. Der sogenannte „Total Shareholder Return“, also Gewinn oder Verlust beim Börsenkurs plus die Dividenden, beträgt minus 3,5 Prozent. Es wurde also Kapital vernichtet.
Seite 3: Die Ära Ackermann
Die großen Profiteure in der Ära Ackermann waren nicht die
Eigentümer, sondern die Angestellten, ganz besonders die
gehätschelten Investmentbanker. Wie bei anderen Geldkonzernen
wurden die Aktionäre enteignet, zugunsten der vermeintlichen
Masters of the Universe. Satte 30 Prozent der Erträge hat die Bank
zeitweise für die sittenwidrige Unkultur der Boniherrlichkeit
aufgewendet.
Ackermann rechtfertigt diese für die Banken wie für die
Gesellschaft unhaltbare Privilegierung mit dem gleichen schlichten
Argument, das alle seine Kollegen anführen. Der Wettbewerb um die
Besten zwinge ihn dazu. Doch ist es tatsächlich nicht möglich,
unter den Großbanken einen augenzwinkernden Konsens über eine
sozialverträgliche Bezahlung dieser Spezies herbeizuführen? Man mag
es kaum glauben.
Vielmehr scheint, dass auch ein Josef Ackermann noch immer unterschätzt, wie viel Wut sich über das Treiben der Banken aufgestaut hat, nicht nur bei den Protestlern der Occupy-Bewegung, sondern bis ins Bürgertum hinein. Ackermann und die übrigen Banker haben selbst nach der Jahrhundertkrise noch gegen eine kompromisslose Regulierung gekämpft und sich nur widerwillig mit zusätzlichen Auflagen abgefunden.
Eher zufällig fällt nun das Ende der Ära Ackermann mit einem neuen Zeitalter für die Geldhäuser zusammen, in Europa, aber auch außerhalb des Alten Kontinents. Die Zeit der alle Risiken ignorierenden, frohgemuten Kreditausweitung, der grenzenlosen Profitmacherei geht zu Ende. Die Geschäftsumfänge der Banken werden schrumpfen, weil die Bürger von der Politik mehr Sicherheit verlangen, auch wenn das mit weniger Wachstum verbunden ist. Das zwingt die Regierungen weltweit zu harten Auflagen. Und mehr Regeln bedeuten schlechteres Geschäft.
Die Deutsche Bank wird in diese neue Ära mit einem Doppelgespann
starten. Mit dem Deutschen Jürgen Fitschen und dem Inder Anshu Jain
(48). Der verbindliche Fitschen ist mit seinen 63 Jahren so alt wie
der Vorgänger und daher nur ein Übergangschef. So wird zwangsläufig
der kühle Jain der starke Mann in diesem Doppel.
Der Geschäftsbankenbereich unter Fitschen, die Handelsbank unter
dem Investmentbanker Jain – manch einer in der Frankfurter Zentrale
befürchtet, dass der traditionelle Gegensatz zwischen den beiden
Kulturen durch diese Personalien verfestigt wird. Ackermann rechnet
es sich als Verdienst an, „die beiden unterschiedlichen Bereiche
kulturell zusammengeführt“ zu haben.
Die Hoffnung für die Festigung des Einigungswerks ruht auf dem
dritten Neuen, dem zukünftigen Aufsichtsratsvorsitzenden Paul
Achleitner (55), einem ausgewiesenen Finanzprofi, lange Jahre in
den Diensten von Goldman Sachs und der Allianz und mit einem
verbindlichen Wesen ausgestattet.
Das neue Führungstrio ist das Ergebnis eines bitterbösen
Machtkampfs, vor allem zwischen Ackermann und dem noch amtierenden
Aufsichtsratschef Clemens Börsig. Ein Kampf, in dem Ackermann wenig
überzeugend wirkte – nicht zuletzt, weil er es versäumt hatte,
rechtzeitig einen geeigneten Nachfolger aufzubauen. Als er den
ehemaligen Bundesbank-Chef Axel Weber für seine Nachfolge gewinnen
wollte, scheiterte er an den Intrigen Börsigs.
Zeitweilig wollte Ackermann selbst neuer Aufsichtsratsvorsitzender
werden. Ein gerade für ihn erstaunlich realitätsferner Plan, den
man ihm zudem als Geringschätzung deutschen Rechts ankreidete. Denn
nach dem Aktiengesetz ist es bisherigen Vorständen erst zwei Jahre
nach dem Ausscheiden erlaubt, in das Kontrollgremium zu wechseln.
Die Sperrklausel lässt sich nur mit einem 25-Prozent-Votum der
Hauptversammlung aushebeln. Als Ackermann merkte, dass dieses
Quorum nur schwer zu erreichen sei, zog er seine Kandidatur zurück
– nicht ohne beträchtlichen Schaden für sein Ansehen.
So wird der Mann, der die größte deutsche Bank zehn Jahre lang
mehr als alle seine unmittelbaren Vorgänger geprägt hat, ohne
weiteres Amt in dem Finanzkonzern aus dem Topjob ausscheiden – ein
Novum in der Geschichte des traditionsreichen Instituts. Von der
Schweizer Heimat aus, beschäftigt mit zahlreichen Ehrenämtern, wird
er verfolgen, wie sich die Bank in der veränderten Finanzwelt
positioniert.
Er hat, aus der Sicht der Bank wie der Politik, einen guten Job
gemacht, trotz mancher Fehltritte und Fehlleistungen. Banker,
wenngleich unverzichtbar, waren hierzulande noch nie beliebt. Und
so musste Ackermann ganz zwangsläufig die undankbare Aufgabe des
bösen Buben übernehmen – zumal in einem Finanzbeben, wie wir es
seit 2008 erleben. Doch Deutschland, die größte Wirtschaftsregion
Europas und eine der weltweit stärksten Exportnationen, braucht
zumindest ein Geldinstitut, das in der Liga der Geldgiganten
mitspielt, das rund um den Erdball präsent und respektiert ist.
Josef Ackermann hat die Bank so aufgestellt, dass sie dieser Rolle
gerecht werden kann. Und das ist nicht wenig.
Wolfgang Kaden war Chefredakteur beim Spiegel und beim Manager Magazin. Er lebt als freier Autor in Hamburg.
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