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(picture alliance) Michail Prochorow bei einem Spiel seines Basketball-Teams

Michail Prochorow - Machtspiel gegen den Kreml verloren

Der Oligarch Michail Prochorow hat die politische Machtprobe mit dem Kreml verloren. Ganz aufgegeben hat er seine politischen Ambitionen aber nicht

Bis zum Juni dieses Jahres hat Michail Prochorow das ganz normale Leben eines russischen Oligarchen geführt – die üblichen Milliardärsaccessoires wie schlossähnliches Privatanwesen, eigener Profisportverein, große Jacht und eine Insel im Indischen Ozean inklusive. Dann ließ er sich von der liberalen Partei „Rechte Sache“ überraschend zum Vorsitzenden wählen und verstieß damit zumindest auf den ersten Blick gegen das ungeschriebene erste Gebot des Verhaltenskodex für Oligarchen: Mischt euch nicht in die Politik ein, dann lassen wir euch bei euren Geschäften in Ruhe und bitten nur ab und zu um finanzielle Gefälligkeiten für den Staat. Spätestens seit der Verhaftung des Ölmilliardärs Michail Chodorkowski setzt der Kreml dies auch gnadenlos durch.

Auf den zweiten Blick war sein Eintritt in die Politik doch nicht so überraschend. Denn die russischen Medien betrachten Prochorows Vorstoß an die Spitze der „Rechten Sache“ als Inszenierung von ganz oben, da Prochorow lange Zeit exzellente Beziehungen zur Regierung Putin nachgesagt wurden. Die Strategie von Wladislaw Surkow, dem stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, sah für Prochorows Partei die Rolle einer Pseudo-Opposition vor, die ihre Wähler von echtem Widerstand gegen Putins Wahlverein „Einiges Russland“ abhalten sollte. Gleichzeitig sollte der gut aussehende Junggeselle den Putin-Wählern als verhasster Oligarch mit exotischen Vorschlägen präsentiert werden. Da passte es gut, dass Prochorow kurz nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden die Abschaffung des gesetzlich festgeschriebenen Acht-Stunden-Tages forderte. Seine Begründung: Leute, die mehr arbeiten wollten, könnten dann auch mehr verdienen. Der Plan des Kremls, eine ihm ungefährliche, etwas moderner anmutende Opposition zu schaffen, schien aufzugehen.

Umso überraschter zeigte sich das Moskauer Establishment dann Mitte September, als Prochorows politische Karriere nach zweieinhalb Monaten schon wieder vorbei war. Beim Parteitag der „Rechten Sache“ schloss ihn eine Mehrheit von regierungsnahen Delegierten kurzerhand aus der Partei aus. Surkow, einer der mächtigsten Vertreter des Systems Putin, hatte einfach den Stecker gezogen.

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Prochorow verließ daraufhin den Parteitag mit seinen Verbündeten, bezeichnete Surkow als „Puppenspieler“ und teilte mit, dass er als Marionette des Kremls nicht mehr zur Verfügung stehe. Er werde einen Termin mit seinem Ministerpräsidenten Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew vereinbaren, um zu „erzählen, wie alles passiert ist“. Die russische Boulevardzeitung verabschiedete ihn daraufhin von der politischen Bühne: „Auf Wiedersehen, unser geliebter Mischa. Wenn du so reich bist – warum bist du dann so dumm?“

Einen Tag später, am 16. September, sitzt Michail Prochorow in seinem überdimensionierten Moskauer Büro. Im Vorraum telefonieren vier Frauen unentwegt, über ihnen zeigen fünf Uhren Zeitzonen aus unterschiedlichen Teilen der Welt an. Die Sitzgruppe, in die sich der Zwei-Meter-Hüne gekauert hat, sieht für seine Statur unbequem klein aus. Der 46-Jährige in seinem blauen Designeranzug wirkt angespannt und nervös nach seiner Entmachtung. Ist das der Mann, der mit einem geschätzten Vermögen von 18 Milliarden US-Dollar derzeit den 32. Platz auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt belegt? Der Mann, der 2007 im französischen Skiort Courchevel wegen Förderung der Prostitution festgenommen wurde, nachdem er sieben junge Russinnen zum Feiern hatte einfliegen lassen? Zu den Vorwürfen bemerkt er damals: „Immer wenn wir Russen mal richtig feiern, heißt es gleich wieder, es sei eine Orgie.“

