Euro- und Rubel-Scheine
Russland könnte Schulden in Rubel begleichen, dürfte das Geld aber nicht ins Ausland transferieren / dpa

Zahlungsausfall droht - Steuert Russland erneut in die Staatspleite?

Auf den internationalen Finanzmärkten ist Russland durch die westlichen Sanktionen im Zuge des Ukraine-Kriegs so gut wie abgemeldet. Doch was den Druck auf Präsident Wladimir Putin erhöhen und den Kreml durch die Isolierung der russischen Wirtschaft zum Einlenken bringen soll, birgt für Investoren unangenehme Nebenwirkungen. Sie müssen sich auf Zahlungsausfälle einstellen.

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Experten sehen Russlands Schuldendienst akut in Gefahr. Wie schon 1998 könnte es erneut zu einer Staatspleite kommen – auch wenn diesmal vieles anders ist. Russland droht trotz voller Staatskasse die Zahlungsunfähigkeit. Der Präsident des Berliner DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, hält eine Staatsschuldenpleite Russlands in den kommenden Monaten für sehr wahrscheinlich. Aufgrund der westlichen Sanktionen bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Gläubigern nicht bediene, sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur. Unter einem Zahlungsausfall würden auch einige deutsche Investoren leiden. Zudem könne es zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten kommen. Die russische Zentralbank versucht bereits mit mehreren Maßnahmen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der westlichen Sanktionen für den Finanzmarkt abzufedern. In der Nacht zu Mittwoch verhängte die Notenbank auch drastische Einschränkungen für den Devisenhandel.

Dem Finanznachrichtendienst Bloomberg zufolge hat Russland 49 Milliarden Dollar an Staatsanleihen in Dollar und Euro offen. Am 16. März stehen Zinszahlungen über mehr als 100 Millionen Dollar an. Am 4. April läuft eine Anleihe über 2 Milliarden Dollar aus. „Wir sehen einen Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario“, schrieb die US-Investmentbank Morgan Stanley am Montag an Klienten. „Ich wäre schockiert – absolut schockiert –, wenn sie sich die Mühe machen, ihren Zahlungen später in diesem Monat nachzukommen“, sagte der Ex-Hedgefondsmanager Jay Newman jüngst im Bloomberg-Interview.

Auch die großen Ratingagenturen machen Anlegern wenig Hoffnung. Fitch, Moody’s und S&P sehen Russlands Kreditwürdigkeit inzwischen im sogenannten Ramschbereich, der hochriskante Anlagen kennzeichnen soll. Fitch warnte am Dienstag bereits vor einem unmittelbar drohenden Zahlungsausfall. S&P senkte die Bonitätsnote am Freitag um acht Stufen, bis knapp über die Kategorie für Zahlungsunfähigkeit. Bei Moody’s fiel das Rating aufgrund „ernsthafter Bedenken hinsichtlich Russlands Bereitschaft und Fähigkeit, seine Schulden zu bezahlen“ auf noch tieferes Ramschniveau. Das weckt Erinnerungen.

Kreditausfallversicherungen greifen womöglich nicht

Rückblick: Der 17. August 1998 markiert den bisher schwärzesten Tag in der Wirtschaftsgeschichte des neuen Russlands. Damals stellte die Regierung wegen knapper Kassen die Bedienung der Binnenschulden ein und gab den Rubel zur Abwertung frei. Die Finanzmärkte kamen ins Taumeln. Das Vertrauen in Russland war dahin. Der Rubel büßte nach Jahren der Stabilität in wenigen Wochen 75 Prozent ein. Russische Banken konnten ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Internationale Finanzorganisationen stellten die Unterstützung ein.

Diesmal unterscheidet sich die Situation in wesentlichen Punkten. Die Ausgangslage ist völlig anders. Damals hatte Russland hohe Staatsschulden und geringe Devisenreserven. Zudem war der Rubel noch an den Dollar gekoppelt, sodass die Zentralbank den Wechselkurs verteidigen musste. Im Zuge der Asienkrise und fallender Ölpreise entpuppte sich dies als hoffnungslos. Heute ist Russlands Staatskasse – nicht zuletzt dank hoher Öl- und Gaspreise – prall gefüllt. Doch durch die Sanktionen wurde ein Großteil von Russlands Zentralbankreserven über rund 640 Milliarden Dollar eingefroren.

