Fachkräftemangel - Warum internationale Fachkräfte Deutschland verlassen

Deutschland verzeichnet eine hohe Abwanderung erfolgreich integrierter ausländischer Fachkräfte. Doch unsere Wirtschaft ist auf sie existenziell angewiesen. Im Gespräch mit Cicero erklärt der Arbeitsmarktexperte Bernhard Boockmann, worin wir künftig attraktiver werden müssen.

Deutsche Krankenhäuser könnten ohne ausländische Ärzte und Pfleger wohl schon jetzt kaum mehr überleben / picture alliance
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Professor Dr. Bernhard Boockmann ist Arbeitsmarktökonom und beschäftigt sich mit den Wirkungen von Arbeitsmarktpolitik und der Rolle von Bildung und Migration. Seit 2013 ist Boockmann wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW). Das Institut mit Sitz in Tübingen hat seine Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Internationale Integration und regionale Entwicklung, Arbeitsmärkte und soziale Sicherung sowie Unternehmensdynamik und Strukturwandel.  

Herr Boockmann, für Ihre Studie „Kontexte und Ursachen der Abwanderung ausländischer Fachkräfte aus Deutschland“ haben Sie in einer Online-Befragung 1885 Personen aus zehn Herkunftsländern befragt. Wie haben Sie den Begriff „Fachkraft“ definiert, und repräsentiert Ihre Studie auch die Motive für eine Auswanderung von Fachkräften aus verschiedenen Branchen? 

Für unsere Studie haben wir den Begriff der Fachkraft weit gezogen, also auch Personen befragt, die Helfertätigkeiten ausüben. Die Befragten kamen aus allen Branchen. Um die abgewanderten Fachkräfte außerhalb von Deutschland zu erreichen, haben wir unsere Befragung über die sozialen Medien durchgeführt. Die Ergebnisse der Erhebung sind deshalb nicht repräsentativ für alle abgewanderten Fachkräfte.  

In welchen Branchen arbeiten die Fachkräfte, die Sie befragt haben? 

Die Fachkräfte, die wir befragt haben, arbeiten mehrheitlich in der Dienstleistungsbranche (57%), im verarbeitenden Gewerbe arbeiten 22%, im Bau 18%. Das Schlusslicht bildet mit 3% die Landwirtschaft. 

Was sind Motive für die Einwanderung nach Deutschland? 

In sehr hohem Maße sind dies berufliche und finanzielle Gründe. Auch eine Ausbildung oder die berufliche Situation des Partners spielen eine große Rolle. Die Befragten nannten auch familiäre Gründe, den Wunsch nach Sicherheit und den Beruf des Partners als Motive für ihre Einwanderung nach Deutschland.  

Sie haben eine Studie zu den Hintergründen der Abwanderung durchgeführt. Was sind Ihre Erkenntnisse? Was machen wir falsch, wieso können wir ausländische Fachkräfte nicht halten? 

Wir haben in der Befragung gesehen, woran es oft scheitert. Erst einmal können wir festhalten, dass ausländische Fachkräfte nicht ausreichend sprachlich gefördert werden. Dann weisen unsere Behörden einen Mangel an interkultureller Kompetenz auf. Das gilt zwar nicht nur für Behörden, aber hier sind interkulturelle Kompetenzen besonders wichtig. Ausländische Fachkräfte wissen zudem oft nicht, wo sie Hilfe bekommen können, zum Beispiel auch bei der Bundesagentur für Arbeit. Für Ausländer, die im Helferbereich arbeiten, gibt es wenige bis gar keine Aufstiegsmöglichkeiten. Außerdem haben wir gesehen, dass vielen die Beratung im Kontext einer eventuellen Rückwanderung fehlt, beziehungsweise als Aufgabe nicht definiert ist.  

In welchen Bereichen punktet Deutschland bei ausländischen Fachkräften? Wo liegen unsere Stärken? 

