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(picture alliance) Mehr als Limo: Club-Mate, ohne die kein Parteitag abzuhalten ist

Club-Mate - Piratischer Lebenssaft

Es ist braun, klebt, sprudelt und schmeckt bitter auf der Zunge: Die Rede ist von „Club-Mate“, der hippen Tee-Limonade der Piratenpartei. Doch es geht längst nicht mehr nur um Genuss – für viele Piraten sind Mategetränke das ökonomische Äquivalent ihrer politischen Philosophie

Dienstagabend in Berlin-Kreuzberg, eine dunkle Kneipe mit bemalten Wänden: Piraten-Stammtisch im „Kinski“. Heide Hagen, blondgelockte Piratin, steht an der Bar. Heute hat sie Schicht, die Parteibasis betreibt das Lokal eigenständig, im Internet werden die Dienstpläne festgelegt. Es gibt ein Getränk, das die junge Frau immer wieder über den Tresen schiebt, die alkoholfreie Limonade „Club-Mate“. „Die kostet bei uns nur einen Euro, damit sich auch Studenten und ärmere Leute das leisten können“, sagt Hagen.

Egal ob bei Freizeittreffen, Parteitagen oder Fraktionssitzungen: Wenn die Piraten kommen, ist Club-Mate schon da. Wenn nicht, wird es in Kästen und Lieferwagen herangekarrt. Oder es droht das Drama: Als es im vergangenen Juli zu Lieferengpässen kam, gründete sich im Facebook die Selbsthilfegruppe „Matecalypse Now“.In der Berliner C-Base, einem Raumschiff-Club für Hacker, in dem sich die Partei 2006 gründete, richteten sich Fans eigenhändig einen Getränkeautomaten ein, an dem es nun auch die beliebte Brause gibt. Der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum nannte Club-Mate einmal „das Kultgetränk der Piraten.“

Doch woher kommt dieser Hype? Die Ursprünge der Limo gehen zurück bis in die zwanziger Jahre, zum alkoholfreien „Sekt-Bronte“. Damals brachte ein Geschäftsmann die Rezeptur aus Südamerika mit. Auf Umwegen gelangte sie 1994 dann an die kleine Familienbrauerei Loscher im bayerischen Münchsteinach. Die Zutaten: Mateextrakt aus dem Yerba-Tee-Strauch, den die Indios schon seit Jahrhunderten kennen, Zucker, Wasser und viel Koffein. [gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Mit Antworten auf die Frage, warum sich Club-Mate so gut verkauft, hält man sich in der Brauerei allerdings zurück. Ein gerissenes Vertriebskonzept? Nein. Eine ausgetüfteltes Verkaufsstrategie? Nichts da. Marketing, Anzeigen, TV-Spots? Fehlanzeige. „Wir machen mit Club-Mate keinerlei Werbung“, sagt Geschäftsführer Marcus Loscher. Er setze lieber auf die „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Doch wie soll das gehen?

Die Barfrau Heide Hagen glaubt es zu wissen: Club-Mate habe sich vor allem wegen des Koffeingehalts rasant in der Hacker-Szene verbreitet. „Für Nerds, die die ganze Nacht durchprogrammieren, ist es perfekt. Es wirkt schnell, hält wach, ist aber nicht so süß ist wie Coca-Cola.“ Außerdem sei es magenschonender.

Seite 2: Mier, das neueste Bier-Mischgetränk

Doch längst beschränken sich die Fans nicht bloß auf Club-Mate; Netzgemeinde und Piraten experimentieren mit immer neuen Variationen des Getränks. Der jüngste Trend seit Ende Februar: „Mier“, eine Mischung aus Mate und Bier – die nicht Koffein, sondern den auch im Kakao enthaltenen Wirkstoff Theobromin enthält. „Wegen des deutschen Reinheitsgebotes darf Mier aber nicht Bier heißen“, warnt Fabricio do Canto, Erfinder des Rezeptes.

Der Berliner Brasilianer mit Kopftuch sitzt in seiner Meta-Mate Bar im Szene-Kiez Prenzlauer Berg. Vor ihm eine Mateteekanne, die ähnlich wie eine Wasserpfeife aussieht. „In den Indio-Kulturen, bei den ‚Gauchos‘, hat Mate denselben Status wie eine Friedenspfeife. Es gibt keine Hierarchie, jeder hat die gleichen Rechte“, erklärt do Canto, „insofern passt das Getränk sehr gut zur Piratenpartei“. Anders als Club-Mate würden seine Matetee- und Mier-Erzeugnisse nicht in Mono-Plantagenkulturen geerntet, sondern im Urwald handgepflückt. Do Canto setzt sich für Nachhaltigkeit ein, mit dem Verein Regenbogenkinder war er auch schon in Indien tätig.

