Gerhart Flothow ist Wirtschaftsmediator und auf Immobilienkonflikte spezialisiert.
Herr Flothow, wie gut geht es denn der deutschen Mittelschicht in Zeiten steigender Miet- und Immobilienpreise?
Die Themen Immobilienkauf und vernünftige Mieten sind auch für die Mittelschicht mittlerweile ein echtes Problem. Wenn öffentlich erklärt wird, dass Neubauwohnungen bei 18 Euro den Quadratmeter Miete liegen, dann ist das für breite Schichten der Bevölkerung unbezahlbar.
Zu den beliebtesten Politikerfloskeln gehört der Satz vom „reichen Deutschland“. Im europäischen Vergleich gibt es hierzulande aber vergleichsweise wenige Eigenheimbesitzer.
Das stimmt. Die Eigentumsquote liegt im europäischen Vergleich mit 42 Prozent weit unter dem europäischen Durchschnitt. Deutschland ist das Land der Mieter, nicht der Eigentümer. Eines der großen Probleme, die wir in Deutschland haben, sind die sehr hohen Grundstückspreise. Die machen Immobilieneigentum für viele Menschen unmöglich, weil die Entwicklungen der Grundstückspreise nicht durch Erwerbsarbeit kompensiert werden können. Das heißt: Während in den 70er Jahren ein 500-Quadratmeter-Grundstück der Normalfall war, ist Immobilieneigentum in deutschen Ballungsgebieten heute oft nicht einmal mehr für ein Ärztepaar mit zwei Erwerbseinkommen finanzierbar.
Sie sind als Wirtschaftsmediator auf Immobilienkonflikte spezialisiert. Was sind denn so klassische Fälle, mit denen Sie zu tun haben?
In der Corona-Zeit hatte ich viel mit Gaststätten zu tun, die ihre Miete nicht mehr zahlen konnten. Da hat der Vermieter dann zwei Möglichkeiten: Entweder er lässt die Gaststätte räumen. Dann hat er das Risiko, dass er keinen neuen Pächter findet. Oder man erzielt eine Einigung zwischen Vermieter und Pächter. Ein weiterer typischer Fall sind Scheidungen. Wer bekommt das Haus? Und inwiefern ist es überhaupt möglich, den anderen auszuzahlen, ohne bis ans Lebensende verschuldet zu sein? Da reden wir schnell von Beträgen in Höhe von 300.000 Euro und in den Ballungsgebieten häufiger noch mehr.
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Und dann natürlich die Frage bei erwachsenen Kindern, wer das Elternhaus übernimmt und wie andere Geschwisterteile ausgezahlt werden. Bei einem Haus aus den 70er Jahren zum Beispiel haben sie ja nicht nur den gestiegen Immobilien- und Grundstückspreis, sondern müssen es häufig auch noch von oben bis unten sanieren: von der Küche bis zum Wärmeschutz. Das Problem ist, dass die enormen Wertzuwächse erstens nicht durch Erwerbseinkommen bezahlbar sind und zweitens nicht zu mehr Liquidität führen. Der Geldautomat gibt Ihnen wegen Ihres Immobilienbesitzes nicht einen Cent mehr.
Wie gehen Sie an solche Konflikte heran?
Also grundsätzlich ist es so, dass ich immer versuche, bei allen Konflikten rauszubekommen, was den Menschen wirklich wichtig ist. Man denkt immer, dass das auf der Hand liegt. In den allermeisten Fällen ist das aber nicht der Fall. Deshalb gehe ich mit Konfliktparteien normalerweise im Wald spazieren. Das mag auf den ersten Blick etwas absurd anmuten. Aber nach zwei oder zweieinhalb Stunden erzählen die Menschen dann ganz von alleine, was ihnen wirklich wichtig ist. Das kann das Bild im Wohnzimmer sein oder der Oldtimer in der Garage. Bei Kindern, die Immobilien erben, ist es dann häufiger auch so, dass sich das eine Geschwisterteil verglichen mit dem anderen von den Eltern ungerechter behandelt gefühlt hat. Im Gespräch stellt sich dann heraus, dass das andere Kind aber genauso denkt. Als Mediator ist die wichtigste Aufgabe also, emotional abzuräumen.
Das heißt, ein Erbstreit ums Elternhaus ist häufig Ausdruck gekränkter Eitelkeiten?
