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Von Hand gefertigt

Der Satz könnte Motto für grünes Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit sein: „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ – Gebrauchsgegenstände, die einen länger begleiten als eine Saison – das Gegenprogramm zur Wegwerfgesellschaft. Thomas Hoof hat mit Manufactum frühzeitig einen Trend erkannt. Einblicke in den Erfolg einer skurrilen Warenwelt.

Berlin, Anfang Dezember 2009: In einer ehemaligen Kirche in Friedrichshain, jetzt „Umweltforum“, findet der Kongress statt: „Besserer statt mehr Wohlstand im 21. Jahrhundert“. Versammelt sind einige Hundert Menschen, dem Habitus nach aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen. Studenten, Kirchenvertreter, Beamte aus den Bundesministerien, Basisarbeiter des Naturschutzes, aber auch Damen der Berliner Gesellschaft in Twinset und Schottenrock. Sie alle lauschen begeistert dem Graubart Dennis Meadows, dem Doyen der Wachstumskritiker. Der Amerikaner, der 1972 mit der Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ das Kultbuch der Kritiker unserer Industriekultur herausgab, ist ein erfahrener Dompteur von Massenversammlungen. Mit allerlei witzigen Mitmachspielen demonstriert er, wie schwer es ist, sich von eingeübten Konventionen frei zu machen. So gelockert folgt das Auditorium gebannt Meadows Umkehrpredigt: Unsere angebliche Wohlstandsgesellschaft: Raubbau am Planeten, Verschwendung, globale Ungerechtigkeit. Unsere Warenwelt, ein Trugbild. Als dann apokalyptische Kurven über den baldigen Kollaps unserer westlichen Verschwendungslebensweise an der Wand leuchten, brandet emphatische Zustimmung auf. Zur gleichen Stunde zehn Kilometer westlich. Im Manufactum-Laden in der Hardenbergstraße drängen sich die Kunden. Auf den ersten Blick sind sie typologisch der Meadows-Gemeinde ähnlich. Auf den zweiten erweist sich, dass unter ihnen die Eleganz deutlich mehr vertreten ist. Freilich sind es nicht auffällige Statussymbole, die den typischen Manufactum-Kunden kenntlich machen. Vor dem Haus parken keine Porsches oder Geländewagen. Ihren Kofferraum tragen erstaunlich viele Besucher in Gestalt von Rucksäcken mit sich. Was die wirkliche Eleganz der Manufactum-Kunden ausmacht, erweist sich erst auf den zweiten Blick: edles Schuhwerk, in Jahren liebevoller Pflege patiniert. Edle Stoffe bei den Mänteln, traditionelles Strickwerk bei Pullovern und Mützen. Diskrete Uhren am Handgelenk. Allen gemeinsam ist aber ein gewisses Leuchten in den Augen. Man trifft es sonst beim Publikum von Blockbuster-Ausstellungen. Wie sie da um die Vitrinen stehen, in denen Haushaltswaren inszeniert sind wie Juwelen oder Museumsschätze, sind die Manufactum-Kunden selbst Kulturzeugnisse. Wofür? Für den Stimmungswandel in den geschmacksbildenden Eliten. Sie nehmen den großen, globalen Wandel von der wachstumsgetriebenen Wegwerfgesellschaft zur Ökonomie der Nachhaltigkeit vorweg, indem sie ihren Alltagskonsum auf Güter umstellen, die langlebig sind und strengen ästhetischen Kriterien standhalten. Thomas Hoof, der Gründer von Manufactum, war Landesgeschäftsführer der Grünen in Nordrhein-Westfalen, bevor er 1988 durch ein Schlüsselerlebnis, die vergebliche Suche nach einer funktionstüchtigen Schere im lokalen Einzelhandel, zum Qualitätsscout, Versandhändler und Erfinder des Slogans „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ wurde. Manufactum ist ein Riesenerfolg geworden, paradoxerweise gerade in dem konsumkritischen Milieu, aus dem Hoof stammte. Denn die Sehnsucht nach Gebrauchsgegenständen, die einen länger begleiten als eine Saison, also eben nicht verwerfliche „Wegwerfprodukte“ sind, war offenbar unterschwellig weit verbreitet. Dass sie, Ergebnisse von Kleinserien und zeitaufwendiger Handwerksarbeit, nicht billig sein konnten, erwies sich nicht als Hindernis. Thomas Hoof hat über seine Kundschaft einmal gemutmaßt: „Wo die Reichsten wohnen, verkaufen sich unsere Produkte am besten. Fast ebenso gut aber in Altbauvierteln, bei Professoren und grün-alternativen Studenten.