Wer Mier trinkt, nimmt auch Basisdemokratie zu sich: Bevor do Canto Mier bei einer Berliner Brauerei in Auftrag gab, ließ er über die Inhaltsstoffe auf der Online-Demokratieplattform „Liquidizer“ abstimmen. „Als nächstes wollen wir auch helles Bier und Mate-Limonaden auf den Markt bringen.“ Wobei das „auf den Markt Bringen“ bei do Canto ebenso unkonventionell verlief wie bei der Brauerei Loscher: „Irgendwann kamen hier zwei Jungs, haben zehn Kisten eingepackt, selbst Werbemittel hergestellt und das Mier ruck-zuck in mehreren Clubs verkauft.“ Mittlerweile rennen sie ihm die Bude ein; im Mai soll Mier in Brasilien eingeführt werden. Anfragen gebe es auch aus Irland, Serbien, der Türkei und den USA.

Seinen ökonomischen Erfolg will er jetzt auch politisch nutzen: Bei der Versammlung der internationalen Piratenpartei in zwei Wochen in Prag bewirbt sich do Canto um den Chefposten. Dabei könnte ihm auch helfen, dass er sein Bier-Mate-Getränk – ganz gemäß der Piraten-Philosophie – mit einer Creative-Commons-Lizenz versehen hat. Das heißt, jeder kann die Rezeptur einsehen oder zu Hause selbst ausprobieren.

Eine solche Heim-Mixerin ist etwa die 30-jährige Berliner Piratin Antje Jerichow. „Ich habe Mate-Tee schon mit Wodka versetzt oder mit Zitronengras, Zucker und dann aufgesprudelt.“ Das sei herrlich für Partys.

Seite 3: Abfüllung dank Schwarmfinanzierung

Auf der Webseite www.hacker.brau.se finden sich Dutzende Rezepte und Kaufhinweise – von „Mate Eigenbrause“, „Rio Mate“ über „Top Mate“ – das mit dem Hinweis „laktosefrei, glutenfrei, vegetarisch, vegan“ in Discount-Plastikflaschen vermarktet wird – bis hin zu „1337 Mate“.

Letztere spielt auf einen Geheimcode an, der in der Szene der Programmierer bekannt ist. Die Zahlen 1-3-3-7 stehen für die Buchstaben L-E-E-T. „Leet wiederum steht für Elite“, erklärt Claudius Holler, einer der Geschäftsführer der hippen Limonade aus Hamburg. „Wir haben uns sehr gewundert, warum die Club-Mate-Hersteller keinen Kontakt zu ihrer Zielgruppe aufnehmen, in der Hackerszene und im Social Web werben“, erklärt der studierte Grafikdesigner. „Da dachten wir, das können wir doch besser.“

Holler und sein Bruder Daniel Plötz haben Leet Mate – die ebenfalls unter Creative Commons lizenziert ist – auf Twitter und Facebook vernetzt. Sie beschreiben jeden Produktionsschritt auf ihrem Blog, auch die Pannen. Transparenz pur. „Traditionelle Werbung schießt meistens am Ziel vorbei“, erklärt Holler, „sie ist teuer und die Kunden fühlen sich veralbert. Stattdessen bauen wir eine persönliche Beziehung zu unseren Kunden auf und lassen sie mitbestimmen“.

Mit Erfolg: 2011 setzten sie 70.000 Flaschen ab. Als das Geld für die nächste Abfüllung einmal knapp wurde, baten die Leet-Macher auf Twitter ihre Anhänger um eine Finanzierung. „Um 23 Uhr haben wir die Anfrage veröffentlicht und um zwei Uhr morgens hatten wir schon 30.000 Euro zusammen.“ Mit dem Crowd Funding – also der Schwarmfinanzierung – wollen sie jetzt langfristiger planen und Nutzer zu Mitbesitzern zu machen.

Doch Mate muss nicht nur digital sein. Allein die analoge Präsenz von Piraten ist schon ein Verkaufsförderer. So etwa im durchbürokratisierten Berliner Abgeordnetenhaus: Im Oktober, kurz nach ihrem Einzug in den Landtag, setzten die Piraten dort die erste „Revolution“ durch, wie Fraktionschef Baum es nannte. Club-Mate gibt es dort jetzt auch in der Kantine.

Fotos: picture alliance

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