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Gedankenexperiment - Deutschland ohne den Euro

Machen wir ein Gedankenexperiment. Schaffen wir den Euro ab. Schließlich gibt es mittlerweile eine Partei in Deutschland, die ihre Existenz genau mit dieser Absicht begründet. Und ganz allgemein nimmt die Euroskepsis in Deutschland zu. Deutschland muss sich also entscheiden.

Autoreninfo

Gustav Horn ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Er lehrt an den Universitäten Flensburg und Duisburg-Essen

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Schon der Beginn des Experiments ist bedeutsam. Verlassen die „Südländer“ den Euro oder verlässt Deutschland den Euro? Ersteres ist die Absicht der meisten Euro-Gegner in Deutschland; das ist erstaunlich und ein Problem. Wenn denn die Einführung einer gemeinsamen Währung aus deutscher Sicht ein Fehler gewesen wäre, warum sollen dann eigentlich diejenigen den Euro aufgeben, die dies nicht für einen Fehler halten, sondern nur eine andere Wirtschaftspolitik im Euroraum wollen? Das ist erstaunlich. Das Problem ist, es steht überhaupt nicht in der Macht Deutschlands, diesen Ländern den Euro zu entziehen. Will man also den Euro wirklich loswerden, bleibt nur der Weg des eigenen Austritts, und der soll nun gedanklich beschritten werden.

Nehmen wir an, Bundestag und Bundesrat beschließen mit großer Mehrheit, wahrscheinlich nur gegen die Stimmen der Grünen, den Austritt Deutschlands aus der Währungsunion. Gleichzeitig verkündet die Bundesbank, dass ab sofort eine neue Währung die Neo–DM zum Kurs von 1:1 zum Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt würde. Die Geldscheine und Münzen waren schon zuvor in aller Heimlichkeit gedruckt worden. Im Gegenzug erklärt die EZB, dass sämtliche TARGET-Forderungen der Bundesbank an das Eurosystem hinfällig seien, da sie das Eurosystem verlassen habe. Damit beginnt die Bundesbank ihre neue Tätigkeit mit einem riesigen Verlust. Ferner erklärt die EZB ihren sofortigen Umzug nach Paris.

An den Devisenmärkten wertet die Neo-DM schlagartig um 50% gegenüber dem Euro auf. Damit entwerten sich die deutschen Auslandsvermögen in Euro entsprechend. Die Anleger werden nervös; es kommt zu Finanzmarkturbulenzen mit massiven Kurseinbrüchen.

Die Bundesbank verkündet, sie strebe ein Inflationsziel von 1% an. Die Mehrheit der deutschen Ökonomen ist begeistert von dieser Demonstration für eine Stabilitätskultur. Die EZB erklärt, sie halte unverändert an ihrem Inflationsziel von etwa 2% fest. Die EZB verkündet zudem, dass sie ihre Politik der unbegrenzten Intervention für Staatsanleihen fortsetzt. Die im Euro verbliebenen Staaten kündigen mit sofortiger Wirkung den Fiskalpakt und legen gemeinsam ein Nachfrageprogramm auf, das vor allem den Krisenstaaten zu Gute kommen soll. Die Staatsverschuldung steigt dabei allerdings an. Zugleich schließen die verbliebenen Euro-Staaten einen neuen Währungspakt ab, in dem sich die Mitgliedstaaten verpflichten, keine Ungleichgewichte mehr zuzulassen. In der Folge dieser Beschlüsse kommt es zu einer weiteren Aufwertung der Neo-DM.

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Wenige Monate nach dem Austritt aus der Währungsunion meldet die Exportindustrie in Deutschland massive Auftragseinbrüche. Der Exportüberschuss Deutschlands nimmt deutlich ab. Binnen eines Jahres gleitet Deutschland in eine Rezession. Die Beschäftigung nimmt ab und die Arbeitslosigkeit steigt. Arbeitgeber und Politik plädieren für Lohnzurückhaltung, um die Effekte der Aufwertung für die Unternehmen zu mildern. Die nachfolgenden Lohnabschlüsse fallen entsprechend gering aus und führen zu realen Einkommensverlusten bei den privaten Haushalten, die Rezession in Deutschland verschärft sich. Die Staatsverschuldung beginnt merklich zu steigen.

