Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()
Falls es keinen Gott gibt

Warum Leszek Kolakowski zu den großen Philosophen der Moderne zählt

Seit der Aufklärung ist die Kritik des Metaphysischen zentrales Möbelstück unseres geistigen Wohnzimmers. Kant vollzog die Grenzfestlegung unserer Erkenntnis, Hume und Feuerbach erinnerten uns an den Projektionscharakter der Religion, Marx enttarnte ihr politisches Wesen und seit Freud betrachten wir Gott immer auch als Vexierspiel unserer eigenen Psyche. Bei Nietzsches intellektuellem Mord an Gott sind wir mittelbare Komplizen geworden - größere oder kleinere, bewusste oder unbewusste, offen wollende oder innig leidende. Die große Kränkung der Moderne, das "Gott-ist-tot"-Postulat tragen wir jedenfalls mehrheitlich wie Wechselgeld unserer Sinngebung durchs Leben.

Inzwischen hat die Religionskritik freilich ihre eigene negative Theologie geschaffen. Beim Blick auf plötzlich wieder heiß diskutierte Populäratheisten, auf die Kontextualisten in der Tradition Wittgensteins oder die Dekonstruktivisten in der Nachfolge Nietzsches fragt man sich zusehends nach dem Grad der Absurdität, den man noch bereit ist zu akzeptieren. Jacques Derridas ambivalente Betrachtung, ja Legitimierung, des islamistischen Terrorismus zum Beispiel machte einer breiteren Öffentlichkeit klar, worin die ethische Problematik tief sitzender Relativität liegt. Sei es die These Paul Feyerabends ("Jede Theorie besitzt ihre eigenen Erfahrungen"), sei es die Behauptung Thomas Kuhns ("Befürworter entgegengesetzter Paradigmen üben ihre Tätigkeit in verschiedenen "Welten aus"), sei es die Habermas'sche Auflösung aller Haltungen in Diskurslagen oder Nietzsches dreistes Diktum ("Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen") - der areligiöse Relativismus hat tiefe Spuren im modernen Denken hinterlassen. Nur fragt man sich heute: zu welchem Zweck und mit welchen Folgen?

Wenn Platons "Politeia" auf den starken Staat hinauswill, René Descartes' "Cogito" auf eine provisorische Moral, der "Mehrwert" von Karl Marx auf den Klassenkampf, der "reine Akt" Giovanni Gentiles auf den Totalitarismus, wenn die "Falsifikationen" Karl Poppers auf die offene Gesellschaft, die "Gerechtigkeit" von John Rawls auf die liberale Demokratie abzielten - worauf zielt eigentlich der atheistische Relativismus ab? Trägt er letztlich nicht nur ein zerstörerisches Motiv in sich?

Kolakowski gibt eine Antwort. Er nimmt sich des Problems im Gestus eines versöhnlichen Vaters an, der die Gottesleugner ebenso versteht wie die Gläubigen. Der ewigen Suche des Menschen nach Gottheiten weist er freilich einen eigenen, hohen Wert zu. Dies sei nicht nur "funktional" oder "anthropologisch" oder "kulturell" oder "sozial" zu erklären, sondern eine erkenntnistheoretische Dimension an sich.

Er beschreibt Kierkegaards berühmten "Sprung" aus der Rationalität in den Glauben als kollektives Phänomen. Und er nimmt ihn ernst. Die "Rationalisierer" des Glaubens kämen mit all ihren Erklärungsversuchen dem heiligen Kern der Sache nicht näher. Kolakowski plädiert daher nach Jahrhunderten der Glaubensdiskussionen dafür, das "Gesetz des unendlichen Füllhorns" anzuerkennen. Wirklich ist für ihn eben auch, wonach Menschen sich wirklich sehnen.

Damit erweist sich Kolakowski als Pluralist im wahrsten Sinne des Wortes. Er zeigt die Grenzen der Denkschulen, von atheistischen bis religiös-dogmatischen auf und nimmt sie als Kompendium, das einem als Ganzes etwas mehr verrät über das Rätsel unserer Existenz. Der "Zusammenprall zwischen Heiligem und Profanem" sei letztlich unauflösbar. Der ewige Dualismus von Kontingenz und Transzendenz, Vernunft und Mythos, von ins Leben geworfener Evidenz und aus dem Leben entworfenem Sinn sei Tragödie und Schönheit des Lebens zugleich.

Kolakowski kommt mit seinem impliziten Bekenntnis zur Autorität des Heiligen der Position seines deutschen Philosophen Robert Spaemann nahe, der in der endlosen Spurensuche der Menschen ein Indiz dafür sieht, dass Spuren evident seien. Das Angenehme an der Lektüre von Kolakowski ist freilich, dass er den Leser nie bekehren will.

Er ist ein Vermittler, gerade weil er im antinomischen Denken eine Grundstruktur der Conditio humana erkennt. Darum gelingt es ihm - just über die Ablehnung aller Letztbegründungen - den Diskurs über das Letztbegründende offenzuhalten. Kolakowski nimmt gewissermaßen das Instrument des Relativismus wie einen Spiegel in die Hand, um den Atheisten die Grenzen ihrer eigenen Logik zu zeigen. Er nährt die Zweifel an den Zweifeln.

Insofern ist er ungeheuer modern und traditionswahrend zugleich. Ihm widerstreben Dogmen, politische, rationale wie religiöse. Da aber die rationalen Dogmen die Moderne diktieren, öffnet er mit seinem skeptischen Liberalismus ganz bewusst der Metaphysik ihr altes Tor. Das Dilemma der Moderne "Entweder Gott oder die Leere" beschreibt er dabei so brilliant, dass man im Zweifel lieber Gott wählt als die Leere.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.