So betonen auch die Kreditwächter von S&P und Moody’s, dass die Hauptursachen für das erhöhte Risiko eines Zahlungsausfalls nicht Geldnot, sondern Folgen der Sanktionen sind. Durch sie sind auch die Möglichkeiten der Zentralbank stark eingeschränkt. Selbst wenn Russland zahlen würde, wäre deshalb ungewiss, ob Gläubiger im Ausland an ihr Geld kommen. Ein weiteres Problem für internationale Investoren: Auch Kreditausfallversicherungen greifen bei manchen Anleihen womöglich nicht. Denn Russland könnte Schulden in Rubel begleichen, dürfte das Geld aber nicht ins Ausland transferieren.

Kein Schutz für Gläubiger

So oder so zeichnet sich eine vertrackte Lage ab. Experte Newman studierte die Wertpapierprospekte der russischen Anleihen und stieß dabei auf einige „der verrücktesten Dinge, die ich je gesehen habe“. Anders als bei üblichen Staatsschuldverschreibungen enthielten die meisten Anleihen für den Fall von Zahlungsausfällen keine Klausel zum Verzicht auf staatliche Immunität, sodass unklar sei, wie und wo die Regierung vor Gericht gebracht werden könnte. „Es gibt bei all diesen Anleihen überhaupt keinen Schutz für Gläubiger.“

Newman weiß, wovon er spricht. Er war jahrelang für den auf das Ausschlachten fauler Kredite spezialisierten Hedgefonds NML Capital aus dem Elliott-Imperium des US-Milliardärs Paul Singer tätig. Auch beim 15-jährigen Rechtsstreit über die Rückzahlung von Anleiheschulden Argentiniens aus der rund 100 Milliarden Dollar schweren Staatspleite Ende 2001 spielte Newman eine wichtige Rolle. NML trieb die Schulden letztlich ein. Der Hedgefonds machte mit einem Heer von Juristen Jagd auf Staatsbesitz im Ausland, ließ 2012 sogar eine Marine-Fregatte in Ghana beschlagnahmen. Doch mit Putins Papieren will Newman nichts zu tun haben: „Ich würde keinen Penny für diese Anleihen bezahlen.“

Auch wenn die Anleihezahlungen in der kommenden Woche ausblieben, würde dies nicht bedeuten, dass Russland von heute auf morgen in die Staatspleite gerät. Nach dem ersten Zahlungsversäumnis beginnt gewöhnlich eine 30-tägige Gnadenfrist, sodass der eigentliche Ausfall erst im April erfolgen würde. Außerdem könnte es sich wegen der außergewöhnlichen Situation durch die Sanktionen zunächst nur um einen technischen oder teilweisen Zahlungsausfall handeln, also noch nicht um eine staatliche Insolvenz im eigentlichen Sinne.

Quelle: dpa

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Norbert Heyer | Mi., 9. März 2022 - 14:34

Das Tolle an Sanktionen ist, dass die erwartbaren Folgen nicht nur Russland treffen, sondern auch zahlreiche Gläubiger im Westen. Nachdem die ukrainische Regierung nichts unversucht lässt, Deutschland in diesen Krieg hineinzuziehen, kommen auch neben dem möglichen Energie-Chaos noch weitere finanzielle Verluste hinzu, die allein Maßnahmen der EU geschuldet sind. Selbstverständlich muss Putin unter Druck gesetzt werden, muss man den Export und Import von Waren unterbinden, aber Maßnahmen, die uns womöglich härter treffen als Russland sind doch wohl sehr kontraproduktiv. Unsere redegewandte AM hat ja schon verkündet, dass man für Haltung und Moral auch Nachteile in Kauf nehmen muss. Schade nur, dass solche Maßnahmen Frau Baerbock und den Kreis der Auserwählten nicht sonderlich treffen würden. Betroffen sind die, die mit dem Auto zur Arbeit fahren und dafür die Hälfte des Einkommens aufwenden müssen. Zum Ausgleich dürfen sie dann im Winter zuhause auch noch frieren - Haltung ist wichtig.

Gerhard Lenz | Mi., 9. März 2022 - 17:57

Antwort auf von Norbert Heyer

nichts unversucht lässt, Deutschland in diesen Krieg hineinzuziehen" - das ist blanker, unverhohlener Zynismus gegenüber einem Staat, der Hilfe sucht.

Die Ukraine kämpft ums blanke Überleben - überfallen durch einen Despoten, dem wahrscheinlich in einer schlaflosen Nacht der grandiose Gedanke kam, die Ukraine sollte als Staat aufhören zu existieren.