Das ist der eine Teil. Der zweite Teil ist üblicherweise der emotionale Bezug zum Elternhaus als Erinnerungsort der eigenen Kindheit. Das Gute an der Rolle des Mediators ist, dass er allparteilich, also neutral ist. Das macht es leichter, die möglichen Szenarien mit den Konfliktparteien durchzuspielen. Also: Was bedeutet das wohl für deinen Bruder, wenn er einen Kredit aufnehmen muss, um bei einem Grundstückswert von einer Million Euro zwei Mal 300.000 Euro an seine Geschwister auszuzahlen und obendrauf noch horrende Sanierungskosten hat? Wie soll er die 4000 Euro Monatsrate für den Kredit überhaupt zurückzahlen? Wenn der betroffene Bruder das selbst sagt, glaubt ihm das häufig keiner. Da hilft es, das von einem neutralen Mediator zu hören.
Die Kernidee der eigenen vier Wände ist ja, sich ein Haus oder eine Wohnung zusammenzusparen mit dem Effekt, dass man einen Altersitz hat und seinen Kindern anschließend etwas mit Substanz hinterlassen kann. Was sind denn die zentralen Hürden auf dem Weg zum Traum vom Eigenheim heute? Also mal abgesehen von den Entwicklungen der Grundstückspreise an sich.
Wir haben in den 70er Jahren noch wirklich gut verdienenden Menschen mit steuerlichen Anreizen geholfen, ins Eigenheim zu kommen. Diese Anreize der 70er Jahre sind alle faktisch auf null mittlerweile. Sie können in Deutschland zwar noch eine Eigenheimzulage bekommen, wenn Sie zum Beispiel ein Haus kaufen für 500.000 Euro, aber weniger als 3000 Euro brutto im Monat verdienen.
In den 70er Jahren haben aber noch alle Menschen diese Eigenheimzulage erhalten. Da gab es auch sonst einige steuerliche Förderprogramme für Familien rauf und runter. Auch die gibt es faktisch alle nicht mehr. Gleichzeitig hat der Staat die Grunderwerbsteuer deutlich erhöht. Die liegt je nach Bundesland zwischen fünf und sieben Prozent mittlerweile. Das heißt, wenn Sie eine Immobilie im Wert von 500.000 Euro kaufen, müssen Sie allein 25.000 Euro oder mehr Grunderwerbssteuer zahlen. Überlegen Sie mal, wie lange ein normaler Arbeiter arbeiten muss, um 25.000 Euro Vermögen anzuhäufen. Das ist für viele Menschen sehr viel Geld.
Wir haben in vielen Teilen Deutschlands akuten Wohnungsmangel, insbesondere bei bezahlbarem Wohnraum. Wäre es nicht sinnvoll, in Zeiten wie diesen alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen ins Eigenheim zu bringen? Das würde auf dem Mietmarkt doch massiv Druck vom Kessel nehmen, oder? Gleichzeitig geschieht aber offenbar genau das Gegenteil.
Es ist zu 100 Prozent richtig, was Sie sagen. Daran zeigt sich übrigens, dass viele öffentliche Diskussionen um Wohnraum und Wohneigentum nichts mit der Realität zu tun haben. Wir haben seit 1994 zwei Drittel der Sozialwohnungen abgebaut. Gerade so, als gäbe es in Deutschland kaum noch Sozialfälle. Gleichzeitig haben wir aber fast die niedrigste Eigentumsquote in ganz Europa. Wer ein Eigenheim hat, der braucht aber keine Sozialhilfe im Alter. Der kann sein Immobilieneigentum notfalls auch verkaufen.
Was wäre also zu tun?
Eigentlich müssten wir – wie in den 70er Jahren – ein Programm auflegen mit dem Ziel, dass möglichst viele Menschen im Eigentum wohnen; wenigstens 60 Prozent statt 42. Aber bringen Sie als Politiker heute mal ein Förderprogramm auf den Weg, das dazu führen soll, dass beispielsweise in München – wo Sie leben – mehr Menschen in Eigentum kommen und sei es nur in eine Drei-Zimmer-Wohnung. Dann wird man Ihnen vorwerfen, Sie würden „die Reichen“ subventionieren. Dabei können Sie doch überhaupt nichts dafür, dass die Immobilienpreise sind wie sie sind. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt bei der Sache …
… bitte.
Erinnern wir uns an Grünen-Politiker Toni Hofreiter, der einmal behauptete, ein Eigenheim würde Wohnraum zerstören und sei überhaupt ökologisch fragwürdig. Dafür gab es sogar Unterstützung von der Union.