Wir bekamen viele positive Rückmeldungen für die Bereiche Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, Gehalt und beim Schutz der Arbeitnehmerrechte. Das sind Bereiche, die ausländischen Fachkräften gefallen und in denen wir gut sind.  

 

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In Ihrer Studie halten Sie fest, dass Deutschland unter ausländischen Fachkräften als Transitionsland gilt. Also ein Land, in dem sie notwendige Bildungsabschlüsse erwerben, es allerdings nach erfolgreichem Abschluss verlassen. Wie können wir eine Abwanderung dieser hier qualifizierten Fachkräfte verhindern? Wie können wir die Verbundenheit dieser Fachkräfte gegenüber Deutschland stärken? 

Wir verwenden zwar diesen Begriff nicht, stellen aber fest, dass der Abschluss eines Bildungsgangs Auslöser einer Rückkehr ins Herkunftsland sein kann. Wir empfehlen daher, dass internationale Studenten am Ende des Studiums zu einem Verbleib in Deutschland motiviert werden. Hier sollten verstärkt Beratungs- und Vermittlungsbemühungen ansetzen. 

Schaffen beruflich ausgebildete Fachkräfte den Direkteinstieg in eine qualifizierte Tätigkeit? 

Das kommt grundsätzlich häufig vor, allerdings ist die Anerkennung der Berufsabschlüsse oft eine große Hürde. In manchen Bereichen ist die Anerkennung aber auch nicht wichtig. 64% der Befragten gaben an, dass der ausgeübte Beruf in Deutschland ihrer Qualifikation angemessen war, 27% waren nach eigenen Angaben überqualifiziert und 9% unterqualifiziert. 

Welche Rückmeldungen bekommen Sie zu der Orientierung nach der Ankunft in Deutschland? Was bereitet den Fachkräften aus dem Ausland Sorgen, wo brauchen sie Unterstützung? 

Die Befragten melden uns zurück, dass sie die bürokratischen Verfahren und Abläufe, etwa der Umgang mit Steuern, Sozialversicherung, GEZ, An- und Abmeldung bei den Meldebehörden, Krankenversicherung, Kindergeld oder Eröffnung eines Bankkontos als belastend empfinden. Das sind Bereiche, in denen sie auf Unterstützung angewiesen sind und die wir sowieso vereinfachen sollten.

Machen diese Fachkräfte in Deutschland Diskriminierungserfahrungen? 

Ja! Die Hälfte der Befragten gab an, während ihres Aufenthalts in Deutschland diskriminiert worden zu sein. Experten haben häufiger Diskriminierungserfahrungen (66%) gemacht als Beschäftigte in anderen Tätigkeitsniveaus. Befragte aus der EU (59%) oder außereuropäischen Drittstaaten (58%) machten häufiger Diskriminierungserfahrungen als Befragte aus europäischen Nicht-EU-Ländern.  

Welche Faktoren bestimmen die Länge des Aufenthalts in Deutschland? Sehen sie Unterschiede in der Verweildauer und in den Immigrationsmotiven von EU-Bürgern und Fachkräften, die nicht aus Europa stammen? 

Die EU-Freizügigkeit ist ganz wichtig, weil man ja jederzeit wieder zurückkommen kann, ohne ein Visum zu beantragen. Ansonsten bestimmen andere Faktoren die Verweildauer. Zum Beispiel der Grad der Bindung an Deutschland oder auch, ob man hier einen Bildungsabschluss erworben hat. Es zählen aber auch persönliche Umstände, zum Beispiel das Alter bei der Einwanderung.  

In Ihrer Studie zeigen Sie, dass zwei Drittel der ausländischen Fachkräfte nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Allerdings gilt Sprache als Weg zur Integration. Ist hier abzusehen, dass diese Fachkräfte kein Interesse an einem längeren Aufenthalt haben? Was sind die Gründe für das mangelnde Interesse an der deutschen Sprache beziehungsweise Kultur? 