Jetzt in seinem Büro spricht er leise und schnell über „die globale Veränderung der Welt“. Deswegen habe er sich entschieden, die Führung seines Firmenimperiums an andere zu übergeben und sich stattdessen politisch zu engagieren. „Ich habe im Geschäftsleben viel erreicht“, sagt Prochorow. Die Aussage ist eine leichte Untertreibung. Seine Unternehmensgruppe Onexim ist an den wichtigsten russischen Gold- und Aluminiumproduzenten beteiligt, auch Banken, ein Zeitungsverlag und seit kurzem ein Automobilhersteller gehören zu seinem Firmenimperium. Außerdem gehört dem Präsidenten des russischen Biathlonverbands eine Mehrheitsbeteiligung des amerikanischen NBA-Basketballteams New Jersey Nets.

Politische Ambitionen wurden ihm schon früher nachgesagt. Ein ehemaliger Mitarbeiter erzählt, Prochorow habe lange Zeit mit der Idee geliebäugelt, den damaligen Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow zu beerben, sich aber vergeblich um dessen Gunst bemüht. Prochorow selbst klingt immer etwas zu pathetisch, wenn er seine Motivation für den Einstieg in den Politikbetrieb begründen soll: „Als Geschäftsmann können Sie nur begrenzt beeinflussen, was in Ihrem Land passiert.“ Dabei werde Russland von der „neuen Weltordnung“ bedroht, in der alles miteinander zusammen- und voneinander abhänge. Es sei dringend notwendig, in den kommenden 20 Jahren eine Billion Euro an Auslandsinvestitionen in seine Heimat zu locken. Im größten Land der Welt ginge es darum, „globale Fragen mitzugestalten“. Inwiefern der Goldmagnat dazu fortan als Unternehmer oder als Politiker beitragen will, lässt er einen Tag nach seiner schweren Niederlage offen. Wahrscheinlich weiß er zu diesem Zeitpunkt selbst nicht, ob es für ihn überhaupt noch eine weitere Chance in der russischen Politik geben wird.

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Die Frage, warum der Kreml Prochorow die Macht über seine Partei wieder entzogen hat, beantwortet die Zeitung The Moscow Times, indem sie einen ehemaligen Parteigenossen Prochorows zitiert: Angeblich wollte der Oligarch für die „Rechte Sache“ werben, indem er Parteileute in orangefarbenen Zelten kampieren ließ – à la orangefarbene Revolution in der Ukraine. Ein rotes Tuch in den Augen des Kremls. Womöglich also wurden die Auftritte des schillernden Unternehmers der Staatsmacht doch zu bunt, die Marionette zu unabhängig von den Puppenspielern.

Dabei liegen Prochorow und Putin in Bezug auf ihr sehr eigenes, russisches Demokratieverständnis dicht beieinander. Die Partei führte der Oligarch während seiner kurzen Amtszeit, als wäre sie ein Teil seines Unternehmens. Wie er früher zur Sanierung eines maroden Staatsunternehmens Leute entließ, schloss er nach Streitigkeiten mit Petersburger Parteivertretern den dortigen Ortsverband kurzerhand aus der Partei aus. Neuaufnahmen von Mitgliedern ordnete er notfalls von ganz oben an.

