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(picture alliance) "Finanztransaktionssteuer jetzt!" steht auf dem Schild, das eine Teilnehmerin einer Protestaktion von Attac vor dem Reichstagsgebäude in Berlin

Europäische Union - Kommt jetzt die EU-Finanz-Transaktionssteuer?

Die SPD und die Grünen wollen sie, der Bundesfinanzminister wirbt dafür, neun der 27 EU-Länder stehen hinter ihr - doch trotzdem gibt es schier unüberwindliche Hindernisse für die Einführung der Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene

Die SPD beharrt auf der Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer als notwendige Voraussetzung, um dem EU-Fiskalpakt in Bundestag und Bundesrat zustimmen zu können. „Solange die Finanztransaktionssteuer blockiert wird, kann die SPD einem Fiskalpakt nicht zustimmen“, beschloss der SPD-Parteivorstand am Montag und forderte die Bundesregierung auf, „ihren Widerstand gegen eine sinnvolle Besteuerung der Finanzmärkte aufzugeben“. Zu deutsch heißt das: Schaffen es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht, in den kommenden Wochen den Widerstand auf europäischer Ebene (vor allem in London) und in der FDP gegen die Steuer aufzubrechen, will die SPD dem europäischen Pakt nicht zustimmen, für den die Bundesregierung in Bundestag und -rat eine Zweidrittel- Mehrheit benötigt.

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Für die Bundesregierung wäre ein Scheitern des Fiskalpaktes, der vor allem auf Druck Deutschlands zustande gekommen ist und über den am 15. Mai im Bundestag abgestimmt werden soll, eine schwere Schlappe. Dass es Merkel, die sich selbst für die Steuer (notfalls auch im Kreis nur von 17 Euro-Ländern) ausgesprochen hat, dazu kommen lässt, ist nicht vorstellbar. Allerdings sind ihr bei der Erfüllung der Forderungen der SPD die Hände gebunden. Denn ganz gleich, ob sich Union und FDP über Art und Ausführung der Steuer einig sind oder nicht (sie sind es derzeit nicht): Ohne eine europäische Einigung wird es auf absehbare Zeit keine Steuer geben.

Darin jedoch steckt auch für die SPD die große Gefahr, Glaubwürdigkeit zu verspielen. Denn heute eine beinahe unerfüllbare Bedingung für die Zustimmung zum Fiskalpakt zu benennen, bedeutet quasi das „Nein“ im Bundestag Mitte Mai anzukündigen. Ein „Nein“ allerdings wäre mit dem europapolitischen Kurs der SPD nicht zu vereinbaren. Die SPD-Führung läuft also in das Dilemma hinein, schlimmstenfalls ihre Abgeordneten im Mai um Zustimmung zum Fiskalpakt bitten zu müssen – obwohl die Bundesregierung die Finanztransaktionssteuer nicht festgeschrieben und damit die Bedingung nicht erfüllt hat. Bei den bereits ins Auge gefassten Gesprächen mit allen Parteien könnte sich Steuer-Anhängerin Merkel allerdings auch mit der SPD verbünden – gegen die Steuer-Blockierer von der FDP. So ähnlich, wie es Vizekanzler Philipp Rösler vor ein paar Wochen bei den Allparteien-Gesprächen zur Suche nach einem gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten mit der SPD getan hat.

Lesen Sie im zweiten Teil, welche europäischen Länder sich noch für die Finanztransaktionssteuer stark machen

Fakt ist aber: Wolfgang Schäuble muss auf europäischer Ebene Verbündete finden, damit die Steuer überhaupt eingeführt werden kann. Mittlerweile klären sich unter den EU-Staaten im Streit um die Abgabe die Fronten: Schäuble hat gemeinsam mit den Ressortkollegen aus acht weiteren EU-Staaten einen Brief an die dänische Finanzministerin und EU-Ratsvorsitzende Margrethe Vestager verfasst, in dem die Unterzeichner auf eine Entscheidung über die Steuer auf Finanzprodukte bis Juli dringen. Neben Deutschland machen sich auch Spanien, Österreich, Belgien, Finnland, Portugal, Griechenland und Italien für die Finanztransaktionssteuer stark.

Zudem trägt das Schreiben die Unterschrift des französischen Finanzministers François Baroin, der im Ringen um die Abgabe als engster Verbündeter Schäubles gilt. Baroins Chef Nicolas Sarkozy hatte Ende Januar die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mit einem Satz von 0,1 Prozent des Umsatzes bei Transaktionen von Aktien oder Anleihen angekündigt. Dabei sollen Unternehmen erfasst werden, die ihren Sitz in Frankreich haben. Auch Sarkozys sozialistischer Gegenspieler François Hollande befürwortet die Abgabe; er will dabei nicht nur sämtliche Aktien- und Anleihegeschäfte belasten, sondern auch den hoch spekulativen Derivatehandel mit einbeziehen. Anders als Sarkozy erwägt Hollande keinen nationalen Alleingang, sondern will eine europäische Lösung.

Ob aus der „Koalition der Willigen“ mit Schäuble, dem Franzosen Baroin und ihren sieben Verbündeten tatsächlich ein mehr oder minder gesamteuropäisches Bündnis wird, könnte sich bereits beim heutigen Treffen der 27 EU-Finanzminister in Brüssel zeigen. Bereits Anfang November hatten die 27 Minister den Vorschlag der EU-Kommission für die Finanztransaktionssteuer erörtert, die eine Abgabe von 0,1 Prozent auf Aktiengeschäfte und von 0,01 Prozent auf Derivate vorsieht. Allerdings hat der Vorschlag der Kommission den Nachteil, dass er die Zustimmung aller 27 EU- Mitgliedstaaten erfordert. Angesichts britischen Widerstands gegen die Finanztransaktionssteuer ist das aussichtslos.

Die Debatte der EU-Finanzminister über die Finanztransaktionssteuer dauerte damals im November nicht länger als eineinhalb Stunden. Dann sprach der damalige polnische Ratspräsident Jacek Rostowski von einer „ehrlichen und offenen Diskussion“ – die diplomatische Umschreibung für den Streit unter den Ministern, die sich nicht über die EU-weite Einführung der Steuer einigen konnten. Vor allem Großbritannien und Schweden lehnten die EU-weite Einführung der Abgabe vehement ab. Wenn die EU-Finanzminister die Steuer am Dienstag wieder auf die Agenda nehmen, wollen sie weniger über technische Details sprechen, sondern nach einer politischen Einigung suchen. Aus EU-Kreisen in Brüssel heißt es jedoch, dass das Treffen wohl kaum mehr Klarheit darüber bringen dürfte, ob die Steuer zumindest im Kreis der 17 Euro-Staaten eingeführt werden kann, wenn sie schon nicht im Kreis aller europäischen Mitgliedstaaten durchsetzbar ist. „Für eine solche Entscheidung ist es noch zu früh“, heißt es in den Kreisen.

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