Drei Viertel der von uns Befragten konnten vor der Zuwanderung nach Deutschland kein Deutsch oder nur auf einem Niveau wie A1/A2. Viele der Zugewanderten haben während ihres Aufenthalts in Deutschland ihre deutschen Sprachkenntnisse verbessert, aber nicht alle. Manche brauchen zum Beispiel in ihrem Beruf kein Deutsch und haben deshalb keine Motivation zum Lernen der Sprache. Häufig haben die Zugewanderten aber auch nicht die Möglichkeit, die Sprache zu erlernen, zum Beispiel weil sie beruflich sehr eingespannt sind oder ihre Kinder betreuen müssen.  

Wer spielt bei der Unterstützung der Zuwanderung eine große Rolle?  

Die Familie spielt die größte Rolle (29%), gefolgt von Freunden (24%) und Arbeitgebern (20%). Private Arbeitsvermittler und die Bundesagentur für Arbeit spielten mit jeweils 6% und 3% keine besonders große Rolle. Hier ist offensichtlich noch Luft nach oben. 

Wer unterstützt die Zugewanderten bei ihrem Weg durch deutsche Institutionen? 

Die meisten der von uns befragten Fachkräfte (28%) nennen die Ausländerbehörden als Stellen, mit denen sie Kontakt haben – das sind vor allem Zugewanderte außerhalb der EU. In unserer Befragung wurden auch die deutsche Botschaft (11%) und der Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit (7%) öfter genannt. Insgesamt hat uns aber überrascht, dass der Kontakt zu deutschen Behörden nicht häufiger vorkommt. 

Sind die bereits Abgewanderten nochmals für Deutschland gewinnbar?  

Die Auswertung unserer Befragung ergibt, dass 64% der ausländischen Fachkräfte gerne wieder in Deutschland leben würden. Etwa 12% der Befragten würden in ein anderes Land als Deutschland auswandern, und über 20% der Befragten bevorzugen, in ihrem Heimatland zu bleiben. 

Was muss sich in deutschen Institutionen verändern, damit diese Fachkräfte bleiben? 

Wir empfehlen, den Kontakt zu ausgereisten Fachkräften aufrecht zu erhalten, um sie bei Bedarf über Stellenangebote informieren zu können. Außerdem könnten Erleichterungen im Aufenthaltsrecht geschaffen werden, mit Erleichterungen für Fachkräfte, die bereits in Deutschland gelebt haben. 

Haben Sie weitere Ideen? Was können wir tun, um ausländische Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen? 

Wir empfehlen vor allem, die Beratung und Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit insbesondere für solche Zugewanderten zu stärken, die sich beruflich neu orientieren müssen oder wollen. Häufig ist der Verlust des Arbeitsplatzes der Grund für die Rückmigration. Das müsste aber nicht so sein. Außerdem sollte die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erleichtert werden. Wir beharren oft auf Zertifikaten aus dem Ausland, die viele Qualifizierte – zum Beispiel im Handwerksbereich – nicht haben. An dieser Stelle gibt es erfolgreiche Pilotprojekte, an denen wir uns orientieren können. Zum Beispiel könnten wir ausländischen Handwerkern, die einwandern, die Möglichkeit bieten, sich ein Zertifikat durch ein Betriebspraktikum zu erwerben. Durch ihr praktisches Können ersetzen sie so eine Berufsausbildung, die oft theorielastig ist.

Außerdem haben wir hier in Baden-Württemberg die sogenannten Welcome Center der IHK. Hier bekommen ausländische Fachkräfte bei der Bewältigung der vielen bürokratischen Hürden, die ein Leben in Deutschland mit sich bringt, Unterstützung. Solche Institutionen müsste es flächendeckend geben. Um der Diskriminierungserfahrung auf Behörden entgegenzuwirken, sollten wir unsere Behörden in interkultureller Kompetenz schulen.  

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

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