
- Nach dem Deal ist vor den Details
Der Brexit-Deal zwischen der EU und Großbritannien ist wenige Tage alt, und Boris Johnson kann sich Zuhause als Sieger feiern lassen. Denn trotz aller Hindernisse und Diskussionen konnte er liefern. Auch, wenn die Themen damit keinesfalls vom Tisch sind: Der Premierminister hat sich neue Chancen erspielt.
Die Hauptbotschaft, die an Heiligabend bei den Briten ankommen sollte, twitterte Boris Johnson um kurz nach vier Uhr nachmittags: „The Deal is done.“ Dazu ein Foto von sich in Siegerpose. Am Tisch sitzend vor einem Telefon-Konferenz-Gerät, aus dem eben noch Ursula von der Leyen gequasselt haben muss, wie so oft in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten. Johnson reckt seine Arme, beide Daumen zeigen nach oben.
The deal is done. pic.twitter.com/zzhvxOSeWz
— Boris Johnson (@BorisJohnson) December 24, 2020
Und tatsächlich hat der britische Premierminister damit geliefert. Der Brexit wird mit dem 1.Januar 2021 endgültig Realität – und zwar mit einem Handelsabkommen, dessen Bestimmungen auf mehr als tausend Seiten nachzulesen wären, wenn sich denn einer die Mühe machen wollte. Ausgerechnet die Fischer murren tatsächlich schon: „Boris Johnson sold us down the river – again“. Und der Deal muss auch noch von allen Staaten ratifiziert werden.
Dennoch überwiegt aktuell die Erleichterung. Am Ende eines langen Meinungsbeitrags zum geschlossenen Abkommen schrieb David Henig, der Direktor des „UK Trade Policy Project“ beim unabhängigen Thinktank „European Centre for International Political Economy“ (ECIPE) darum auch, worauf es vielen gerade ankommt: „But for the first time in five years we have something approaching stability, and the likelihood of the issue disappearing from front pages. For which we should all be welcome.“
Sieger oder Besiegter?
Die britischen Zeitungen, maßgeblich der Boulevard, zeigen Johnson als Sieger einer historischen Verhandlungsschlacht, die vier Jahre nach dem Brexit-Referendum von 2016 beendet scheint. Und eben darauf kommt für den Premier an: Wer in der Politik das Narrativ beherrscht und zu den eigenen Gunsten drehen kann, der bleibt an der Macht, der kann gestalten, der kann weitermachen. Diesbezüglich kann es ihm vorerst egal sein, wie bitter die Brexit-Deal-Pillen wirklich sind, die das Vereinigte Königreich schlucken muss.
Was die mehr als tausend Seiten unterm Strich offenbaren, ist: Großbritannien muss weitgehend auch weiterhin nach denselben Regeln spielen wie die Mitglieder der Europäischen Union. Die 27 verbliebenen Staaten schützen den Binnenmarkt. Und weil das Vereinigte Königreich die EU mehr braucht als umgekehrt, was schlicht an der Marktmacht liegt, die niemand ignorieren kann, blieb Johnson auch gar nichts anderes übrig. Nur darauf zu hoffen, wie es einst auch Theresa May beschwor, dass man als „Global Britain“ weltweit Mega-Deals mit großen Handelspartnern wird eintüten können, reicht in der Realität eben nicht aus.
Nach dem Deal ist vor den Deals
Dass das Thema Brexit und Brexit-Deal nun aus den Überschriften der Medien verschwindet, mag richtig sein. The Deal ist done. Aber die Folgen werden dort auch weiterhin auftauchen. Denn es gilt auch: The Damage is done. Zwar gibt das Handelsabkommen nun einen stabilen Rahmen vor. Aber immer wieder wird das wirtschaftliche und politische Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU27 zum Thema werden.
So ist das für das weitgehend post-industrielle Großbritannien wichtige Thema der Dienstleistungen noch gar nicht geregelt. In fünf Jahren, wenn die vereinbarten reduzierten Fangquoten endgültig auslaufen, wird es erneut zähe Verhandlungen geben müssen. Wenn Boris Johnson den jungen Briten auch weiterhin Auslandserfahrungen ermöglichen will und sein „besseres“ Erasmus-Programm schaffen will, braucht er auch hier Verhandlungen.
Das Narrativ des Dealmakers
Es wird ein Marathon für den Premier, bei dem er jedes Mal aufs Neue das Narrativ des großen Dealmakers wird bespielen müssen. Nach dem Deal ist vor den Deals. Johnson ist robust genug, dass man ihm das zutrauen kann. Es ist gut möglich, dass etwaige wirtschaftliche Folgen, die erst in ein paar Monaten oder Jahren zu spüren sein werden, von der Bevölkerung gar nicht als Folge des Brexits wahrgenommen werden. Auch das mag Johnson dann zwar einerseits nützen. Andererseits aber muss er sich nun alleine den harten Zahlen stellen.
Und daran messen die Menschen überall auf der Welt ihre Regierungen: Wachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand. Fortan wird aber kein UK-Premierminister mehr mit dem Finger auf die vermeintlich schädliche Mitgliedschaft in der Europäischen Union zeigen können. Diesen Alltime-Joker Brexit hat Johnson nun endgültig ausgespielt. Künftige Deals muss eine britische Regierung nun vor den Wählern selbst verantworten. Ob das gut gehen wird? History will tell.