Prochorows Handy klingelt. Er springt auf und verschwindet hinter einer Tür. Putin oder Medwedew melden sich nicht mehr am anderen Ende der Leitung. Einige Tage später wird ein Regierungssprecher erklären, dass Putin Prochorow bis auf Weiteres keine Audienz gewähre. Außerdem wird bekannt, dass er aus der Modernisierungskommission des Präsidenten ausgeschlossen wird. Wieweit der Arm des Kremls reicht, muss Prochorow feststellen, als die Bauarbeiten für die Straße zur Fabrik des Hybridautos „Yo-Mobil“ bei Petersburg plötzlich stillstehen, das Onexim zusammen mit dem Lastwagenhersteller Jarowit entwickelt. Dabei hatte sich Ministerpräsident Putin noch im April höchst selbst in eines der Zukunftsgefährte gesetzt, das auch auf der diesjährigen Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt zu sehen war.

Direkte Kritik an Putin und Medwedew hat Prochorow bisher nicht geäußert. Auf Nachfrage spricht er über den Kampf der „Modernisierer“ und der „Bewahrer“ im Kreml, der Russlands Entwicklung blockiere. Einige Tage nach dem Gespräch in seinem Büro schreibt Prochorow in seinem Blog, er habe inzwischen einige Illusionen verloren. „In dieser historischen Etappe haben die Bewahrer gewonnen. Ich wollte anderes.“ Was genau aber wollte er? 

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Jahrelang hat Prochorow die Nickelindustrie und die Goldindustrie Russlands geprägt. Er erzählt von „ineffizienten Strukturen“ und davon, dass es in der Rohstoffindustrie zu viele Monopole gibt. Von Korruption redet er nicht, und man merkt: Gerade in der russischen Rohstoffindustrie gilt: Schweigen ist Gold. Auf die Frage nach seinem früheren Plan, sein Unternehmen Polius Gold, den größten Goldförderer Russlands, mit einem internationalen Konkurrenten zu fusionieren, antwortet er ausweichend: „Meine Mitarbeiter verfolgen das.“

Den Grundstock seines Vermögens hat der Sohn eines Sportfunktionärs und einer Chemikerin mit dem Verkauf gefälschter Markenjeans verdient, denen er in einer Moskauer Wäscherei einen Stone­washed-Look verpasste.

Vor der Wende hatte Prochorow an einer Moskauer Kaderschmiede Finanzwissenschaften studiert. Mit 28 Jahren stieg er ins Bankgeschäft ein, zunächst bei einer staatlichen Bank. In dieser Zeit begegnete er Wladimir Potanin. Die beiden gründeten eine eigene Bank, die von dem Zusammenbruch des russischen Finanzwesens nach dem Zerfall der Sowjetunion erheblich profitierte. Der entscheidende Coup gelang, als er sich gemeinsam mit Potanin die Mehrheit an dem Nickelproduzenten MMC Norilsk Nickel in Sibirien sicherte, heute dem größten Hersteller von Nickel und Palladium weltweit. Prochorow restrukturierte den Konzern vor Ort. Umweltschutz stand dabei nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste. Laut dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Times gehört die Umgebung der Produktionsstätten von MMC Norilsk Nickel noch vor Tschernobyl zu den ökologisch am stärksten verseuchten Regionen weltweit.

Die Trennung von Potanin war eine Folge des Skandals in Courchevel und für Prochorow die lukrativste Scheidung aller Zeiten. Im April 2008 verkaufte er seine Anteile an MMC Norilsk Nickel – gerade rechtzeitig: Acht Monate später sank deren Wert im Zuge der Finanzkrise um mehr als zwei Drittel.

Inzwischen scheint er auch sein politisches Sendungsbewusstsein zurückgewonnen zu haben. Mitte Oktober sagte er bei einer Rede vor russischen Studenten: „Ich kehre in die Politik zurück, sobald die Zeit reif ist für jene Veränderungen, die Russland dringend braucht.“ 

Vanessa de l’Or ist freie Journalistin und lebt in Berlin

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