Menschen essen in einem Restaurant während eines massiven Stromausfalls. Millionen Menschen waren in weiten Teilen Spaniens und Portugals auf dem Festland von dem Blackout betroffen / picture alliance/dpa/AP | Manu Fernandez

Blackout in Spanien - „Kraftwerke sind für die Stabilität eines Stromnetzes entscheidend“

In Spanien und Portugal ist es am Montag zu einem Blackout gekommen. Was bisher über den stundenlangen Stromausfall bekannt ist und was der hohe Anteil an Solarstrom damit zu tun haben könnte, erklärt der Energiesicherheitsexperte Uwe Stoll im Interview.

Autoreninfo

Ulrich Gräber hat als Maschinenbauingenieur und Betriebswirt seit 1974 in der Kernkraftbranche gearbeitet. Er war unteren anderem Technikvorstand der EnBW Kraftwerke AG und Deutschlandchef des französischen Nukleartechnikkonzerns Areva.

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Uwe Stoll war bis 2024 technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der teilstaatlichen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS).  

Herr Stoll, auf der iberischen Halbinsel kam es am Montag zu einem weitreichenden Stromausfall. Was ist bisher über die Ursachen bekannt? 

Bisher gibt es noch keine eindeutigen Erkenntnisse. Bekannt ist, dass am Montag gegen 12.33 Uhr, mitten in der Mittagszeit, die Stromversorgung auf der Iberischen Halbinsel innerhalb weniger Minuten massiv eingebrochen ist. Auf dem Festland waren Millionen Haushalte ohne Strom, auch das Mobilfunknetz wurde unterbrochen. Der französische Netzbetreiber RTE teilte mit, das iberische Stromnetz sei um 12.38 Uhr automatisch vom europäischen Verbund getrennt worden. Kristian Ruby, Chef des europäischen Stromwirtschaftsverbands Eurelectric erklärte der BBC, ein Problem an der Stromverbindung zwischen Frankreich und Spanien habe zum Ausfall beigetragen.

Was führt dazu, dass ein Stromnetzbereich vom europäischen Verbundnetz getrennt wird?

Ursache solcher Netzabtrennungen können nicht mehr beherrschbare Frequenz- oder Spannungsänderungen sein. Um einen Ausfall in Nachbarnetzen oder gar im gesamten europäischen Verbundnetz zu vermeiden, werden die Teilbereiche, in denen die Änderung verursacht wurden, vom Verbundnetz abgetrennt. Nicht mehr beherrschbare Frequenzänderungen können sowohl durch zu wenig als auch durch zu viel Erzeugung entstehen. Laut dem Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber Entso-E sind Frequenzänderungen von mehr als einem Hertz pro Sekunde mit dem Systemschutz der Komponenten im Stromnetz nicht zu beherrschen. 

Hat es solche Abtrennungen schon öfter gegeben? 

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Uwe Stoll

Ja. Ich möchte hier an den Stromausfall in Europa am 4. November 2006 erinnern. Auslöser war die planmäßige Abschaltung beider Stromkreise einer Höchstspannungsleitung über die Ems für die Überführung eines Kreuzfahrtschiffes von der Papenburg-Werft. Zu diesem Zeitpunkt flossen etwa 10 Gigawatt Leistung nach West- und Süd-Osteuropa. Durch mangelhafte Planung und kurzfristige Änderungen kam es zur Aufteilung des europäischen Netzes in drei Bereiche – West, Nord-Ost, Süd-Ost. Durch die Auftrennung stieg im Nordosten die Frequenz stark an, während sie im Westen und Süd-Osten massiv fiel. Dort mussten Verbraucher vom Netz genommen werden, um die Unterfrequenz zu beschränken. Im Nord-Osten konnten rechtzeitig Erzeugungsleistungen abgeschaltet werden.

Klaus Müller von der Bundesnetzagentur hat gestern in einem ARD-Interview einen Blackout wie auf der Iberischen Halbinsel für Deutschland als sehr unwahrscheinlich bezeichnet. Konkret begründete er das mit dem sogenannten (n-1)-Kriterium, was bedeute, dass in Deutschland eine Leitung immer ausfallen könne und eine andere Leitung einspringen würde.

Das (n-1)-Kriterium ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal, denn die (n-1)-Sicherheit ist ein grundlegendes Prinzip für den Betrieb und die Planung von Übertragungsnetzen in Europa.

Zum Zeitpunkt des Stromausfalles betrug die Photovoltaik-Stromerzeugung auf der iberischen Halbinsel 32 Gigawatt. Die Einspeisung von Kraftwerken mit rotierenden Massen dagegen nur rund 9 Gigawatt. Was bedeutet dies für die Stabilität eines Stromnetzes?