Was für wen kontraproduktiv ist, wird sich zeigen. China als Alternative zum Westen als Käufer russischer Exportartikel taugt nur bedingt und nur solange, wie sich Russland willfährig gegenüber den Machthabern in Bejing benimmt.

Ob nicht eher dieses Ausliefern an den "großen chinesischen Bruder" kontraproduktiv ist, wird man noch sehen.

So oder so wird Vladimir Putin am Ende als Verlierer dastehen - der das Wohlergehen seines Volkes seinen großrussischen Träumen opferte. Und dass die Sanktionen des Westens diesen mehr noch als Russland treffen werden - davon träumen höchstens der Kreml bzw. die üblichen Putin-Versteher.

Mir Herr Lenz tun die einfachen Ukrainer Leid, die Spielball der Großen auf beiden Seiten sind. Um die "Großen" mach ich mir keine Sorgen. Die haben & konnten vorsorgen. Das war bereits 1933 & auch nach 1945 so.

Und das die einfachen Russen mehr wie leidensfähig waren & sind, hat doch die Geschichte mehr als oft gezeigt. Leibeigenschaft & kommunistische Knute, vom Regen in die Traufe. Jahrhundertelang!
In den 30-er Jahren des 19.Jhd. die größte Hungersnot mit den meisten Toten in Russland. Am Kursker Bogen sind mehr Rotarmisten (ein Hinterladegewehr für 5 Mann) von ihren eigenen (!) Offizieren erschossen wurden.
Nein, die einfachen Russen mussten auch ihr schweres Päckchen tragen & sind dadurch auch zu einer Art "Michel" erzogen worden.
Und damals wie heute, Schütze A im letzten Glied hat ùberall das nachsehen, egal aus welchem Land

Wo ich Schluckbeschwerden bekomme ist die Verlogenheit & ungleiche Bewertung der Politik, egal bei wem. Aber wie im Kleinen, so im Großen, siehe Parteien

Welcher Teufel hat die Ukraine geritten in ihre Verfassung den Beitritt zur NATO aufzunehmen - ein Bündnis dass in seinen Statuten Russland als "Feind" benennt?!

Würden Sie so ein Bündnis vor ihrer Haustür haben wollen? Und sind wir doch einmal ehrlich. Die Ukraine wird vom Westen gesteuert und man verspricht ihnen das Paradies auf Erden. Warum wird die Ukraine nicht einfach neutral und bedient sich aus beiden Welten - Russland und der EU?

Jetzt haben die Russen eine rote Linie gezogen. Bis hier hin und nicht weiter!

Man akzeptiert keine vom Westen aufgerüstete Ukraine vor der Haustür.

Das ganze Gerede rund um Putin interessiert mich ehrlich gesagt nicht. Mir tun nur die Menschen in der Ukraine leid, die ein geopolitischer Spielball sind.

Der Westen ist ganz einfach überheblich und hat keinen Respekt und behandelt Russland auch nicht auf Augenhöhe. Wohin diese Hybris führt sehen wir in Afghanistan, dem Irak und auch Libyen.

Überall nur Chaos und es ist Politikversagen!!

Ernst-Günther Konrad | Mi., 9. März 2022 - 16:36

Sind diese düsteren Prognosen nur reine Propaganda, um die Stimmung gegen Putin weiter anzuheizen oder sind das real eintretende Szenarien? Mir fehlt da der Sachverstand zu Details in solchen Wirtschaftsfragen und deshalb nehme ich das alles mal zur Kenntnis und werde sehen, wie sich das alles weiter entwickelt. Nur bei einem bin ich mir sicher. Wenn Geld fehlt, weiß Europa, wo es zu holen ist und der deutsche Staat weiß, wie man aus dem deutschen Steuerzahler auch noch den letzten Cent heraus presst. Und man hat ja auch noch Frau Lagarde, die die Lizenz zum Geld drucken hat. Und was Putin infolge möglicher Zahlungsunfähigkeit von uns nicht bekommt, wird er sich bei den Chinesen oder über "unverdächtige" Drittstaaten beschaffen. Jedenfalls glaube ich kaum, das Zahlungsunfähigkeit dazu führen wird, dass die Geldmächtigen der Welt irgendeinen monetären Schaden nehmen werden. Es hat auch schon immer Wege gegeben, Sanktionen zu umgehen, wenn es dem eigenen Geldbeutel dient.