Im verbliebenen Euroraum zeigen sich dagegen erste Erholungstendenzen vor allem in den Krisenländern. Zugleich kehrt allmählich das Vertrauen an den Finanzmärkten in die Stabilität des Resteuroraums zurück, und die Kapitalmarktzinsen sinken, während sie in Deutschland wegen des Kapitalabfluss in den Euroraum steigen. Zugleich wertet die Neo-DM nunmehr ab, aber auch nach längerer Zeit kommt Deutschland wegen der nunmehr höheren Zinsen und der durch die Schuldenbremse erzwungenen Sparpolitik kaum über eine Stagnation hinaus. Deutsche Exportunternehmen verlagern zudem zunehmend ihre Produktion vor allem ins Euro-Ausland, um sich gegenüber Währungsschwankungen zu schützen. Die Staatsverschuldung in den Euroländern nimmt hingegen ab. Soweit das Gedankenexperiment.

Was zeigt uns dieses Szenario? Erstens zeigt es die enormen wirtschaftlichen Risiken, die ein Ausstieg Deutschlands aus dem Euro für Deutschlands mit sich bringen würde; von den politischen einmal ganz zu schweigen. Zweitens, und dies ist als Erkenntnis vielleicht noch viel wichtiger, zeigt die hier skizzierte Reaktion in den verbliebenen Euroländern, dass nicht die gemeinsame Währung per se das Problem ist, sondern die falsche bzw. fahrlässige Politik, die in dem gemeinsamen Währungsraum betrieben wurde bzw. betrieben wird. Deren Korrektur würde den Euroraum denn auch stabilisieren.

Im Kern besteht der Fehler in der jahrelangen Nicht-Beachtung von Handelsungleichgewichten, die letztlich auf nationale Verletzungen des gemeinsamen Inflationsziels sowohl nach oben - von den Krisenstaaten - als auch nach unten - von den Überschussländern wie Deutschland - zurückzuführen sind. Am Ende des Tages hängt das Überleben der Währungsunion davon ab, ob die Mitgliedstaaten wirklich bereit sind, dieses gemeinsame Ziel gemeinsam zu verfolgen. Das impliziert aber, dass man die nationale Wirtschaftspolitik auch in den Dienst dieses Ziels stellen muss. Länder mit zu niedrigen Inflationsraten müssen ihre Wirtschaft stimulieren, die mit zu hohen, müssen sie bremsen. Eine Alternative wäre, dass mehr europäische Ausgleichsmechanismen geschaffen werden. Letzteres wäre sicherlich die nachhaltigere Strategie, aber dazu bedarf es erheblicher politisch –struktureller Veränderungen, die, selbst wenn sie politisch gewollt wären, zumindest kurzfristig nicht zu erreichen sind.

Eine solche Politik wäre zugleich eine Absage an wirtschaftspolitische Konzepte wie den neoliberalen Standortwettbewerb, die die deutsche Wirtschaftspolitik seit langem prägen. Diese Sichtweise ist sowohl empirisch als auch akademisch zunehmend diskreditiert. Das offenkundige Scheitern der Austeritätspolitik in den Krisenländern und die jüngsten Debatten um fehlerhafte wissenschaftliche Analysen sprechen eine beredte Sprache. Insbesondere ist eine solche Politik, die gerade auf das Unterbieten von anderen Mitgliedstaaten angelegt ist, mit einer Währungsunion souveräner Staaten und einem gemeinsamen Inflationsziel nicht vereinbar. Es ist daher auch kein Zufall, wenn die Protagonisten der Anti-Euro-Partei Ökonomen sind, die schon im Wahlkampf 2005 im Rahmen des „Hamburger Appels“ gefordert hatten, den neoliberalen Politikkurs zu verschärfen. Sie haben mittlerweile erkannt, dass eine solche Politik mit einer gemeinsamen Währung nicht vereinbar ist, und fordern daher – insofern völlig konsequent - die Abschaffung des Euro, um ihre  neoliberale Politik fortsetzen  zu können. Deutschland muss sich entscheiden.

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