Die Massenträgheit von Stromerzeugungsanlagen, wie sie fossile und nukleare Kraftwerke bieten, ist für die Stabilität eines Netzes ein entscheidender Faktor. Deren Turbinen und Generatoren sind Garanten für eine saubere und stabile Sinusschwingung der Frequenz. Erneuerbare Stromerzeugungsanlagen wie Photovoltaik- oder Windkraft-Anlagen haben keinerlei Massenträgheit. Das bedeutet, dass diese nicht geeignet sind, Frequenzänderungen im Netz durch ihre Trägheit zu stabilisieren.

Wie sähe es aus, wenn sich der von Ihnen vorhin erwähnte Stromausfall vom November 2006 im heutigen deutschen Stromnetz ereignen würde?

Die Netzbetreiber haben das berechnet und das Ergebnis ist klar: Aufgrund der seit 2006 abgeschalteten nuklearen und fossilen Kraftwerke und der massiven Zunahme der Stromerzeugung durch Wind und Sonne würde dieser Stromausfall heute zu einer Frequenzänderung im Nordosten Europas von 1,4 Hertz pro Sekunde führen – und wäre somit nicht mehr beherrschbar. Es würde zu einem Blackout im Nord-Osten Europas und damit auch in einem Teil des deutschen Stromnetzes kommen.

Könnte die hohe Einspeisung von nicht regelbaren Photovoltaik-Strom die Ursache für den Blackout im iberischen Stromnetz gewesen sein? 

Ich glaube nicht, dass das die eigentliche Ursache ist. Aber es ist auf jeden Fall ein beitragender Faktor.

Das Gespräch führte Ulrich Gräber.

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Dr.-Ing. G. Uerlings | Di., 29. April 2025 - 13:55

Im Interview sind mir 2 Formulierungen als nicht ganz gelungen
aufgefallen:
1. "stabile Sinusschwingung der Frequenz" sollte besser als
"frequenzstabile Sinusschwingung" adressiert werden.

2. Bei "Frequenzänderung ... "von 1,4 Hertz pro Sekunde"
ist wegen der Einheit von Hertz (1/Sekunde) das "pro Sekunde"
doppelt gemoppelt; oder sollte tatsächlich die Ableitung der
Frequenz nach der Zeit gemeint sein?!
Also innerhalb e i n e r Sekunde eine Änderung der Frequenz
um den genannten Betrag.
Genauer als "Frequenzänderung" wäre die Formulierung
"Abweichung von der Nennfrequenz" (50Hz in Europa)

Nichtsdestotrotz erachte ich die Ursachenanalyse von Herrn Stoll
als sehr plausibel und informativ.
Dr.-Ing. G. Uerlings

Dr.-Ing. R. Badent | Di., 29. April 2025 - 21:47

Antwort auf von Dr.-Ing. G. Uerlings

Es ist die Änderung der Frequenz gemeint und auch richtig, also Hertz / s. Und das ist auch nicht doppelt gemoppelt. Es ist, wie sie richtig ausführen, die Ableitung der Frequenz nach der Zeit. Die Frequenzänderung ist ein Maß für das Mißverhältnis zwischen Erzeugung und Verbrauch im Netz. Wenn der Verbrauch die Erzeugung übersteigt, wird kinetische Energie aus den Generatoren entnommen um dieses Mißverhältnis auszugleichen. Dadurch sinkt die Rotationsgeschwindigkeit der Generatoren, d.h. die Frequenz wird kleiner. Je größer das Mißverhältnis ist, desto schneller sinkt die Frequenz.

Hartmut Herr Raiser | Mi., 30. April 2025 - 10:43

Antwort auf von Dr.-Ing. G. Uerlings

1.) Ja.
2.). Ich denke, es ist tatsächlich die 1. Ableitung der Frequenz nach der Zeit gemeint. Also im Sinne einer Frequenz-Änderungsrate. D.h., die Frequenz sinkt kontinuierlich um 1.4 Hz pro Sekunde ab, was bei einem extremen Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch der Fall sein kann. Also eben nicht nur eine momentane Abweichung, wie es bei einem "Rauschen" der Fall ist.

Achim Koester | Mi., 30. April 2025 - 11:27

bedeutet das im Umkehrschluss, dass dafür eine hohe Wahrscheinlichkeit existiert, denn bei uns fehlen die frequenzstabilisierenden Kernkraftwerke vollständig, und die N-1 These funktioniert auch nur theoretisch.