“ Der Hinweis auf das akademische Milieu führt zu der einzigartigen Rolle, die der kiloschwere Katalog im Manufactum-Universum spielt. Er bildet nicht nur ab, er ist zugleich ein „wissenschaftliches Werk“. Zugleich dient er als vielstimmige Erzählung über das Schicksal der Alltagsobjekte. Sie alle kommen irgendwoher, jemand hat sie mit Liebe und Kunstfertigkeit in die Welt gesetzt. Sie haben gute und schlechte Zeiten gesehen, bis endlich das Happy End geschah: die Rettung im sicheren Hafen von Manufactum. Dort wacht Thomas Hoof über seine Schützlinge. Er weiß: „Sie sind nicht billig, aber sie wissen, was sie können.“ Der Manufactum-Katalog beschreibt übergenau die Herstellung und Wirkungsweise von Küchenmaschinen, Badezimmerarmaturen, Rasierapparaten, Haustürklingeln, Gartenschläuchen und tausend anderen Werkzeugen und Gebrauchsartikeln, insgesamt 4500 Artikel. Auch die scheinbar belanglosen Randprodukte wie Radiergummis, Bleistifte und Haushaltskleber werden mit der gleichen lexikalischen Achtung gewürdigt wie die teuren Einzelstücke. Weil die Texte liebevoll sind, getragen von der Sympathie für die kulturelle Arbeit der Erfinder und Hersteller, ist der Katalog ein Hymnus auf ein positives Zivilisationsideal. Er erinnert an die Zeit des Fortschrittsoptimismus im 19. Jahrhundert, als auf den Weltausstellungen eine Welt der Nützlichkeit propagiert wurde. Die Realitätsbeschwörung in den Produktbeschreibungen ist für viele Manufactum-Freunde übrigens attraktiver als der wirkliche Besitz. Das Phänomen erinnert an Christian Morgensterns Minigedicht „Korff erfindet eine Mittagszeitung. Welche, wenn man sie gelesen hat, ist man satt.“ Thomas Hoof, ein streitbarer Denker, hat seine Idee von Anbeginn an mit provokativen „Hausnachrichten“ begleitet, die ihm, wie er 2007 gescherzt hat, alle Sorten von Vermutungen eingebracht haben: „Fundamentalistischer Grüner? Antikapitalistischer Kapitalist? Erzreaktionär? Linker Tory? Nostalgiker?“ Ein Meanstream-Grüner ist er jedenfalls nicht. Vom Klimapessimismus hat er sich 2007 hochgelehrt distanziert. Am ehesten wird man Hoofs geistige Wurzeln in der Reformbewegung der vorletzten Jahrhundertwende um 1900 finden. „Wir unterstellen, dass ein gutes Produkt …neben den Lasten, die es seiner Umwelt notwendig aufbürdet, in gleichem Maße auch unangefochtenen Nutzen stiftet. Indem es, ganz nebenbei, seine Hersteller und seine Nutzer bereichert an Fertigkeiten, Kenntnissen, Potenzialen, indem es Berufs- und Produzentenstolz stiftet, indem es Neugier und Ehrgeiz weckt, indem es Schönheit austeilt und andere Wohltaten.“ (2007) Bei den Anti-Wachstumskongressen wie jenem in der Kirche in Berlin-Friedrichshain landet jede Diskussion bald bei der Frage, wie man denn das „Umsteuern“ zu einer nachhaltigen Ökonomie bewerkstelligt ohne Crash und Wirtschaftsstagnation? Manufactum, das in 20 Jahren von einer skurrilen Nischenidee zu einem 100-Millionen-EuroUmsatz-Unternehmen geworden ist und seit 2008 zum Otto-Versand gehört, ist ein Beispiel dafür, dass sich ökonomisches Wachstum auch auf Feldern abspielen kann, die nichts zu tun haben mit dem blinden „Immer mehr! Immer billiger!“ Freilich gehört dazu die Absage an die „produktespeiende Welt-AG, die (…) für fallende Preise sorgt, indem sie nomadisch um den Erdball hetzt auf der Suche nach den letzten komparativen Kostenvorteilen“. So Thomas Hoof im Jahr 2007 in einem Text, der nebenbei auch prophetisch andeutet, was dann ein Jahr später schockierende Realität wurde: Das Gefühl, dass „die Party vorbei sei, breitet sich aus und weht mittlerweile selbst durch die Glaspaläste der Bankenviertel“. Seit es Manufactum gibt, ist immer wieder ironisiert worden, dass seine Kundschaft nur gut gestellte Bürger seien, weil der Massenwohlstand auf billige, global fabrizierte Massenware angewiesen sei. Das Argument ist kein endgültiges Urteil über die kulturelle Rolle der Manufactum-Gemeinde. Auch die früheren Lebensreformbewegungen, ob das englische „Arts and Crafts“ im 19. Jahrhundert, ob „Werkbund“ und „Bauhaus“ im 20. haben ihren Anfang in bürgerlichen Eliten genommen. Irgendjemand muss praktisch anfangen mit der besseren Zukunft, sonst bleibt sie immer nur Theorie.

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