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(picture alliance) Die Frakfurter Kathedrale der Kapital-Jünger. "Der unsichtbaren Hand, dem Markt und dem heiligen Geld - Amen."

Frank A. Meyer - Wenn der Markt zum Gott wird

Es heißt, wer Markt an Moral misst, dem mangelt es an Kompetenz, der entlarvt sich als Sozialromantiker ohne Ahnung. Doch jeder Mensch weiß, was er tut - oder unterlässt. Wie kommt es, dass vom Täter in der U-Bahn Reue erwartet wird – vom Täter an der Börse dagegen nicht?

Die Organisation „Foodwatch“ kritisiert die Spekulation mit Agrar-Rohstoffen. Sie sei massiv mitverantwortlich für den Hunger in der Welt. Zu den „Hungermachern“ zählt nach dem Bericht der Verbraucherschützer auch die Deutsche Bank.
Wie reagiert Josef Ackermann auf diesen Vorwurf? Mit dem Satz: „Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen.“ Ist das ein guter Satz? Er klingt ja erst mal einsichtig. Doch es ist ein schlechter Satz! Nicht dem Schicksal hungernder Menschen gilt der spontane Gedanke, nicht dem Elend ausgemergelter Kinder gilt die Anteilnahme Ackermanns, nein, die Sorge des Schweizers gilt einzig und allein dem Ruf der Deutschen Bank.

Sind „die Märkte“ so? Jenseits von Gut und Böse? So wird es uns mit der Zwei-Wort-Formel „die Märkte“ suggeriert. Tätigen „die Marktteilnehmer“ demnach, wie eine weitere geläufige Formel lautet, ihre Geschäfte jenseits jeder Moral – die Ackermänner in Frankfurt, New York, London, Zürich?

Der konservative Philosoph Hermann Lübbe aus Münster hält Moralismus für den „Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft“. Ist moralische Gesinnung tatsächlich Unsinn, wenn es um Maß und Maßlosigkeit der Märkte geht? Lübbes Diktum dient der globalisierten Finanzwirtschaft als Dogma: Wer Markt an Moral misst, der redet Mumpitz, dem mangelt es an Kompetenz, der entlarvt sich als Sozialromantiker ohne jede Ahnung von der wilden Wirklichkeit dort draußen auf den Weltmärkten.

Im Spiegel kam jüngst der Spekulant Alan Knuckman (42) zu Wort. Er macht in seinem Geschäft keinen Unterschied zwischen Rohöl, Silber und Nahrungsmitteln: „Ich glaube an den Markt, und der hat immer recht.“ Zum Hunger in der Welt sagt der Rohstoffhändler: „Das Zeitalter der billigen Lebensmittel ist vorbei. Die meisten sind ohnehin überfressen.“ Unterernährung als Folge seines Tuns hält Knuckman für „unerwünschte Nebeneffekte des Marktes“, Kollateralschäden eben, denn wo gehobelt wird, da fallen Späne, wo spekuliert wird, da fallen Menschen – und mit Moral hat das alles natürlich nichts zu tun, viel dagegen mit Lübbes „Urteilskraft“, jener ominösen, jedem Moralismus überlegenen kalten Kategorie.

So scheint denn alles aufs Wundersamste eingerichtet: Nationen werden ins soziale Elend spekuliert, Menschen durch Wetten um Wasser und Brot gebracht – verantwortlich dafür ist allein der Markt, also niemand.

In der Schweiz warben vor Jahren junge Anarchos für einen seltsamen Kandidaten: „Wählt Niemand!“ Den Niemand gab es nicht. Es war ein Ulk. Heute gibt es den Niemand. Und es ist kein Ulk. Es ist der Markt. Diesen Niemand allerdings hat niemand gewählt. Darauf beruht seine Macht, seine Übermacht, seine Allmacht: Es kann ihn nämlich auch niemand abwählen. Nach dem Katechismus der marktradikalen Religion ist das allerdings auch unnötig, denn der Markt kann nicht sündigen, wie ja ein Gott nicht sündigt, woraus folgt, dass der Markt nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Und was dem Finanzkapitalismus ein rechter Gott sein will, der befreit die fehlbaren Menschen von ihrer Sünde, nimmt Bankern, Hedgefondsmanagern, Rohstoffhändlern und Börsenzockern die Last der Moral von den Schultern, indem er alle Schuld auf sich lädt – ein Jesus, ER, der Markt.

Hilft beim Blick auf die finanzkujonierte Welt nur noch Beten?

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Womöglich hilft, was jeder weiß, der sich aus seiner Unmündigkeit befreit: „Die Märkte“ werden von Menschen gemacht, so wie Menschen überhaupt die Gesellschaft machen – Menschen, die verantwortungsbewusst oder verantwortungslos handeln, was Menschen stets tun, wenn sie handeln. Der junge Schläger in der U-Bahn, der einen wehrlos am Boden Liegenden fast zu Tode tritt, weiß, was er tut. Die Umstehenden, die sich aus Feigheit abwenden und davonschleichen, wissen, was sie unterlassen.

Hier gilt die zutiefst weise Kindermoral: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

Wie aber kommt es, dass der Täter in der U-Bahn für seine Tat verantwortlich ist – der Täter an der Börse dagegen nicht? Wie kommt es, dass dem Täter in der U-Bahn Einsicht in seine Verantwortung zugemutet wird – dem Täter an der Börse dagegen nicht? Wie kommt es, dass vom Täter in der U-Bahn Reue erwartet wird – vom Täter an der Börse dagegen nicht?

Die Schweizer Philosophin Jeanne Hersch (1910 – 2000) hatte für die Frage nach Moral und Verantwortung ein ganz konkretes Rezept: „Denken Sie einfach an die Betroffenen Ihres Handelns.“ Der Satz ist existenzialistische Quintessenz. Er müsste zur Binsenweisheit werden in unserer total ökonomisierten Gesellschaft.

Folge davon wäre: Die „Hungermacher“ in Banken und Börsen würden nicht mehr wie bisher ans Image ihrer Bank oder Person denken, wenn sie des „Hungermachens“ bezichtigt werden, sondern an die Bilder von hungernden Kindern, wie sie die Medien ihnen doch Tag für Tag frei Haus liefern.

Vor allem aber würde die demokratische Gesellschaft die „Hungermacher“ des Kasinokapitalismus in die Verantwortung des Gesetzes zwingen, indem sie endlich kriminalisiert, was längst als Verstoß gegen Menschlichkeit und Sittlichkeit zu erkennen ist.

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