Ist diese Argumentation nicht Unsinn? Wenn die Menschen wegen des überhitzten Mietmarktes aus den Ballungsgebieten abwandern, um dann mit dem Auto jeden Tag zig Kilometer in die Arbeit zu fahren, dann ist das doch weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll.
Nicht nur das. In der Zeit, in der ich im Auto zur Arbeit sitze, kann ich zum Beispiel meiner Tochter nicht bei den Hausaufgaben helfen. Das muss man schon so deutlich sagen: Eltern haben auch Verpflichtungen. Ich glaube, dass wir einfach das Problem haben, dass das Thema Wohnungsbau immer wieder ein Modethema ist. Es geht in Wellen rauf und geht in Wellen runter. Wir haben 1994 die Wohnungsnot in Deutschland bereits für beendet erklärt. Auch deshalb ist die Zahl der Baugenehmigungen seit 1994 jedes Jahr rückläufig. Und heute kriegen wir die nötigen Wohnungen nicht mehr gebaut, weil das Thema über Jahre vernachlässigt wurde. Wir haben ja nicht einmal mehr die nötigen Baumaterialien. Da kann man schon verstehen, dass selbst ganz normale Menschen aus dem Mittelstand verärgert sind.
Interessant ist gleichwohl, dass der Narrativ extrem populär ist, „Immobilienhaie“ seien schuld an der Misere. Bei näherer Betrachtung lässt sich aber feststellen: Nein, die politischen und behördlichen Rahmenbedingungen sind das Problem. Erstickt der Traum vom Eigenheim gerade auch an zu viel Bürokratie?
Wir haben tatsächlich Baubehörden, die gar nicht darauf ausgelegt oder unzureichend geschult sind, dass wir eine aktive Bautätigkeit hinbekommen. Folgendes Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Jemand besitzt ein Mehrfamilienhaus mit einem Hinterhof. In diesem Hinterhof ließe sich weiterer Wohnraum schaffen, zum Beispiel ein Studentenwohnheim. Die Baugenehmigung wurde nicht erteilt und dem Antragsteller vorgeworfen, er wolle damit doch nur Geld verdienen. Als wäre das an und für sich schon unredlich.
Mal abgesehen davon, dass jede Immobilie, in der irgendjemand wohnt, irgendwem gehört, der damit Geld verdient.
Absolut.
Bleiben wir also bei jenen Immobilien, die bereits existieren. Viele Bestandsimmobilien liegen in den schlechtesten Effizienzklassen. Doch wenn wir die Klimaziele, wie von der Politik gewollt, erreichen wollen, werden wir die CO-Emissionen auch beim Wohnen drastisch reduzieren müssen. Haben die meisten Immobilienbesitzer denn überhaupt ausreichend finanzielle Mittel auf der Seite, um ihr Wohneigentum durch Umbaumaßnahmen auf Klimakurs zu bringen?
Nein, haben sie nicht. Wir haben in Deutschland zum Beispiel neun Millionen Eigentumswohnungen in etwa 1,8 Millionen Wohnungseigentümergemeinschaften. Von denen haben 90 Prozent nicht ausreichend Rücklagen für die normalen Sanierungen, also für das Standardprogramm. Das ist, was die Immobilien betrifft, nicht anders. Ein Drittel unseres Wohnungsbestandes wurde vor 1945 gebaut. Diese Immobilien sind von der ganzen Konzeptionierung her gar nicht darauf ausgerichtet, dass man sie dahin entwickeln könnte, wo man sie heute haben will. Beginnend bei der Frage, wo man die Wärmepumpe überhaupt hinstellen soll. Es gibt bei mir in Mainz ganze Gebiete, wo kleine Häuser mit 110-Quadratmeter-Grundstück stehen. Das sind Gärten, da können Sie mit Mühe und Not ein paar Gartenmöbel hinstellen. Soll man jetzt das Wohnzimmer für neue Technik aufgeben oder das Kinderzimmer? Es würde wohl auch niemand ernsthaft vorschlagen, diese Immobilien aus dem Bestand zu nehmen.
Da kann ich eine Anekdote aus dem Bekanntenkreis beitragen. Ein Bekannter hat sich kürzlich ein kleines Reihenhaus gekauft und sich im Zuge der Wärmepumpen-Diskussion mal informiert, was das für ihn bedeuten würde. Mit dem Ergebnis, dass er – um die Abstände zum Gehweg und zum Nachbargrundstück einzuhalten – die Wärmepumpe mitten in den Garten stellen müsste. Spielraum nach links und rechts: unter 50 Zentimeter.
Über die Ästhetik kann man jetzt streiten, aber Wärmepumpen können auch eine Lärmquelle darstellen. Der zweite große Teil der Bestandsimmobilien sind übrigens aus den 60er und 70er Jahren und leiden schon heute unter Sanierungsstau. Es ist schon schwierig genug, das zu finanzieren; für den Normalverdiener fast unmöglich. Die wenigsten Hausbesitzer haben irgendwo noch 200.000 Euro rumliegen. Das meiste Vermögen ist in der Immobilie gebunden.
Jetzt setzt sich manch Politiker in eine Talkshow und sagt: Gut, dann müssen die Hausbesitzer halt einen Kredit aufnehmen. Wie einfach ist das denn heute noch, einen Kredit für Sanierungsarbeiten am Eigenheim zu bekommen?
Ein Kredit ist kein Problem, wenn man so viel Geld hat, dass man keinen braucht. Damit sind 90 Prozent der Leute schon raus.
Kommen eigentlich vermehrt Erben zu Ihnen und sagen: Wir wollen unsere geerbten Immobilien lieber verkaufen, damit wir nicht in finanzielle Schwierigkeiten kommen?
Ich habe da einen aktuellen Fall: Nachkommen haben zwölf Immobilien geerbt. Und die sagen zu mir: Verkaufen Sie die bitte alle, denn das Fass wollen wir gar nicht erst aufmachen. Es handelt sich um Immobilien, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen, von der Wärmedämmung bis zur Fassade. Da ist der Seelenfrieden wichtiger als der Immobilienbesitz. In einem anderen Fall haben Nachkommen Immobilien geerbt, müssen aber schon für die Beerdigungskosten einen Kredit aufnehmen.
Die Krux scheint mir folgende zu sein: Wenn sich Menschen ihre geerbten Immobilien nicht mehr leisten können, kommen wir doch zunehmend in die Situation, dass tatsächlich nur noch Immobilieninvestoren über die nötigen finanziellen Mittel verfügen für Immobilienbesitz. Das klingt für mich nach einem Teufelskreis.
Das ist ein Teufelskreis, ja. Auch, weil Investoren den Vorteil haben, dass sie über Jahre Immobilien eingekauft haben und deshalb über stille Reserven verfügen. Insofern läuft die aktuelle Wohnungspolitik darauf hinaus, dass immer mehr Investoren über Immobilienbesitz verfügen.
Und die Mieten steigen weiter.
Und die Mieten steigen weiter, ja.
Ist der Traum vom Eigenheim also langsam, aber sicher ausgeträumt?
Ich gehe davon aus, dass etwa ein Drittel der Menschen, die vor einiger Zeit noch von einem Eigenheim träumen konnten, ihren Traum mittlerweile beerdigen mussten.
Und die restlichen zwei Drittel folgen dann in den nächsten Jahren?
Da werden noch einige mehr folgen, ja. Und wenn auch nur dahingehend, dass sie etwas anderes kaufen als ursprünglich geplant. Also eine Drei-Zimmer-Wohnung statt einer Doppelhaushälfte zum Beispiel.
Letzte Frage. Mal angenommen, ich habe Geld auf der Seite, um mir eigenen Wohnraum leisten zu können. Sollte ich dann lieber was im Ausland kaufen?
Nein. Also natürlich können Sie sich ein Haus in Spanien kaufen, wofür es sehr gute Gründe gibt. Das Wetter zum Beispiel. Aber das Absurde ist ja: Wenn Sie heute eine Immobilie kaufen, dann ist das aufgrund der Parameter, die die deutsche Politik setzt, langfristig eine todsichere Investition. Das Allerwichtigste ist, dass Sie eine Nummer kleiner kaufen statt größer.
Also eher Zwei-Zimmer-Wohnung statt Reihenhaus.
Oder Drei-Zimmer-Wohnung statt Reihenhaus. Das Einzige, was ihre Kette beim Vermögensaufbau dann noch reißen lassen könnte, sind Liquiditätsengpässe. Aber auf 30 Jahre gesehen, ist Ihnen der Vermögenszuwachs sicher.
Das Gespräch führte Ben Krischke.
Cicero-Podcast mit Hans Kollhoff: „Die Stadtplanung, das war das Elend“